Kapitel 44

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Ich saß noch etwas länger hier draußen als geplant, doch dann ging auch dieser Tag zuende. Am nächsten Morgen konnten mich auch die größten Sonnenstrahlen nicht wecken. Gerade wollte ich mich wieder umdrehen, als jemand an meiner Schulter rüttelte. "Anna", hörte ich eine zarte Stimme, es war Lara, "Amy und ich wollten spazieren gehen, kommst du mit?" Meine erste Antwort war nur ein mürrisches Knurren, doch spazieren gehen klang eigentlich gar nicht so schlecht. Also öffnete ich die Augen, und musste erstmal heftig blinzeln, weil mich die Sonne sofort angrinste.

"Lass mich noch ein paar Minuten wach werden, ich komme sofort", murmelte ich dann. "Alles klar", lachte Lara, "Wir warten draußen." Ich streckte mich durch, und verwandelte mich dann erstmal in meine Menschenform, da ich immer als Wolf schlief. Allerdings wollte ich Lara und Amy nicht zu lange warten lassen, also ging ich zu ihnen nach draußen. "Morgen", diesmal waren es die beiden, die mir lachend einen Gruß entgegen warfen, den auch ich nur mit einem Nicken erwiderte. Da setzten sich meine Freundinnen auch schon in Bewegung.

"Wo gehen wir überhaupt hin?", erkundigte ich mich dann gähnend bei den anderen beiden. "Ach, einfach nur eine kleine Runde", erwiderte Lara, und ihr zufriedenes Lächeln war noch immer nicht aus ihrem Gesicht verschwunden. "Deine gute Laune ist echt verdammt ansteckend", dachte ich, und musste auch lächeln. Immernoch müde versuchte ich an Lara und Amy dran zu bleiben, denn entweder waren sie viel zu schnell, oder ich viel zu langsam, weil ich gerade erst aufgestanden war. Die zweite Möglichkeit klang für mich um diese Uhrzeit wesentlich plausibler. Wie lange wir gingen, wusste ich nicht, doch als wir zurück waren, wusste ich nicht, ob ich mich darüber freuen sollte, oder nicht.

Auf dem Sammelplatz der Dunklen war das absolute Chaos ausgebrochen. Viele Helle waren hier, und es wurde bereits versucht, sie zu vertreiben. Unter den Dunklen erkannte ich David, Liam und Adam. Tatsächlich ließ wohl auch Ben sich mal wieder blicken, denn auch er versuchte die Eindringlinge zu vertreiben. Jedoch war unser Rudel in der Unterzahl, weswegen Lara, Amy und ich uns mit in den Kampf stürtzten, um zu helfen. Diesmal hatte wohl keiner die Zeit, mich davon abzuhalten. Ich blickte durch die Runde der Hellen, und hoffte irgendwie, dass Louis dabei war, damit ich ihm noch ein, zwei Schläge verpassen konnte. Tatsächlich fand ich ihn auch, doch neben Louis war noch ein anderer Wolf, den ich viel besser kannte.

Dieses makellose, weiße Fell... Diese eisblauen Augen, in die ich gerade einfach nicht blicken konnte... "Bitte lass ihn nicht von Tobi besessen sein", betete ich beim Anblick von Florian förmlich. Doch meine Bitte wurde nicht erhört. "Seht an, das Halbblut gesellt sich auch mal zu uns", fauchte Tobi aus dem Mund des weißen Wolfs heraus. Ich hätte am Liebsten mit aller Kraft dafür gesorgt, dass Flo wieder er selbst wurde, doch einen Sinn würde das wohl kaum haben, dass merkte ich schnell.

Die Hellen waren schlau, denn kurz nachdem Lara, Amy und ich dazu gestoßen waren, versuchten sie die Gruppe der Dunklen zu trennen. Einige unserer Gegner trieben ein paar von uns in den Wald. Lara, David und mich, um genau zu sein. Anfangs wurden wir von mehreren Wölfen verfolgt, doch dann war es nur noch einer. Florian. Ich hatte dieses verdammte Gefühl, dass einer von uns Dreien nicht mehr lebend ins Rudel zurück kommen würde. Florian würde einen von uns töten, und es nicht mal wollen.

Nach einer kurzen Hetzjagd ließ der weiße Wolf von David und mir ab. Anfangs war ich froh darüber, aber nur solange, bis ich sah, dass er sich auf den schwarzen Wolf mit der braunen Zeichnung am Kopf stürtzte. Lara. Als ich beobachtete, wie Florian meine Freundin links und rechts biss, und quasi zu Brei verarbeitete, konnte ich mich nicht mehr konzentieren, und verwandelte mich wieder in einen Menschen. Ich merkte, dass das auch David tat, der hinter mir stehen geblieben war.

In meinem Kopf schrillten alle Alarmglocken. Ich hatte Lara vor Louis gerettet, und der hatte sie nur im Gesicht gekratzt. Florian war gerade dabei, sie zu töten! Das konnte ich doch nicht zulassen! Meine Muskeln spannten sich an, doch selbst mit großer Mühe war ich nicht fähig dazu, wieder meine Wolfsgestalt anzunehmen. Also musste ich mich wohl so gegen Florian beweisen. Es war absolut leichtsinnig von mir, als Mensch gegen einen ausgewachsenen Wolf zu kämpfen, doch ich musste meine Freundin vor dem Tod bewahren. Nach all der Zeit war sie eigentlich schon meine beste Freundin, sogar Sophie, meine beste Freundin bei den Menschen, hatte ich bereits verdrängt. Und jeder, der noch ganz bei Trost war, würde seine beste Freundin retten, davon war ich überzeugt.

"Nein!", schrie ich also mit ganzer Kraft, und wollte schon zu Lara stürmen. Doch gleich merkte ich, dass David mich am Arm schnappte, und versuchte, zurück zu halten. "Lass mich los!", schrie ich ihn an, und begann dabei schon zu weinen. David antwortete nicht, sondern zog mich noch weiter zu sich heran und umschlang meinen Oberkörper mit seinen Armen. Ich versuchte frei zu kommen. "Lass mich los, hab ich gesagt!", brüllte ich nochmal. "Bitte Anna, lass es! Du kannst Lara nicht mehr helfen! Florian ist nicht mehr er selbst, lass sie zurück!", redete er auf mich ein. Ich hörte ganz genau, wie auch seine Stimme plötzlich abbrach.

Lange musste ich nicht mehr zusehen, denn ein Biss von Florian hatte zu gut gesessen. Lara fiel leblos zu Boden, und bewegte sich nicht mehr. "Nein!", schrie ich nochmal, und sah gerade noch, wie Florian schon dabei war, seine Beute zu zerlegen. Dann drehte David mich um, sodass ich mein Gesicht gegen seine Brust drücken konnte. Meine Tränen hatten nun keinen Halt mehr. "Es tut mir leid, Anna", hörte ich David über mir flüstern, wobei ich hörte, dass auch er weinte, "Aber ich konnte dich nicht dazwischen gelassen, er hätte dich auch getötet."

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