Kapitel 20

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So schnell brachte ich kein Wort raus. Was sollte ich einem fremden Jungen auch sagen? Sollte ich ihm einfach meine ganze Lebensgeschichte vorsetzen? Andererseits hattte Flo recht damit, dass ich wenigstens drüber reden sollte. Nagut, wenn er es so wollte...

"Ich bin Anna", stellte ich mich erstmal mit zittriger Stimme vor. Das war doch schon mal ein Anfang. "Ok, Anna", versuchte Flo mich zu ermutigen, "Trotzdem würde ich dir gerne helfen." Ich nickte verständnisvoll, und atmete einmal tief durch.

"Flo", begann ich zögernd, "Kennst du dieses Gefühl, wenn du erfährst, dass du eigentlich gar nicht exestieren darfst?" "Nein", gab er vorsichtig zurück, und wirkte ein bisschen geschockt über diesen Anfang, "Aber das Gefühl ist bestimmt ekelhaft." Vorsichtig lachte ich auf. Der Junge verstand mich wohl. Doch Florian, dieser wildfremde Typ, der gerade neben mir aufgetaucht war, meinte es wohl ernst. Er wollte mir wirklich helfen, und mir wohl kaum alles aus der Nase ziehen. Also musste ich ihm wohl oder übel vertrauen, und mit ihm reden. Ein bisschen unwohl fühlte ich mich bei dem Gedanken schon, aber das half wohl nichts. Ich erzählte dem Blondschopf alles. Und zwar wirklich alles. Von meiner ersten Verwandlung, bis zu diesem Moment, in dem wir gerade feststeckten.

"Bis vor Kurzem wusste ich nie genau, was mit meinem Vater passiert war, und warum genau er starb", begann ich letzendlich die Erklärung, warum ich hier saß, und mir die Augen aus dem Kopf weinte, "Bevor ich hier her gerannt bin, hat mir meine Mutter alles erzählt. Ich meine, sie hat es mir überhaupt gesagt, was ja schon echt gut ist. Aber sie hat verdammte 16 Jahre darauf gewartet! Ich frage mich echt, warum sie es mir nicht gleich gesagt hat. Auf einmal sitzt sie da in der Küche, und setzt mir meine halbe Lebensgeschichte vor! Und das ich nicht mal exestieren dürfte! Sowas willst du doch nicht von deiner Mutter hören!"

Florians Blick ruhte mittlerweile nicht mehr auf meinem Gesicht, sondern wie meiner auf dem Waldboden, in dem er mit einem Stock herum stocherte. Hatte er mir gerade wirklich die ganze Zeit zugehört? "Ich glaube, ich verstehe, wie du dich fühlst, Anna", begann er seinen Satz, als ich ihm ins Wort fiel. "Das glaube ich nicht", platzte ich dazwischen. "Lass mich ausreden", bat Flo, und wurde nicht mal ansatzweise wütend, weil ich ihn unterbrochen hatte, "Ich meine, ich verstehe dich, weil meine Eltern auch früh gestorben sind." Dann schloss er die Augen, und lies seinen Kopf ein bisschen nach hinten fallen.

"Es in dich hinein zu fressen macht es nicht besser, Florian", benutzte ich seine Worte. Mittlerweile fiel es mir erstaunlich leicht, mit ihm zu reden.

Gerade befanden wir uns in einem guten Gespräch, und so wie ich es zuvor tat, begann auch Florian langsam, sich mir zu öffnen. Ich empfand alles als perfekt, bis auf diesen einen Moment. Der Blauäugige setzte sich etwas anders hin, und ermöglichte mir so den Blick auf die Schulter, die ich davor noch nicht gesehen hatte. Fast schon instinktiv scannte ich die Schulter nach dem Zeichen der Dunklen ab, doch ich konnte es nirgendwo finden. Jedoch prangte an seiner Stelle ein anderes Zeichen. Meine Augen weiteten sich, und als hätte mir jemand auf den Kopf geschlagen, fiel ich wieder in die Realität zurück. Hatte ich mich gerade einem Hellen anvertraut? Sozusagen einem Feind? Ich dachte an die Anzeichen, die David mir erklärt hatte, und starrte Florian in die Augen. Tatsächlich konnte ich in dessen Tiefen einen hellen Blitz erkennen.

Nun war ich wieder total bei Sinnen, sprang vom Baumstumpf auf, und wich ein paar Schritte zurück. Dann überlegte ich nicht mehr, was ich tat, sondern zog es einfach durch.

"Du bist ein Heller nicht war?!", schrie ich der Person entgegen, mit der ich mich gerade noch friedlich unterhalten hatte, "Warum habe ich dir eigentlich vertraut?! Locker bist du eins dieser dreckigen Schweine von nebenan, vor denen sie mich gewarnt haben! Ich wusste doch, ich hätte meine Schauze halten sollen! Einfach so mit einem Typen reden, der mir gerade über den Weg lief? Ich muss doch total bescheuert gewesen sein! Verzieh dich! Ich habe dich nie gesehen!"

Meine Wut nahm Überhand und ich verlor förmlich die Kontrolle. Ein riesen Schreikrampf brach aus mir hervor. Florian schien davon nicht beeindruckt, denn er blieb einfach ganz genau gleich sitzen, als wäre er versteinert.

Ich schoss noch einen letzen Fluch über meine Lippen, als sich meine Beine auch schon wie Wackelpudding anfühlten, und ich zusammen sackte. Dieser plötzliche Energieschub hatte mir wohl meine restliche Kraft aus dem Körper gezogen.


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