Kapitel 40

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Ich wollte gerade noch etwas sagen, doch gleich wollte sich mein Mund nicht öffnen. "Willst du mit zu uns kommen, und dich ein bisschen ausruhen?", bot ich Florian dann an, obwohl diese Idee eigentlich ziemlich sinnbefreit war, "Adam hätte sicher nichts dagegen, solange ich bei dir bleibe." Mein Grundgedanke dahinter war ja, ihn von seinem Rudel wegzuhalten, damit er Tobi nicht begegnen musste. Doch wie eigentlich schon erwartet, schüttelte Florian den Kopf.

"Ich kann mich nicht vor Tobi verstecken. Er ist sowieso immer dort, wo ich auch bin", erwiderte er. Verdammt, mein Plan wurde durchschaut. "Bist du sicher, dass es dir gut genug geht, dass du alleine zurück gehen kannst?", versicherte ich mich. Ich wollte nicht, das noch etwas passierte. "Jaja, das geht schon", meinte Flo nur, und drehte sich schon um. Zuerst war ich etwas verwundert, dass er mich nicht bis zu den Dunklen begleiten wollte, wegen Tobi und so, doch andererseits war er selbst zu einem Teil Tobi, also würde es wohl eher weniger Sinn machen. Als Florian schon fast außer Sichtweite war, rief ich ihm noch ein "Bis bald!" hinterher, und ging dann selbst nach Hause.

Mittlerweile kannte ich diesen Teil des Waldes wie meine Hosentasche. Florian und ich trafen uns fast jeden Tag hier, also war das kein Wunder. Normalerweise würde ich jetzt von vorne einfach in mein Revier spazieren, doch ich machte einen kleinen Abstecher, was angesichts der aktuellen Situation wohl nicht gerade meine beste Idee war. Ich wollte nämlich hinten an der Grenze entlang gehen, damit ich im Endeffekt direkt bei meiner Höhle landen würde. Andere Wölfe wollte ich dabei nach Möglichkeit umgehen, wer wusste schon, was die von mir hielten.

Als ich schon fast da war, hörte ich eine Stimme. Eine sehr vertraute Stimme, um genau zu sein. Es war meine Mitbewohnerin Lara. Ich war bereits nah genug dran, um zu hören, was sie sagte, doch ich konnte nicht sehen, mit wem sie redete. Zuerst tippte ich auf Amy, meine zweite Mitbewohnerin, doch diese Vermutung konnte ich schnell wieder vergessen. "Verschwinde, Louis. Sie ist nicht hier. Außerdem darfst du nicht hier sein, das ist nicht dein Revier", hörte ich Lara zischen. Noch nie zuvor hatte ich sie so wütend erlebt. "Bist du schwerhörig, Louis?! Du sollst verschwinden!", wiederholte sie, doch diesmal lauter und deutlicher.

Jetzt erkannte ich auch, mit wem sie sprach, denn ich war ein paar Schritte näher gekommen. Es war ein Junge, vermutlicherweise ein Wolf, da er sich "nicht in seinem Revier" aufhielt. Lara stand ihm gegenüber, auch in ihrer Menschenform. Mir war egal, ob sie den Jungen, offensichtlich Louis, kannte, denn plötzlich verwandelten sich beide, und gingen aufeinander los.

Zuerst war ich ehrlich gesagt unsicher, ob ich die beiden trennen sollte. Mein erster Gedanke war, dass Lara schon viel länger bei den Wölfen war als ich, und daher fähig sein sollte, sich zu verteidigen. Außerdem schien Louis mich zu suchen. Sollte ich mich wirklich auf einem Silbertabllet servieren? Doch ich hatte nicht viel Zeit zum Nachdenken, da Louis meiner Freundin bereits die Krallen ins Gesicht schlug. Es waren nur ein paar kleine Kratzer, aber trotzdem wurde es mir schon zu bunt. Er hatte meine Freundin nicht zu verletzten, total egal, mit welchem Grund oder welchen Hintergedanken.

Ich sprintete aus dem Baum hervor, hinter dem ich mich gerade noch versteckt hatte, und verwandelte mich dabei bereits elegant in meine Wolfsform. Es war eindeutig zu erkennen, dass sowohl Lara als auch Louis verwundert waren, dass ich so plötzlich auftauchte. "Bist du verrückt Anna?! Du kannst dich ihm doch nicht einfach zeigen, du bist doch die, die er will!", hörte ich Laras Stimme in meinem Kopf. Doch das war mir gerade alles ganz egal. Sie konnte froh sein, dass ich sie verteidigte, obwohl ich dabei eigentlich mein Leben riskierte. Ich vermutete, dass Louis im Auftrag von Tobi hier war. Würde er mich töten, wäre alles vorbei, und niemand meiner Freunde musste grundlos sterben.

Für einen kurzen Augenblick starrte ich mein Gegenüber an. Louis war ein Heller, ganz klar. Nicht nur war das an seiner Fellfarbe offensichtlich, sein Fell war nur minimal dunkler als das von Flo, sondern ich konnte auch das helle Glitzern in seinen Augen sehen, von dem mir erzählt wurde, als ich zu meinem Rudel kam. Doch ich durfte nicht zu lange verharren, und ihn einfach nur anglotzen. Ich sprintete auf ihn zu, und erhielt dafür gleichmal einen Kratzer im Gesicht. Anfangs erschreckte ich mich etwas, doch dann verdrängte ich dieses Gefühl gleich wieder. Mit meinem ganzen Gewicht warf ich mich gegen Louis, und der Wolf landete auf dem Rücken. Also entweder war er federleicht, oder ich stark. Zeit, um darüber nachzudenken gab es gerade allerdings nicht.

Mit einem Satz sprang ich auf Louis drauf. Er knurrte mich an, eindeutig gereizt. Ich musste innerlich grinsen, denn das war mein erster, richtiger Kampf, bei dem ich mich eigentlich, meiner Meinung nach zumindest bis jetzt, echt nicht so schlecht anstellte. Bei meiner Taktik gab es allerdings ein kleines Problem. Louis hatte freien Zugriff auf meinen Bauch, und verpasste mir dort einige Kratzer. Meine Antwort war ein Knurren, das nicht viel freundlicher klang als das, das er von sich gegeben hatte.

Ich versuchte mich zu konzentrieren, und musste dabei zugeben, dass das im Ernstfall leider gar nicht so einfach war. Mit ein paar gezielten Hieben, oder zumindest versuchte ich zu zielen, kratzte ich kreuz und quer durch sein Gesicht. Dabei kam ich auch einmal haarscharf an seinem rechten Auge vorbei. Nein, falsch. Ich hatte sein Auge getroffen! Das konnte ich nicht gleich auf Anhieb erkennen, doch gerade, als Louis etwas aufhörte zu zappeln, konnte ich es erkennen. Ein schöner Kratzer über sein rechtes Auge. Mein Gegner winselte wie ein kleiner Welpe und versuchte, sich unter mir heraus zu winden. Ich ließ in gehen, denn mit einem Kratzer im Auge war ich zufrieden.

Glücklich drehte ich mich um. Am Höhleneingang lehnte der Rotschopf Lara. Sie war mittlerweile wieder in ihre Menschenform zurückgekehrt, und auch der Kratzer in ihrem Gesicht fiel kaum auf. Mit einem strengen Blick musterte sie mich, dann schnaubte sie mich lachend an. "Du hast ja mal einen Knall", meinte sie dann. Als sie im Anschluss lachte, war mir klar, das sie es nicht böse meinte. Auch ich verwandelte mich wieder zurück, ob man meine Kratzer am Bauch sah, wollte ich gar nicht überprüfen, denn es war mir eigentlich egal. "Irgendwann musste ich ja mal üben", erwiderte ich dann ebenso lachend, und ging gemeinsam mit Lara in die Höhle.


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