▪︎ Kapitel Zwei ▪︎

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Frische Luft, weite Wiesen und ruhige Wohnsiedlungen. Während der Anfangszeit der Deutschen Besatzung, besuchte ich im Sommer 1940 meine Großeltern auf dem Land. Sie lebten mitten in der Natur, es war wunderschön dort. Bis heute vermisse ich die Spaziergänge durch den dichten Wald mit ihnen. Vorallem da es das letzte mal war das ich meine Großmutter gesehen habe. Kurz nach meiner Abfahrt, verstarb sie. Es war keine Überraschung, denn vorher stand schon klar, dass sie unheilbar krank war. Eine Herzerkrankung, wo sich die Gefäße um das Herz herum verkalkten. Trotzdem traf es mich wie ein Schlag, Monate dauerte es um endlich nicht mehr zu trauern.
Vorallem weil ich sie während meiner Zeit bei ihnen gepflegt habe. Jedesmal als Großmutter Atemnot bekam, dachte ich, dass es hier und jetzt enden würde, aber ich irrte mich. Sie verstarb letztendlich friedlich im Schlaf. Ihr Herz hörte einfach auf zu schlagen. Mir gefielen die Momente in denen ich ihr bei Seite stand und sie pflegte, ich liebte sie sehr und versuchte ihr wieder Lebensfreude zu schenken, obwohl ihr Schicksal schon besiegelt war. Großmutter schenkte mir Dankbarkeit und Anerkennung, oft gab sie mir Küsschen auf die Wangen oder drückte fest meine Hand. Sie war glücklich, also war ich es auch. Das Funkeln in ihren Augen ließ mein Herz schmelzen, es schenkte mir Hoffnung und ich wollte mich nicht von diesem Gefühl trennen, demzufolge entschied ich mich nach der Schule eine Ausbildung zur Krankenschwester zu beginnen.

Nun saß ich an meinem Schreibtisch, fast vier Jahre später und lernte rastlos für meine schriftliche Prüfung nächste Woche.

Seit Stunden steckte ich meine Nase in ein Anatomie Buch und allmählich bekam ich Kopfschmerzen. Doch dann ließen mich laute Stimmen aufhorchen, Alice war mit ihrem Verlobten angekommen, sie wollten heute mit uns zu Abendessen. Also streckte ich meinen verspannten Körper und lag endlich eine Pause ein.

Sie standen immer noch im Eingang und unterhielten sich mit Mutter. Alice war eigentlich nicht wirklich gesprächig, aber Nathan ihr Verlobter sprach ununterbrochen. Stets fielen ihm irgendwelche Gesprächsthemen ein, über die er eine Meinung hatte und sie unbedingt mit jedem teilen musste. Darüber hinaus lachte er immer viel zu laut, auch in unpassenden Momenten, wo man es sich eigentlich verkneifen sollte. Trotz all dem war Nathan ein humorvoller sowie sympathischer junger Mann, der wie Perfekt zu meiner älteren Schwester passte und sollte ich ganz ehrlich sein, empfand ich es als sehr unterhaltsam ihm zu zuhören.

Schien ganz so als hätte er einer seiner Witze gerissen, denn er brach lauthals in Gelächter aus und klopfte dabei Mutter auf die Schulter. Nathan war über ein Kopf größer als Alice, hatte schwarzes Haar und zog das rasieren gerne in die Länge hinaus sodass er oft einen Stoppelbart trug. Und für einen Mannes seines Alters war er ziemlich dürr.

,,Bonsoir" , begrüßte ich beide breit lächelnd woraufhin Alice mich direkt in eine feste Umarmung zog. ,,Bonsoir Anaelle!" , erwiderte sie ,,wie lange ist es her das ich dich gesehen habe?" , fragte meine Schwester ganz besonders heiter.
,,Erst letzte Woche." , nuschelte ich gegen ihren Mantel, denn sie drückte auch mein Gesicht ganz feste an sich.
Mit ihrer munter - und lebhaftigkeit waren wir alle vetraut, doch mir blieb es nach 21 Jahren Lebenszeit immernoch ein Rätsel wie sie stets so Fröhlich sein konnte. Ihr brünettes Haar war heute Abend in einem Dutt zusammen gebunden, ihre hell braunen Augen waren geschlossen während sie viel zu lange in der Umarmung verharrte.

,,Alice"
,,Ja?"
,,Du stinkst nach Zigaretten."

Alle drei lachten herzlich über meinen Witz, der mehr ein Fakt als Scherz sein sollte. Schließlich ließ sie von mir ab und wir gesellten uns zum Esstisch. Vater kam noch dazu, nur Noemie nicht da sie bereits schlief.

Mutter begann ihre Hände zu falten und wir taten ihr es nach. Nach dem das Tischgebet beendet war, durften wir uns am Essen bedienen.

So wie üblich redete Nathan viel zu viel und quatschte Vater zu, Mutter und Alice führten ihr eigenes Gespräch, nur ich saß unbeholfen da, rührte mit dem Löffel in meiner Suppe umher. Da erwähnte Vater das Geschehen mit den Fahrrädern was sich vorgestern abgespielt hatte.

Wenn ich so auf die Dinge zurück blickte, war ich positiv überrascht darüber, dass ich da noch heil raus kam. Viele barbarische Geschichten über die Besatzer waren auch mir nicht entgangen. Vorallem die Gefühlskälte die ich an diesem Tag von den Männer wahrgenommen hatte. Dieser arrogante und wirklich unemphatische Offizier, bestellte, laut meiner Mutter, noch am selben Tag mir nichts dir nichts ein Glas Alkohol bei uns in der Gastronomie.
Das brachte mich total zur Weißglut, denn zuerst stahlen sie das Eigentum anderer und gönnten sich daraufhin ein Gläschen Champagner.

,,So unverschämt" , zischte Alice ,,Wie sehr ich mich schon auf den Tag freue an denen die endlich abziehen." die anderen am Tisch stimmten ihr zu. Ich nickte stumm.
,,Wie gesagt, wir sind sehr stolz auf dich, dass du dich so für deine Schwester eingesetzt hast Anaelle." , lobte Vater mich. ,,Halb so wild" , schmunzelte ich ,,letztenendes haben sie trotzdem das Fahrrad beschlagnahmt."
,,Wieso haben sie es überhaupt beschlagnahmt?" , fragte Alice woraufhin ich mit den Schultern zuckte. ,,Wahrscheinlich aus purer Langeweile." , warf Mutter sarkastisch gemeint ein. ,,Die Deutschen haben es hier viel zu gut." , verließen die zornigen Worte Alices Mund und erneut stimmten sie ihr alle zu.

,,Kommt lasst uns anstoßen!" , forderte Nathan uns breit lächelnd auf und hob sein Glas Wein, sodass wir es ihm nachtaten. ,,Auf Anaelle! Weil sie sich nicht hat einschüchtern lassen von diesen Barbaren!"

Ein Häufchen Elend Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt