Der Räuberbräutigam (2)

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Die Alte schien mich gar nicht wahrzunehmen. Als sie zu sprechen begann, bewegten sich ihre Falten: „Ach, du liebes Kind, du bist in eine Mördergrube gekommen."

Am liebsten hätte ich laut „Merkst du es jetzt auch endlich, Hilde" gebrüllt, aber ich verkniff es mir und lauschte der Fremden bloß weiter.

„Deine Hochzeit soll mit dem Tod sein. Der Räuber will dich ums Leben bringen. Siehst du, da hab ich einen großen Kessel mit Wasser aufsetzen müssen. Wenn sie dich haben, zerhacken sie dich und kochen dich darin und wollen dich dann essen. Wenn ich dich nicht rette, so bist du verloren."

„Geben Sie es auf, Hilde ist strohdoof", murmelte ich, doch die Alte konnte mich offenbar nicht hören. Hildegard, die es sehr wohl konnte, schien mich einfach auszublenden – andere Menschen und Warnungen zu ignorieren war wohl ihr größtes Talent.

„Komm mit!", eilig packte die Alte sie am Arm und zog sie mit sich. Ich folgte den Beiden bis hin zu einem Fass, hinter das Hilde sich setzte. Vorsichtig nahm ich neben ihr Platz.

„Reg dich und beweg dich nicht, sonst ists um dich geschehen", warnte die Fremde meine Begleiterin, „wenn die Räuber schlafen, so wollen wir entfliehen, ich habe auch schon längst fortgewollt."

„Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen", kommentierte ich augenrollend und erntete einen bösen Blick von Hilde.

Die Alte, die mich nicht wahrnahm, lief bereits davon. Kaum hatte sie sich ein paar Meter entfernt, erklangen Schritte. Neben mir erstarrte Hilde. Ich hielt ebenfalls den Atem an und lauschte. Stimmen wurden lauter – allesamt männlich Stimme, bis auf eine Einzige, die ununterbrochen schrie und flehte.

Vorsichtig spähte ich an dem Fass vorbei. Eine Gruppe an Männern hatte den Keller betreten. Einer war größer als der andere, mit dicken Bärten und tiefen Narben. Auch Hilde hatte sich gedreht, um die Männer beobachten zu können.

Zwischen sich hielten sie eine Frau. Sie jammerte, als die Männer ihr Wein gaben. Es waren drei Gläser. Erst weißer Wein, dann roter Wein und zuletzt gelber Wein, die ihr das Herz zerspringen ließen.

Nicht fähig mich zu rühren, starrte ich die Männer an, wie sie dem Mädchen die Kleider vom Leib rissen, ehe sie es auf dem Tisch platzierten. Einer von ihnen hob sein Beil. Blitzartig wandte ich mich ab, noch ehe das schreckliche Geräusch des berstenden Fleischs durch die Luft dran und die Knochen laut knackten.

Neben mir zitterte auch Hilde heftiger. Wortlos legte ich meinen Finger auf die Lippen. Sie verstand und nickte kaum merklich. Gerade wollte ich zu einer weiteren Geste ansetzen, als etwas vor uns landete.

Ich riss meine Augen auf und hielt sogleich meine Hand vor Hildes Mund, um sie an irgendeinem erschrockenen Laut zu hindern. Ein zierlicher Damenfinger mit einem schmalen goldenen Ring war direkt in ihren Schoß geflogen. Wie zu Stein erstarrt blickte sie auf das Körperstück.
Hinter uns begannen die Räuber umherzulaufen.

„Wo ist er hin?", hörte ich einen von ihnen fragen. Die anderen schienen es nicht zu wissen.
„Wirf ihn weg", knurrte ich. Meine törichte Begleiterin rührte sich kein Stück.
Um Himmels Willen – warum reagierte sie nicht?

„Hast du auch schon hinter dem großen Fass gesucht?", erklang in diesem Moment die Stimme von einem der Räuber.

„Schmeiß den scheiß weg! Jetzt!"
Wieder tat sie nichts. Ich konnte vor meinem inneren Auge bereits sehen, wie einer der großen Männer hinter das Fass spähte, als die Alte das Wort ergriff: „Ei, kommt und esst und lasst das Suchen bis morgen, der Finger läuft euch nicht fort."
Tatsächlich verstummten die hektischen Schritte, stattdessen setzte lautes Geschmatze ein.

Stirb nicht, Prinzessin | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt