Die Sonne, die langsam über die Häuser kletterte, färbte den Himmel in ein tiefes Orange-blau. Ich starrte in den Himmel und genoss das aufstrebende Glücksgefühl, welches sich in meinem Bauch ausbreitete. Nach und nach würde die Temperatur steigen und die noch laublose, braune Umgebung in ein buntes Spektakel verwandeln. Doch die jetzt schon angenehm warmen Strahlen machten das Warten Wartens wert. Ich stand an der Kreuzung hinter dem Kindergarten und winkte noch einmal zu Lilly durch die große Glasscheibe, nachdem Kathie und Nora um die Ecke bogen.
„Hey.", begrüßte ich sie freudig.
„Hey, spring auf.", sagte Nora und blieb mit quietschender Bremse vor mir stehen.
„Danke dass ihr den Umweg gemacht habt!", meinte ich lächelnd. Da ich Lilly wieder jeden Morgen zum Kindergarten bringen musste und dafür leider kein Fahrrad hatte, wurden meine Nächte ein wenig kürzer. Dafür wurden die Tage länger. Manchmal fragte ich mich, was ich im Gegenzug zu zwei so großartigen Freundinnen verloren hatte. Für mich fuhren sie den Umweg durch die halbe Stadt, nur um mich dann noch zur Schule zu fahren. Nicht, dass ich nicht dasselbe für sie tun würde. Sie waren eben meine Familie. Ich saß hinter Nora, während meine losen Haare im Fahrtwind wehten und erzählte davon, wie Paul und ich aneinander gerieten sind.
„Oh man... Arme Lilly, sie hatte sich so beim Basteln gefreut.", erwiderte Kathie enttäuscht und begann dann zu meckern. „Schon echt scheiße von Paul, sie direkt so abzuweisen! Wenigstens hast du ihm mal klar die Meinung gegeigt!"
„Bin ich nicht zu harsch gewesen?"
Kathie schnaubte, doch Nora kam ihr mit der Antwort zuvor: „Du bist nicht zu harsch gewesen, Charly. Eventuell hast du die Linie ein wenig übertreten, aber das scheint ihn wach gerüttelt zu haben. Vielleicht hat er genau das gebraucht."
„Meinst du wirklich?", fragte ich Gedanken vertieft.
Nora antwortete mit einem Lächeln.
„Naja, für meinen Geschmack hättest du ruhig mehr sagen können.", gab Kathie ihren Senf hinter uns hinzu. Sie trat stärker in die Pedale, sodass sie jetzt schräg neben uns fuhr und rümpfte empört die Nase. Schon seit Lillys Geburt waren beide wie zusätzliche große Schwestern für sie und empfanden mindestens genauso viel für sie. Wenn sie also Jemand verletzte, bekam er es nicht nur mit mir zu tun.
Je näher wir dem Stückchen Wald kamen, dass zwischen uns und der Schule lag, desto mehr blaues Licht erhellte die Bäume.
„Was...?", murmelte Kathie, als wir den Polizeiwagen am Waldrand stehen sahen. Wir fuhren auf der anderen Seite der Straße und blickten auf die Grasfläche, die zwischen Wald und Straße lag und sich ein Stück in den Wald zog. Ein Paar Schaulustiger standen uns im Weg, weshalb wir absteigen mussten, um nicht aus Versehen einen der Leute umzufahren. Während wir um die Leute herum gingen, hörte ich sie sich leise unterhalten.
„Wie schrecklich..."
„Ob sie den Jungen noch finden?"
„Er steht schon etwas länger hier und als ich heute Morgen dann doch einmal nachschauen war, habe ich das Blut entdeckt..."
Ich blickte wie gebannt auf das Polizei Auto. Mit jedem weiteren Meter vorwährts, konnte ich mehr von dem sehen, was die zwei Polizisten untersuchten. Mein Atem stockte, als ich das kleine rote Auto sah. Dieselben Beulen und Dellen, die es schon Jahre begleitete und dazu derselbe uralte Dufttannenbaum, der am Spiegel hing. Das Fenster war herunter gerollt und ich konnte das Blut, welches auf der Armatur und dem Sitz verteilt war, deutlich sehen. Mir wird schlecht. Hätte ich heute Morgen etwas gegessen, wäre es bereits wieder aus meinem Magen raus. Stattdessen schmeckte ich die saure Galle in meinem Mund. Nora hatte mittlerweile angehalten und Kathie starrte entsetzt auf den klapprigen Wagen.
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Charlotte - tödliches Verlangen
VampireSeit dem Tod von Charlottes Mutter, ist ihr Leben auf den Kopf gestellt. Neben der Schule und dem Haushalt, kümmert sie sich noch um ihre kleine Schwester. Trotz der Verzweiflung, die sie manchmal überfällt, behält sie eine klare Fassade: so wenig G...