Kapitel 19 - Scherben

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Das warm einladende Licht schien aus dem Schaufenster, was bedeutete, dass sie bereits zurück war. Als David den Truck parkte, kam sie winkend aus dem Geschäft. Das Strahlen in ihrem Gesicht, verjagte die Erschöpfung und ich sprang eilig aus dem Auto.

„Hast du sie gefunden?", rief ich, während ich auf sie zu rannte.

Grace schüttelte ihren Kopf, lächelte jedoch beruhigend.

„Sie ist bei deinem Vater." Ihre warmen, faltigen Hände umfassten meine und drückten sie fest. „Ihr geht es gut. Du brauchst dir also keine Sorgen machen."

Erleichtert stieß ich die Luft aus.

„Danke.", flüsterte ich aufgelöst und lehnte meinen Kopf auf ihre Schulter. Sie nahm mich in den Arm und gab mir einen Kuss.

„Nicht dafür, mein Kind, nicht dafür!"

Nach einigen Sekunden löste ich mich von ihr. Ich drückte ihr einen Kuss auf die leicht kühle Wange und ging zum Auto zurück. David stand an der Fahrertüre und folgte mir mit seinen Augen. Seine Gesichtszüge hatten sich entspannt und er wirkte nicht mehr so ernst, wie noch vor einer halben Stunde, stattdessen lächelte er. Ich erwiderte es, fühlte mich jedoch schlecht, ihn den ganzen Abend in Beschlag genommen zu haben.

„Scheint, als wäre der Aufwand umsonst gewesen.", meinte ich verlegen.

„Es war nicht umsonst."

Er klang sonderlich ruhig. Seine Worte, die alles oder nichts bedeuten konnten, ließ ich hinter mir. Doch der Gedanke, dass er gerne mit mir Zeit verbrachte, verlieh dem Tag, der als beschissenster aller Zeiten eingehen würde, etwas Gutes.

„Steig ein, ich bring dich nach Hause zu deiner Schwester."

Erneut öffnete er mir die Beifahrertüre und ließ mich einsteigen.

Die ganze Sorge um Lilly hatte mir jegliche Energie geraubt, weshalb mir immer wieder die Augen während der Fahrt zufielen. Nur mit letzter Kraft schaffte ich es nicht einzuschlafen. David hatte meine Erschöpfung bereits bemerkt und sagte kein Wort. Erst als wir vor dem Haus hielten und ich das brennende Licht sah, öffnete ich den Mund.

„Danke nochmal für deine Hilfe heute."

David lehnte sich nach vorne und platzierte lässig seine Handgelenke auf das Lenkrad.

„Dafür brauchst du dich nicht bedanken.", antwortete er ehrlich. „Wenn du Probleme hast oder noch einmal Hilfe brauchst, aus egal welchen Gründen, bin ich für dich da, Charlotte."

Ich schenkte ihm ein letztes Lächeln. „Gute Nacht."

Die Haustüre fiel hinter mir ins Schloss. Das Flackern des Fernsehers erhellte den Flur in einem bunten Spektakel. Der kalte Geruch von Nudeln stieg mir in die Nase, wodurch ich kurz in die Küche blickte. Ich wusste nicht was ich erwartet hatte, doch es war wohl keine zugestellte Spüle. Ich seufzte und kratzte mich an der Stirn, bevor ich mich meiner Schuhe und Jacke entledigte. Wenigstens hatte Paul Lilly etwas zu Essen gemacht. Dafür, dass ich gerade noch relativ erleichtert und milde gestimmt war, kochte die Wut in mir wieder hoch. Es würde mich viel Kraft kosten Paul nicht die schlimmsten aller Dinge an den Kopf zu werfen. Ganz so einfach wollte ich ihn dann doch nicht davonkommen lassen. Verdient hätte er es.

Als ich das Wohnzimmer betrat, packte mich erneut die Erleichterung. Jetzt wo ich ihren kleinen Körper neben meinem Nichtsnutz von Vater sah, kam ich endlich vollkommen runter. Sie drehte sich in meine Richtung und begann zu strahlen. Ich unterdrückte den drang danach loszuheulen, da sie es nicht verstehen würde und blinzelte stattdessen das Pulsieren in meinen Augen und die Feuchte hinweg.

Charlotte - tödliches VerlangenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt