Heiß prasselte das Wasser auf mich herab. Mit geschlossenen Augen genoss ich das Gefühl, wie sich der Dreck von meinem Körper löste. Meine langen Haare nahmen das Wasser auf und legten sich in schwarzen Strähnen an meine nackte Haut. Die kleinen Bachläufe, die sich auf meinem Körper formten, wärmten ihn und trugen nicht nur die Hinterlassenschaften des Waldes fort, sondern auch die düsteren Gedanken an diesen Ort. Die Hitze auf meinem verspannten Körper tat gut, so gut, dass ich glaubte, nicht mehr an den Moment an der Hütte denken zu müssen. Mit gesenktem Haupt öffnete ich meine Augen langsam und nachdem sie sich an das grelle Licht der Lampe gewöhnt hatten, betrachtete ich mein Bein. Zuvor hatte noch mein eigenes Blut daran geklebt. Jetzt war da nichts mehr. Ich bückte mich herunter und strich mit meinen Fingerkuppeln über die Stelle, an dem der Knochen meine Haut durchstoßen hatte. Nichts. Keine Wunde. Keine Narbe. Keine Schmerzen. Nur längst vergangene Empfindungen erinnerten daran, dass es passiert war.
Also kommt zu meiner unmenschlichen Geschwindigkeit, dem Geruchsinn eines Tieres und dem Super-Gehör auch noch minutenschnelle Heilkünste hinzu.
„Scheiße...", fluchte ich leise und rieb mir mit der Handfläche über die Stirn, die bereits ganz aufgewärmt war. „Vergessen wir den Hunger auf Blut nicht."
Ich war wirklich ein Monster, diesen Gedanken würde ich immer vor Augen halten. Denn die kleine Stimme in meinem Kopf meldete sich, sobald ich Hunger bekam. Und sie riet mir nichts Gutes.
Nachdem ich das Wasser ausgestellt hatte, trat ich aus der Dusche in das durch mich befeuchtete Badezimmer. Der Spiegel war beschlagen und das sich sammelnde Kondenswasser an der kalten Scheibe lief in Tropfenform rennen. Nachdem ich mir die Haare in einer schnellen Bewegung mit einem Handtuch hochgewickelt hatte, wischte ich mit dem Unterarm grob den Spiegel frei. Für einen kurzen Moment betrachtete ich mich selbst. Dieselbe weiße Haut. Dieselben Sommersprossen. Dieselben dichten Brauchen und dazugehörigen grünblauen Augen. Ich sah aus wie immer. Unverändert bis auf den Ausdruck in meinen Augen: Unsicherheit.
Nachdem ich mich abgetrocknet und schnell ein übergroßes T-Shirt und eine knappe Sporthose angezogen hatte, stopfte ich, abgesehen der ruinierten Hose, meine getragenen Klamotten in den Wäschekorb. Ich klemmte sie mir unter den Arm und hoffte darauf weder Paul noch Lilly in die Arme zu laufen. Glücklicherweise waren diese gerade im Wohnzimmer, als ich das Bad verließ und schnellen Schrittes das Haus verließ. Der frische Wind auf meiner erhitzten Haut bescherte mir eine leichte Gänsehaut, selbst wenn mir nicht kalt war. Es fühlte sich angenehm an. Ich ging an meinem noch immer kaputten Fahrrad vorbei zu den Mülltonnen und schmiss sie hinein.
Als ich zurück ging, blieb ich für einen Augenblick in der Einfahrt stehen und genoss den Moment der Stille. Es dämmerte bereits und während nach und nach die Lichter auf den Straßen Hillcords ansprangen, verliebte ich mich aufs Neue in das Farbenspiel des Himmels.
Nachdem ich einige Minuten in den Himmel geschaut hatte, schlüpfte ich wieder nach drinnen und begab mich ohne Umwege in mein Zimmer. Meine sonst so weißen Wände wurden durch die pinken und orangenen Lichter in ein buntes Spektakel verwandelt, weshalb ich meine Gardinen nicht zu zog und stattdessen noch das Fenster öffnete. Die sanften Geräusche des Windes, der vor unserem Baum durch die Krone der alten Eiche blies und die Schaukel zum knarzen brachte eine angenehme Atmosphäre in der ich mich auf die Schulaufgaben konzentrieren konnte. David hatte klar gemacht, dass die Klausur nicht ausfallen wird, trotz der unangenehmen Situation eines freilaufenden Mörders. Außerdem wollte ich keine schlechte Note bekommen.
Nachdem ich endlich mit meinen Hausaufgaben fertig war und mich auf meinem ungemütlichen Stuhl streckte, spürte ich eine Bewegung hinter mir. Augenblicklich stellten sich meine Nackenhaare auf und ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Alle Alarmglocken schlugen in meinem Inneren Alarm und meine Muskeln spannten sich an, doch bevor ich mich auch nur ein Stück rühren konnte, wurde ich gepackt und von meinem Stuhl gerissen. Polternd fiel dieser zu Boden, während ich einen Aufschrei unterdrücke, um weder Paul noch Lilly zu alarmieren. Fest schloss sich eine Hand um meinen Hals, als ich gegen die Wand gedrückt wurde und den Boden unter meinen Füßen verlor. Frei baumelten sie in der Luft, während ich versuchte den kräftigen Arm von mir zu drücken. Doch es gelang mir nicht. Also versuchte ich es mit meinen Beinen, sie trafen die Person zwar, jedoch zeigten sie keine Wirkung. Als ich meinem Angreifer in die Augen blickte, blieb meine Welt stehen. Nein, das konnte nicht wahr sein...
Der Kopf des Mannes vor mir wurde durch eine Kapuze bedeck. Die perfekt sitzende Maske schmiegte sich an seine Nase und verdeckte den unteren Teil seines Gesichtes. Doch egal wie sehr er sein Äußeres verschleierte, würde ich diese Augen überall wieder erkennen. Wütend funkelten mir die Augen eines Raubvogels entgegen und nahmen mich ins Visier, während ich an der Wand baumelte wie seine nächste Mahlzeit. Die Waffe, welche auf seinen Rücken geschnallt war, erkannte ich sofort. Eine Armbrust. Meine Unterlippe begann zu beben und um nicht den letzten Faden vor dem Zusammenbruch zu verlieren, schloss ich die Augen, um ihn dort im Wald zu sehen. Wie er die Waffe hob und abdrückte.
Zitternd holte ich Luft und öffnete sie wieder, um noch einmal in diese grausamen Augen zu schauen, die mich voller Abschaum betrachteten und mich umso mehr verwirrten.
„David...", sagte ich dumpf.
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Charlotte - tödliches Verlangen
VampireSeit dem Tod von Charlottes Mutter, ist ihr Leben auf den Kopf gestellt. Neben der Schule und dem Haushalt, kümmert sie sich noch um ihre kleine Schwester. Trotz der Verzweiflung, die sie manchmal überfällt, behält sie eine klare Fassade: so wenig G...