Kapitel 18 - Tränen

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Als ich beim Marktplatz ankam, war der Himmel bereits in ein tiefes Orange gehüllt und man sah die Sonne gerade noch über den Dächern dahinschmelzen. Doch neben den einzelnen Menschen, die den Platz überquerten, sah ich weder meine Schwester noch Irgendjemand der wie mein Vater aussah. Hillcord war nicht die größte Stadt und so hielt ich die wenigen bekannten Gesichter an und fragte nach meiner Schwester. Doch neben einem Kopfschütteln oder einer Entschuldigung bekam ich keinen Hinweis auf den Verbleib von Lilly. Nachdem ich kaum noch eine Möglichkeit hatte, begann ich die Geschäfte abzusuchen. Valentins Eiscafé hatte bereits geschlossen, doch obwohl noch Licht im Geschäft brannte, brachte das Klopfen ihn nicht zurück in den Laden. Verunsichert drehte ich mich um und erblickte die Ladenbesitzerin des kleinen Supermarktes, wie sie sich mit David unterhielt. Das Hemd, welches er heute früh getragen hatte, hatte er gegen ein Shirt und eine Sweatshirt Jacke ausgetauscht. Egal wie sehr ich ihm auch aus dem Weg gehen wollte, die Situation war deutlich ernster als meine kindischen Gefühle. Ich joggte auf sie zu und unterbrach nur ungern das Gespräch zwischen ihnen.

„Habt ihr vielleicht meine Schwester gesehen?", grätschte ich außer Atem dazwischen.

„Nicht, seit du das letzte Mal mit ihr bei mir warst.", antwortete sie und schaute mich neugierig an. Unruhig raufte ich mir durch die offenen langen Haare. Mein hektisches Verhalten bemerkte David sofort.

„Beruhige dich.", sagte er und packte mich an meinem Arm, um meine Bewegungen einzuschränken. „Sag uns erst einmal was passiert ist."

Ich blickte auf und sah ihm in die goldenen Augen. Wachsam und besorgt suchten sie nach einer Antwort und tatsächlich beruhigten sie mich ein wenig. Zumindest so weit, dass ich ihm klar sagen konnte, was passiert war.

„Sie ist verschwunden. Angeblich soll mein Vater sie abgeholt haben, aber ich erreiche ihn nicht und zuhause war auch keiner.", gab ich mit zitternder Stimme wieder. „Ihr kann sonst was passiert sein!"

Die Verkäuferin zog scharf die Luft ein und rieb sich über die Stirn. „Dass so etwas einmal in Hillcord passiert. Erst der Junge und dann die Kleine..."

Ihre Antwort war wie ein Schlag in die Magengrube. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken herunter, denn Finlay hatte ich, seitdem Lilly weg war, verdrängt. Die unterdrückte Panik kam noch stärker hervor als sie bereits vorhanden war. Davids Griff löste sich und er schaute die Verkäuferin verständnislos an. Sie bemerkte, was sie mit ihrem Satz ausgelöst hatte, und schlug die Hand vor ihren viel zu redefreudigen Mund.

„Ah... entschuldige."

„I-ich muss jetzt los.", ich wechselte noch einen Blick mit David und wandte mich dann ab. Rasch ging ich von den beiden weg und auch wenn ich wahrnahm, wie er meinen Namen rief, ging ich einfach weiter. Ich hatte keine Zeit für noch ein solch sinnloses Gespräch. Es wären doch nur die gleichen Aussagen:

„Hast du die Polizei schon kontaktiert?"

„Sie ist sicher nur bei deinem Vater."

„Ruf ihn doch noch einmal an."

„Warst du schon zuhause gucken?"

Ich wechselte die Straßenseite und ging mit schnellen Schritten zu Grace. Doch auch sie konnte mir Lillys Aufenthaltsort nicht sagen. Sie konnte doch nicht einfach so verschwinden. Irgendjemand musste sie doch gesehen haben. Ich wollte schon wieder gehen, als Grace mich noch einmal zurückhielt.

„Ich helfe dir suchen!" Ihre Stimme klang stark, dabei hatte sie genauso viel Angst wie ich. Ich lief im Laden auf und ab, während sie sich schnell eine Jacke schnappte. Sie schloss hinter uns gerade den Laden ab, als der rote Pickup vorfuhr. Die Beifahrertür flog auf, ohne dass er komplett zum Stehen kam. Ich blickte auf David der halb über den Sitz gelehnt war und mich ernst anschaute.

Charlotte - tödliches VerlangenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt