[1-Indra]

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Ich schrecke hoch, mein Atem geht ungleichmäßig und mir schießen Tränen in die Augen, welche ich allerdings erfolgreich wegblinzel.
Nachdem ich mich ein wenig beruhigt habe, sehe ich mich erstmal überfordert um.

Es ist wahr. Kein Traum. Es ist wirklich passiert. Unser Haus... meine Familie... und ich... ich...
Wo bin ich hier? Aber ich dachte ich... wäre tot. Der Junge, stimmt ja. Er hat mich gerettet. Und dann vermutlich hierher gebracht.
Aber wieso hat er das getan?

Erst als ich neben mir ein Räuspern vernehme, drehe ich mich um und sehe in das Gesicht eines alten Mannes. Er ist besonders, das sieht man ihm an.
Er hat lilafarbene Augen, zwei Hörner, einen roten Kreis auf der Stirn und einen Ziegenbart.
Dazu trägt er ein weißes Gewand mit einigen schwarzen Tomoe darauf.

,,Es ist alles gut, du brauchst keine Angst zu haben, du bist in Sicherheit.", redet er mir zu.
,,Ich habe keine Angst.", antworte ich abwesend. Mein Blick schweift wieder durch den Raum.

Der Raum ist fast größer als unser ganzes Haus war... Dazu noch dieser merkwürdige Mann...
Bin ich vielleicht doch tot und es ist einfach alles ganz anders als man es sich vorstellt? Wäre keine dumme Erklärung, aber trotzdem bezweifle ich es.

Der alte Mann folgt meinem Blick, der über die beige gestrichenen Wände gleitet, über die Kommoden und Schränke, ein Bücherregal, das große Glasfenster mit weißen Vorhängen. Alles ist farblich komplett harmonisch. Auch das Bett, was um einiges größer ist, als ich es bisher gewohnt war.

Hier ist alles so groß, so schön, irgendwie einladend, friedlich, man könnte sich sofort wohlfühlen.
Nur erklärt es meine ganzen Fragen nicht.

Doch dann widme ich mich wieder dem alten Mann. Schließlich ist es ganz schön unhöflich von mir, ihn einfach so nebenbei zu behandeln, er hat sich vermutlich um mich gekümmert, so wie er da neben dem Bett steht.

Unsere Blicke treffen sich und er wirkt zwar auf den ersten Blick wie ein strenger alter Mann, aber seine Augen spiegeln auch so etwas harmonisches wieder.

,,Du hast bestimmt einige Fragen.", beginnt er erneut ein Gespräch und ich nicke schüchtern.
,,Aber ich weiß nicht so recht, wie ich sie formulieren soll...", gebe ich kleinlaut zu und seine Mundwinkel zucken sichtbar in die Höhe.
,,Dann versuch es einfach.", rät er mir.

Ich wickel abwesend eine Haarsträhne um meinen Finger und überlege.

Was soll ich denn eigentlich fragen?
Wo ich bin, wer er ist, wer der Junge war, wieso er mich hierher gebracht hat...

,,Haben sie sich um mich gekümmert?", frage ich stattdessen und erhalte ein nicken.
,,Danke.", flüster ich schon beinahe und drehe verlegen den Kopf zur Seite.
,,Selbstverständlich. Ich lasse doch kein Kind auf sich alleine gestellt. Wie alt bist du denn eigentlich?", wechselt er das Thema.
,,Acht.", entgegne ich zögerlich.
,,Glaube ich."

Ich erinnere mich nicht, es ist nur so ein Gefühl.

,,Und verrätst du mir deinen Namen?"
Ich zwinker ihn verwirrt an und blicke dann gen Decke, um nachzudenken.
,,Mein Name...", murmel ich, in der Hoffnung so meine Gedanken ankurbeln zu können, aber ich komme nicht drauf.
,,Er...fällt mir gerade nicht ein.", gebe ich zu und irgendwie zieht mich das selbst runter.

Der alte zeigt allerdings Verständnis dafür und winkt ab.
,,Kein Problem, das kommt bestimmt noch.", lächelt er mich an und ich erwidere es leicht.
,,Ich bin Hagoromo.", teilt er mir dann noch mit und ich nicke leicht als Antwort.

Die Stille wird erst wieder gebrochen, als es an der Türe klopft. Hagoromo bittet die Person rein und die große Türe öffnet sich. Neugierig sehe ich an dem Mann vorbei und ein Kind kommt rein.
Erst als er nähertritt, erkenne ich, dass es der braunhaarige Junge ist, welcher mich gerettet hat und meine Gefühle fahren, wenn ich ihn ansehe, Karussell.
Alles von Verwunderung, über Enttäuschung, zu Hass und dann wieder Dankbarkeit. Ich kann nicht einordnen, wie es mir gerade geht.

Doch blitzartig werde ich auch wieder durch die Stimme von Hagoromo aus meinen Gedanken gerissen, somit löse ich auch meinen Blick von dem Jungen und wende ihn dem Erwachsenen zu.
,,Ich lasse euch beide dann alleine. Indra kann dir bestimmt helfen, wenn du was brauchst."
Ich nicke ihm zu und er dreht sich um. Kurz darauf verschwindet er hinter der Türe und dann wandert mein Blick wieder zum Jungen, der mich aus seinen schwarzen Augen heraus ansieht.

,,Geht es dir gut?", beginnt er dann, als auch langsam mir der Augenkontakt zu viel wird.
,,Alles okay."

Irgendwie scheint er sich selbst nicht ganz wohl zu fühlen. Ich frage mich, woran es liegt, möchte es aber nicht aussprechen.

,,Du heißt Indra, oder?", frage ich dann zögerlich, als mir wieder einfällt, dass der alte ihn eben so genannt hat und er atmet - beinahe erleichtert, habe ich das Gefühl - aus.
,,Genau und wer bist du?"

Seine Augen zeigen eine gewisse Neugier, weshalb es mir schwerfällt ihn zu enttäuschen. Daher drehe ich meinen Kopf zur Seite, um ihn nicht weiter ansehen zu müssen und schüttel knapp den Kopf.
,,Weiß ich nicht mehr."

Diese ganze Unterhaltung scheint, genau so für ihn, wie auch für mich, unangenehm. Egal, was einer von uns sagt, direkt danach schweigen wir wieder beide.
Aber genau das möchte ich nicht, also reiße ich mich zusammen und erhebe wieder das Wort.

,,Du hast mich gerettet?"
Meine Stimme versuche ich dabei so ruhig wie mögliche zu halten, klingt daher aber eher etwas unsicher.
,,Ja."

Wieder Stille, in der meine Gedanken abschweifen, die Frage wieso er mich gerettet hat, lässt mich einfach nicht los.

,,Können wir... ich weiß nicht... rausgehen?", frage ich dann, sehe ihn wieder leicht an und er bejaht es mit einem Nicken.

,,Das Lächeln auf seinen Lippen hat mich in dem Moment unfassbar verzaubert, es sah unfassbar liebevoll aus."

Gottes Gesandter - IndraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt