[6-Hoffnung]

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Es ist bereits beinahe eine Woche vergangen, seitdem ich hier bin und immer noch grübele ich über dieses Angebot. Einerseits sind hier alle nett, Ashura meinte sie würden sich freuen, wenn ich bleibe und an Platz scheint es hier definitiv nicht zu mangeln, da macht ein Kind mehr oder weniger auch keinen großen Unterschied... Aber andererseits fühle ich mich doch immer wieder unwohl mit diesen hohen Decken, irgendwie beängstigt es mich manchmal sogar...

Als ich ein Klopfen an der Türe höre, schwinge ich mich aus dem Bett und gehe hin, um sie zu öffnen. Dahinter kommt Indra zum Vorschein. ,,Habe ich dich geweckt?", fragt er vorsichtig, aber ich schüttele nur schnell den Kopf. ,,Nein, ich war schon wach.", entgegne ich und er atmet erleichtert auf. ,,Willst du mit in die Bibliothek kommen?", fragt er stattdessen und ein Lächeln huscht über meine Lippen. Beinahe wäre ich einfach sofort losgelaufen, da fällt mir doch schlagartig wieder ein, dass ich immer noch ein Nachthemd trage, weshalb ich etwas verlegen an mir runterschaue. ,,Natürlich, aber... geh ruhig schon mal vor, ich komme gleich nach." Ohne auf eine Antwort zu warten, knalle ich die Türe hastig zu und ehrlich gesagt kann ich mir nicht erklären wieso, aber es ist mir wirklich ein wenig peinlich, dass er mich so gesehen hat.

Eilig schlüpfe ich in neue Klamotten, kämme meine Haare, binde sie zu einem Zopf und atme noch mal durch. Aus irgendeinem Grund werde ich immer wieder nervös, wenn Indra dabei ist. Das sollte dringend aufhören.

Entschlossen trete ich vor die Türe, wo immer noch Indra steht und ich gehe mein Gesagtes noch einmal im Kopf durch. Aber er scheint trotzdem hier gewartet zu haben. Er reicht mir seine Hand und ich schließe zuerst verwirrt die Türe hinter mir. Dann lege ich meine Hand zufrieden lächelnd in die Seine und so laufen wir durch das Anwesen, bis zur Bibliothek, wo wir den ganzen Vormittag verbringen. Und nach dem Mittagessen nimmt er mich mit in die Berge, da ich ihn darum gebeten hatte. Am Abend setzen wir uns in das Gras der Wiese, wo er mich auch bereits an meinem ersten Tag hingeführt hatte. Und ich kann einfach nicht anders als mich wohl zu fühlen. An diesem Ort, bei diesen Menschen, bei Indra auf dieser im Mond strahlenden Wiese.

,,Diese Wiese war ein so simpler Ort und trotzdem kamen wir dorthin immer wieder zurück. Es war einfach unsere Wiese, auf der so viel passiert ist. Gute und schlechte Erinnerungen verbinde ich gleichermaßen mit diesem Ort, aber jedes Mal wegen Indra."

Und an dem Abend stellt er mir noch eine einzige Frage. ,,Wirst du uns verlassen?", er sieht unsicher zu mir rüber und ich habe das Gefühl, es lag ihm die ganze Zeit schon über auf der Seele. Seine Augen spiegeln zahlreiche Emotionen wieder, die meisten kann ich gar nicht benennen. ,,Ich...", nach dem ersten Wort breche ich ab. Auf einmal fällt mir die Frage gar nicht mehr schwer zu beantworten, der Tag mit Indra war großartig, wieso sollte ich hier jemals wieder weg wollen? Nur sehe ich meine kleine Schwester, wenn ich in seine Augen sehe. Und das verwirrt mich.

Das Bild meiner Schwester, was ich vor meinem inneren Auge habe, hält mir immer noch die Hand entgegen. Aber ich kriege sie nie zu fassen, vorher wird immer alles schwarz und ich befinde mich wieder in den Trümmern unseres Hauses. Wo ich sterben wollte... Aber würde ich es immer noch wollen, wenn ich die Chance dazu kriege? Nein. Wieso nicht? Seit Indra mich gerettet hat, ist irgendwas anders. Als wäre nicht Alles verloren, als wäre da noch ein Teil übrig geblieben, ein Hoffnungsschimmer. Und an den will ich mich klammern, deswegen will ich bei ihm bleiben. An seiner Seite. Für immer.

,,Ich möchte gerne bei dir bleiben, bei euch allen.", entscheide ich schließlich und mein Gegenüber entspannt sich schlagartig. Mir ist gar nicht aufgefallen, wie lange wir uns nur stumm angesehen hatten und wie dick dadurch die Luft zwischen uns geworden ist. Aber es fühlt sich gerade wirklich gut an es ausgesprochen zu haben.

,,Wirklich?" ,,Sicher."

Die Hoffnung ist der Regenbogen über dem herabstürzenden Bach des Lebens. - Friedrich Nietzsche

Gottes Gesandter - IndraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt