Oblivion

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In den nächsten zwei Tagen ging Alea vor allem ihren Pflichten nach: Sie backte Kekse, schrubbte einmal das Deck, lernte Englisch und Gebärdensprache, übte mit dem Rest der Cru die Songs und erzählte ihren Eltern von den vergangenen Ereignissen. Doktor Orion war noch immer im Salon, doch sie würden ihn auf Sizilen in Syrakus absetzten. Und heute Nachmittag würden sie dort ankommen, hatte Ben gesagt.

Gerade lauschte sie den Gitarrenklängen von Lennox, der in die Mädchenkajüte gekommen war und nun ein paar ihrer Lieder spielte. Sie selbst sang manchmal ein wenig dazu oder murmelte die Texte einfach nur mit. Ihre Schulter war an die seiner gelehnt und sie schaute aus dem Bullauge. Er nieselte draußen, darum befanden sich alle unter Deck, wo es sehr eng wurde.

Es war gemütlich in dem kleinen Raum, allein mit Lennox. Die Tage zuvor kamen immer irgendwelche lauten Geräusche von der Küche her, Sammy tobte herum oder sie waren einfach nicht allein zusammen. Doch heute, an diesem Regentag war es auf dem Schiff still geworden. Vielleicht lag das auch nur an ihrer Anspannung, wegen der morgigen Videokonferenz die immer näher rückte.

Leise hörten sie Tante Hildegard fiepen, die von Tess in der Küche gefüttert wurde. Daraufhin kam auch ein unverkennbares ziegenartige Geräusch. Fussel war wohl auch auf der Crucis, Sammy musste sie vor dem Regen reingeholt haben. Normalerweise mochte Alea Regen ja, doch jetzt würde sie nichts lieber machen, als einfach hier bei Lennox zu bleiben.

Gerade spielte er Anker im Sturm und auch sie summte mit. Alea ertappte sich sogar dabei, wie ihre Finger kreisartige Bewegungen gemacht haben. Sie war es wohl ziemlich gewohnt, auf ihren Gläsern zu spielen.

Bald holte Tess sie zum Essen in den Salon. Selbst Orion bekam etwas von den Sachen ab, die aufgetischt waren, doch mitnichten hätte er beim Tisch sitzen können – die Plätze waren in letzter Zeit zu überfüllt.

Hastig schlang sie alles herunter, aber letztendlich dann doch nur, um auf die anderen zu warten, bis sie fertig wurden. Alea hatte auch keine Ahnung, weshalb sie so schnell gegessen hatte, aber vielleicht lag es ja wirklich an der Aufregung...?

Auch dieser Tag verging so langsam, als hätte man Kaugummi an sie gehaftet. Doch dann lag sie im Bett in ihrer Koje, Tess lag über ihr und war schon nach kurzer Zeit eingeschlafen.

Ihr selbst schwirrten noch viele Gedanken durch den Kopf, die vor allem um ihre Zukunft gingen.

Klapp, Computer hochgefahren. Angespannt beobachteten Alea, Lennox, Nelani und Keblarr, wie das Programm langsam geladen wurde. Es war wirklich nicht mehr das neuste Gerät, doch es hatte seine Dienste gut erfüllt, seit sie ihn nicht noch für viel mehr gebraucht hatten.

Als es endlich soweit war, gab Lennox die zwei Passwörter ein, klickte sich hindurch und schließlich tippte er auf den Link für die Videokonferenz. Aufgeregt sah Alea dabei zu, wie nach und nach immer mehr Bilder aufploppten, alle von anderen Meerkindern. Da gab es ein paar Darkoner, Zalti, Schai, Anschu, Wanderer, Kendarer und noch viele mehr, viele wusste sie aber nicht, was sie waren und welche Aufgaben sie zu erfüllen hatten. Deshalb waren ja auch Nelani und Keblarr da. Sie konnte Zuzana erkennen, Mio, Nexon, Isla, Yasin und Siska. Der Oblivion Nexon winkte gleich in die Kamera und dieser Gruß galt wohl vor allem Lennox.

Es wurden immer mehr und Alea hatte bereits aufgegeben zu zählen, wie viele es waren. Doch dann tat sie es doch. Es waren hundertvier. Hundertvier Meerkinder.

Der Elvarion-Modus hatte innerhalb von Sekunden schon eingesetzt, nachdem sie in die Videokonferenz reingegangen waren. Alea war auch nicht sicher, was sie ohne ihn getan hätte. Lennox drückte ihre Hand und schaltete die Kamera an. Förmlich konnte sie spüren, wie alle Blicke auf sie wanderten. „Hallo", sagte Alea und bei den paar Kindern, die bei der letzten Konferenz nicht dabei gewesen waren, konnte man die Verblüffung in ihrem Gesicht ablesen. Denn sie sprach Hajara, und das verstanden sie. Es gingen ein paar undeutliche Begrüßungen durch die Runde und als es wieder leise war, fuhr sie fort. „Für die, die mich noch nicht kennen: ich bin Alea Aquarius." Sie erklärte, was es mit den Knubbeln auf sich hatte, mit der Sehnsucht nach dem Wasser, mit der angeblichen Kaltwasserallergie. Es wurden ähnliche Fragen wie das letzte Mal gestellt, doch zu Stämmen, die sie noch nicht kannte, konnte Alea einfach Nelani und Keblarr fragen. Dann meldete sich Nexon zu Wort: „Wieso ist die letzte Konferenz ausgefallen?" Unzählige Augenpaare waren auf sie gerichtet. Alea holte einmal tief Luft und begann mit ihrer Erzählung. „Zu der vereinbarten Zeit waren wir in Brighton. Doktor Orion hielt uns auf unserem Schiff gefangen, und..." Ihre Stimme versiegte. „Und...", versuchte sie es ein weiteres Mal. Zum Glück nahm dann aber Nelani ab. Und während sie den Meerkindern die Geschehnisse berichtete, fiel Alea auf einmal Zeirus ein. Ihr Blick suchte nach Siska, die sie schnell fand, wegen ihrer nachtschwarzen Haut und den ungewöhnlich leuchtenden Augen. Wusste sie von ihrem Vater? Sollten sie ihr von ihm erzählen? Da merkte sie, dass Nelani fertig war. Den Kindern hatte es die Sprache verschlagen, keiner erwiderte etwas. „Der Virus ist ebenfalls unschädlich gemacht!", platzte es schließlich aus Alea heraus.

Mein Alea Aquarius 7Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt