Während sich auf der Erde, genauer gesagt auf Eden, seltsame Entwicklungen ergeben – während Dean und Ryan nach dem Überfall auf die mondbeschienene Lichtung treffen, die sie zu den Gaia führen wird, während Daya, Allie und Tacco als dunkle Gestalten und von hochgewachsenen Fichten, Palmen und ausladenden Büschen noch am Rand der Lichtung umherirren -, spielen sich in El Dorado, hoch oben über Eden, ganz andere Dinge ab.
Die heilige Stadt des Goldes, wie sie in Insiderkreisen auch genannt wird, kennt all die Sorgen und Probleme von Eden nicht – oder besser gesagt, blendet diese buchstäblich in all dem Gold und Sonnenlicht und den funkelnden Reichtümern, dekadenten Speisen sowie den prunkvollen Festen leicht aus. Sorglos und nur darauf bedacht, die regelmäßigen Tribute der Arbeiter Edens einzuziehen sowie sich von den Androiden jeden Wunsch von den Lippen ablesen zu lassen, noch bevor sie ihn überhaupt gedacht haben, dreht sich ihr Leben ansonsten wortwörtlich nur um die Sonne.
Denn El Dorado liegt tatsächlich direkt an der Sonne, wurde vor Jahrhunderten von den ersten Androiden um die Sonne herum errichtet. Damals hatte man fast alle verbliebenen Ressourcen auf der Erde für diesen Zweck verbraucht. Bergwerke wurden bis auf den Grund und noch weiter geplündert, Kohlenstoff für Diamanten und andere Mineralien, Erdöl, Erdgas, Uran, Grundwasser wurde extrahiert, ganze Wälder gerodet – und das alles um eine goldene Stadt mit Stränden, Clubs, mächtigen Gebäuden und der neuesten Technologie erbauen zu können. Heute ist es schwer zu sagen, doch das müssen auch die Jahre gewesen sein, in denen El Dorados oberste 100 mit den Experimenten begannen. Experimente, die von Tag zu Tag, Woche zu Woche, Monat zu Monat und schließlich Dekade zu Dekade die Kraft der Sonne zu ihren Zwecken minderten. Sie modifizierten, um gewisse Extrakte zu gewinnen. Denn irgendwann wurde das Leben in El Dorado doch recht langweilig und es blieb den Einwohnern nur noch, mit dem Leben selbst zu experimentieren.
Auch heute ist wieder einer dieser Tage, an denen der Herrscher, der mächtigste Mensch – das mächtigste Wesen – El Dorados und Edens, in seinem mit rotem Samt überzogenen Thron im obersten Stockwerk des verglasten Plazas sitzt und bedächtig auf einen der zahlreichen Knöpfe des Armaturenbretts an der Lehne drückt. Im gleichen Augenblick verschwinden auch schon die Glaswände und er kann die warme Luft El Dorados auf der bleichen Haut spüren. Gedankenverloren umfasst er mit der freien Hand den gläsernen, diamantförmigen Anhänger an seinem Hals mit der lilafarbenen Flüssigkeit darin. In El Dorados Nachmittagssonne – ja, mittlerweile haben sie es geschafft, die natürliche Sonne durch Ressourcenverbrauch und Experimenten mit Androiden sogar zu dimmen und nach Belieben anzupassen – glitzert der Extrakt fast violett schillernd auf.
Von hier oben, dem höchsten Punkt über Eden, dem höchsten Punkt El Dorados, fühlt er sich immer am mächtigsten. Jedes Geschöpf, jede Kreatur, sind ihm unterstellt, er kann alles und jeden überblicken. Nur eines stört ihn hin und wieder: Bislang hat es noch kein Android und nicht der renommierteste und ambitionierteste Wissenschaftler dieser Erde geschafft, ihn einen Blick ins Reich der Toten werfen zu lassen. Nur so könnte er sicher sein, dass seine Frau tatsächlich bei ihr ist. Vor jetzt fast 21 Jahren hat sie es tatsächlich fertiggebracht, mit ihr spurlos zu verschwinden. Und auch, wenn es nicht möglich ist, dass sie überlebt haben – so ganz ohne Anschluss in Eden und mit Spitzeln in allen Vierteln der Stadt verteilt, irgendetwas in ihm lässt ihm seit 20 Jahren und zehn Monaten keine Ruhe.
Valerius sagt immer, es liegt an den Nebenwirkungen des Tranks und dass er ein nervöses Leiden habe, welches ihn oft auch nachts wachliegen lässt. Und wahrscheinlich hat er recht. Doch gerade an diesem späten Herbstnachmittag packen ihn die irrationalen Vorstellungen wieder wie die emsigen Hände und Körper der Androiden die Extraktion des Sonnenlichts vornehmen. Seufzend schüttelt er den Kopf, drückt einen weiteren Knopf auf seiner Armlehne und wird auf einer aus dem weiß glänzenden, hochpolierten Boden erscheinenden fast durchsichtigen Schiene mitsamt seines Throns aus seinem Reich in die schwindelerregende Höhe von 500 Metern befördert. Die unsichtbare Schiene quietscht unter dem Gewicht des tonnenschweren Diamantenthrons noch nicht einmal.
Langsam dreht sich der bleiche, schwarzhaarige Mann um. Er blickt in sein Reich, welches von Palmen und kleinen Teichen mit Brunnen, welche steinerne Fischskulpturen und Darstellungen von ihm selbst als Gott mit gezackter Krone zeigen, gesäumt ist. Der schwere mahagonifarbene Schreibtisch an der einen Wand und der flackernde Bildschirm, der sich über die gegenüberliegende Wand zieht, werden immer kleiner, je weiter er sich durch die Luft fahren lässt.
Mit einem schiefen Grinsen auf den schmalen Lippen stützt er sein kantiges Gesicht in eine Hand und schließt die funkelnden grünen Augen. Irgendwann drückt er auf „Stop" und ist – wie erwartet – genau am Rand El Dorados angelangt. Von hier hat er den besten Blick auf Eden und die ameisengroßen Kreaturen, die dort wohnen.
Und irgendwie spürt Uranos in dem Moment das erste Mal überhaupt so etwas wie eine böse Vorahnung, als er auf die mangels ausreichender Sonnenstrahlung und dem Knopf, den er in dem Augenblick presst, mittlerweile schon im Dunkeln, weit unter ihm liegende Stadt blickt.
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BEFORE THE SKY TURNED BLACK
Short StoryEden, 3021: Dean, Allie, Daya, Ryan und Tacco sind an die menschenunwürdige, ausbeuterische und schlichtweg verlogene Gesellschaft Edens gewöhnt. Noch wissen sie nichts von der starken Verbindung, die sie zusammenführen wird. Dean hält sich mit Hack...