URANOS

12 4 0
                                    

Blitzartige Bilder leuchten vor seinen grün funkelnden Augen auf, während er angestrengt auf das dunkle, schwarze Eden blickt. Irgendwie ist sich Uranos ihm ersten Moment gar nicht sicher, ob es sich hier um Erinnerungen, Dinge, die er schon einmal gesehen hat, handelt - oder vielmehr um Visionen. Es wäre nicht das erste Mal, dass er Visionen hat. Und schon wieder blitzen ihm in all den vor seinem geistigen Auge rasenden Bildern diese grünen Augen entgegen. Es sind allerdings nicht seine eigenen.

Von einem unwillkürlichen Zittern ergriffen, welches sich um seine schmalen Schultern und die Knöchel schließt, und daraufhin seinen restlichen Körper packt, drückt er den metallenen Knopf auf seinem Armaturenbrett. Augenblicklich fährt der Thron mit Uranos wieder in sein Plaza hinein, sein Reich. Da er noch immer nicht aufhört, zu frösteln, fährt er die Glaswände hoch, sobald er wieder den weiß polierten Boden unter sich und dem Thron spürt. Dieser Anfall hat definitiv nichts mit den recht mild regulierten Temperaturen zu tun, die um diese Uhrzeit draußen vorherrschen. Er hat sie bereits für die gesamte Woche vorprogrammiert.

Nein, ein Blick auf den glänzenden Boden, in dem sein blasses Gesicht kontrastiv zu den schwarzen Haaren erschreckend bleich erscheint - mehr als sonst -, verrät ihm, dass es eine weitere Nebenwirkung ist, die er gerade erlebt.

Und in dem Moment sieht er auf dem Boden nicht mehr sein jetziges Ich, sondern das Ich, welches vor einer langen Zeit das erste Mal von diesem eisigen Zittern durchgeschüttelt wurde.

----------------------------------------------------------  

Damals stürmte es draußen fürchterlich. Entnervt stand Uranos zum wiederholten Male auf, um die Fenster- und Türenabdichtungen zu kontrollieren, damit seine Frau endlich Ruhe gab.

Zum wiederholten Male dachte er dabei an das Gespräch, das er mit seiner Frau geführt hatte, gleich nachdem sie nach der Geburt wieder bei Sinnen gewesen war. Dieser erschrockene Blick, als er ihr gesagt hatte, sie könnten in El Dorados Thronfolge nichts mit einem Mädchen anfangen. Ihr kläglicher Protest, der in ein erschütterndes Schluchzen gemündet war.

Seitdem hatte er sie in Ruhe gelassen, bedacht darauf, ihr und damit dieser Ausgeburt des Tartaros jeden Wunsch von den Lippen abzulesen - bis er es selbst beenden konnte. Dabei wandte er sich jedes Mal zitternd von dem kleinen Wesen mit den großen, funkelnden Augen ab, da er ihren Anblick, diese mächtige Lichtpräsenz, einfach nicht ertragen konnte.

Die volltechnisierte Anlage seines Plazas wurde zwar von außen von dem Sturm etwas mitgenommen, doch hier drinnen konnte nicht passieren - zumindest nichts, was von dem Sturm ausging.

"Es ist alles in Ordnung, Darling", sagte Uranos ruhig, als er sich kurz seiner Frau zuwandte, dabei größte Anstrengung hatte, den Blick nicht auf das kleine Kind neben ihr zu senken.

"Samael, wir müssen darüber reden..." Laynas Stimme brach erneut und trotz des abstoßenden, fast bedrohlichen Gefühls des Menschen neben ihr, erfüllte ihn ihre Trauer mit einem bleiernen Schmerz. Seine schwarzen Lackschuhe klackerten über den weiß polierten Boden, vorbei an den Palmenblättern, die er im gesamten Plaza hergerichtet hatte, um Layna eine möglichst angenehme Geburt zu ermöglichen. Bevor er gewusst hatte, was sie da gebären würde.

Uranos stand jetzt so nah vor ihnen wie noch nie - bisher hat er seine in weißen Kostümen gekleidete Dienstmädchen vorgeschickt, die sich um die ganzen Entbindungs- und anderen Geburtsangelegenheiten kümmern sollten, von denen er selbst keine Ahnung hatte.

Und in dem Moment geschah es.

Zunächst war es nur ein leichtes Zittern, er hatte es schon mehrmals in den letzten Monaten gespürt. Er hatte es jedes Mal auf den violett schimmernden Trank geschoben, irgendwann mussten schließlich auch mal Nebenwirkungen auftauchen. Und der Nutzen war eben weitaus höher. Doch das hier war anders. Uranos wurde von einem heftigen Zucken durchschüttelt, er blickte an seinem seidigen, schwarzen Anzug, der schwarzen Hose hinunter, und spiegelte sich in dem weißen Boden. Sein weißes Gesicht erschien ihm in dem Augenblick fast durchsichtig, so, als sei alle Kraft, alles Leben, aus ihm gewichen. 

Das Tartaros-Kind begann bereits, ihn zu vernichten. Uranos richtete langsam den Kopf auf Laynas strahlend blaues Himmelbett, die pastellfarbenen Seidenvorhänge und versuchte, einen Punkt zu finden, an dem er sich festhalten konnte. Doch alles drehte sich immer schneller. Er fühlte sich wie damals, als er auf dem großen, weißen Pferd mit der goldenen Krone aus diesem Karussell gesessen hatte, das extra für seinen Geburtstag angefertigt worden war. 

Die grünen Palmenblätter, das blaue Himmelbett, der dunkle, schwere Mahagonitisch, die strahlend weißen Wände und Böden und schließlich die stürmende Außenwelt, doch vor allem die hell strahlenden Augen des kleinen Kindes, die ihn unaufhörlich fixierten, drehten sich immer schneller und schneller. Alles verschwamm zu einem Farbgewirr und im nächsten Moment spürte Uranos den kalten Boden auf seinen flammenden Wangen.

"Samael!"

Der entsetzte Schrei seiner Frau drang nur langsam, gedämpft, wie durch einige Schichten von Kissen und Laken, zu ihm durch. Er antwortete mehrmals, bevor ihm seine Stimme tatsächlich gehorchte, dass alles in Ordnung sei. Doch da hatte Layna bereits angefangen, zu schluchzen, denn seine Bediensteten und Berater reagierten nicht, als sie den roten Rubinknopf auf dem Mahagoninachttisch drückte, um ihrem Mann zu helfen.

Endlich kamen sie durch die Tür, hoben Uranos hoch, und er konnte sich nicht einmal wehren. Endlich fand er eine Stimme wieder, hauchte Layna zu, dass sie das klären würden und dass es ihm gut ging, und dann wurde er abtransportiert.

Und es war in dem Moment, dass er wusste, dass das Kind besonders war. Und nicht nur, weil es ein Mädchen war, was zunächst wirklich der Grund dafür war, es vernichten zu müssen. Nein, dieses Kind hatte sonderbarerweise die Macht, ihm Leben zu geben oder zu nehmen, das wurde ihm in dem Augenblick ganz klar. Und deswegen musste es verschwinden.

-------------------------------------------------------------------

Versunken in diese Szene aus seiner Vergangenheit merkt Uranos erst nach einigen Minuten, dass die Freisprechanlage, die in den Bildschirm integriert ist, die Wand, an der damals Laynas Bett gestanden hatte, unaufhörlich klingelt.

Entnervt lehnt er den eingehenden Anruf seines Beraters ab, fragt sich stattdessen zum hundertsten Mal, wie Layna es damals gelungen ist, mit dem Kind zu verschwinden, bevor die Ärzte ihn behandelt und wieder zu ihr gelassen hatten. Irgendwo musste ein Maulwurf in seinen Untergebenen sein. Und er hatte es bis zu dem Tag nicht gefunden.

Doch eines wird ihm jetzt klar: Dieses Kind, das damals mitsamt seiner Frau verschwunden und höchstwahrscheinlich bei dem Fluchtversuch umgekommen ist, könnte heute sein Schlüssel zur Heilung sein.

Denn dass er wegen der schwindenden Ressourcen - auch aus der Sonne - kaum mehr als einen halben Raum voller Lebenselixier übrig hat, wird ihm früher oder später zum Verhängnis werden, wenn er keine Lösung dafür findet.

BEFORE THE SKY TURNED BLACKWo Geschichten leben. Entdecke jetzt