Regentropfen sprenkelten ihr Gesicht und ließen in der Dunkelheit kaum etwas erkennen. Über die Jahre hatten die Blutmagier Wege gefunden, die Nächte zu einem Martyrium für Diebe werden zu lassen, indem Gargyle nachts hungrig auf den Dächern umherstreiften, und nur darauf warteten, dass ein Dieb auf der Flucht vor den Straßenpatrouillen sein Glück versuchte und zu ihnen heraufkletterte.
Aber Moira hatte nicht so lange überlebt, um nun kampflos aufzugeben. Bereit zum Angriff ging sie in Deckung und balancierte das Messer zwischen ihren Fingern. Die Anspannung ihrer Gefährten - oder war es ihre eigene? - war fast zum Greifen, als sie es ihr gleichtaten und sich in die Schatten duckten.
Über der Dachrinne kam ein rundlicher Kopf zum Vorschein. Braune, vom Regen nasse Strähnen klebten ihm im Gesicht. Allmählich entspannten Moiras Muskeln sich. Gargyle waren von Natur aus kahl, es konnte also keiner von ihnen sein. Geschickt schwang der junge Mann sich vom Dach, hangelte sich an einer Rinne entlang, um seinen Schwung abzufedern, und ließ sich anschließend lautlos zu Boden fallen.
Bei seinem Anblick lächelte Moira, verstaute ihr Messer und gab ihm einen freundschaftlichen Schlag auf die Schulter.
„Da bist du ja endlich. Ich dachte schon, ich müsste es dir heimzahlen, dass du uns warten lässt."
Mit seiner vom Ruß bedeckten Kleidung sah er aus wie jeder andere Knabe, der auf den Straßen Klippenzunges zu überleben versuchte: anspruchslos und unscheinbar. Dabei hatte er sich gut in die Diebesbande eingefügt und rasch zu einem ihrer besten Spione gemausert - flink und wendig wie er war.
"Entschuldigt, ich habe mich etwas verspätet."
Flinn grinste und entblößte eine Zahnlücke, aber in seinen Zügen, hinter dem Lächeln, lag eine Anspannung, die ihr Sorgen bereitete. Seine Stirn war nass vom Schweiß, die Mundwinkel zuckten.
Irgendetwas stimmte nicht.
„Was ist los?", fragte sie gerade heraus.
„So direkt wie eh und je." Er winkte ab, als könne er die Frage einfach wegfegen wie einen üblen Geruch. „Es ist nichts, keine Sorge. Ein bisschen mehr Laufarbeit als üblich, das ist alles."
Er begann, sich den Ruß von der Kleidung zu klopfen. Es gelang ihm nur mäßig.
"Weißt du, meine Beine bewegen sich schließlich nicht von alleine. Wenn Garrit nicht endlich etwas springen lässt, kann ich mir nicht einmal mehr etwas zu essen leisten. Dann hat er noch einen Spion weniger."
Flinn war ein junger, selbstgerechter Kerl, dennoch mochte Moira ihn, seit sie ihm vor einigen Jahren auf der Straße begegnet war - entsorgt wie ein Stück Müll, völlig verwahrlost und ausgehungert -, weil er sie, trotz seines fürchterlichen Zustandes, immer noch angegrinst hatte.
"Noch einen weniger? Soll das heißen, den anderen Spionen ist etwas zugestoßen? Bist du in Gefahr?" Moira streckte ihm neugierig den Kopf entgegen. Ein paar Strähnen ihres aschbraunen Haares rutschten unter ihrer Kapuze hervor. "Ist es wegen den rivalisierenden Gilden?"
"Ich habe Gerüchte gehört, dass es Ärger mit ihnen gibt", bestätigte Nala neben ihr, "und dass sie versuchen, unsere Leute abzuwerben. Es ist kein Geheimnis, dass mehr und mehr unserer Leute in der Nacht verschwinden. Suchst du nach ihnen?"
Flinn zögerte kurz. "Sagen wir, durch den Mangel an Spionen muss ich ein paar mehr Leuten hinterherstellen als üblich. Damit habe ich kein Problem, versteh mich nicht falsch. Ich mag die Herausforderung. Aber manche sind wie vom Erdboden verschluckt. Ich kann nicht einmal sagen, ob sie tot oder lebendig sind."
Flinn seufzte und gab seinen Kampf gegen die Rußflecken auf. "Das lässt mich nicht besonders gut dastehen, weißt du? Auf jeden Fall ist Garrit beunruhigt. Entweder, weil er dem Ganzen zu viel Bedeutung beimisst, oder weil er an meiner Loyalität zweifelt."
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Schattenkinder
FantasyIn Ta'ehran sind Tod und Gewalt allgegenwärtig. Wer nicht von Geburt an über magische Fähigkeiten verfügt, über den herrschen die Blutmagier. Zusammen mit den Blinden Richtern urteilen sie darüber, wer entbehrlich ist, und wer es wert ist, zu leben...