Kapitel 18 - Glieder einer Kette

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Mittlerweile wob die untergehende Sonne einen purpurnen Teppich am Himmel und färbte die Pflastersteine der Stadt blutrot.

Langsam verstand Moira, woher die Namensgebung der Schwarzen Schnitter stammen musste - warum sich so viele Legenden um sie rankten.

Wo immer sie in Klippenzunge Fuß setzten, verstummte der Lärm und teilte sich die Menschenschar fluchtartig auf, als wichen die Leute vor einem bösen Fluch zurück, der durch die Menge schnitt wie eine dunkle Klinge aus Obsidian.

„Sie sind auch nur Menschen", flüsterte sie, als müsste sie sich selbst davon überzeugen, indem sie die Worte laut aussprach. „Vielleicht gut ausgerüstet und ausgebildet, aber nur Menschen."

„Es ist also wahr", murmelte Lupus, lugte um die Ecke und zog sich den Umhang enger um den hageren Körper. „Sie sind tatsächlich hier. Sie sehen so unheimlich aus."

Sie musste Lupus Recht geben; die Schnitter hatten eine besondere, düstere Ausstrahlung. Neugierig beobachtete sie die beiden Männer von der schmalen Gasse aus, wie sie ihre kräftigen Pferde mit sich führten und ihre Obsidianrüstungen im Sonnenlicht schwarz glänzten, während sie sich immer weiter entfernten. Beide trugen die Hefte ihrer dunklen Schwerter an den Gürteln - und auch sonst schienen sie bestens ausgestattet und bewaffnet zu sein.

Einer von ihnen, mit kurzem, dunkelblondem Haar und einem sorgfältig getrimmten Bart am Kinn, trug einen Köcher voller Pfeile auf dem Rücken.

Ob er wohl der berüchtigte Herzensbrecher ist, der sein Ziel nie verfehlt?, wunderte sich Moira.

Der andere hatte ihn an der Satteltasche befestigt, sich dafür aber einen Schild umgeschnallt.

Und er der mysteriöse Verfolger, dem niemand entkommt?

Der Dunkelblonde hielt einen fuchsfarbenen Hengst an den Zügeln. Der graue Wolf, der ihm auf Schritt und Tritt folgte, reichte ihm bis zum Bauchnabel. Noch nie hatte sie einen Wolf gesehen, und erst recht nicht eines der Riesenexemplare, wie sie in den Wäldern des Nordens wüteten.

„Sie sind wirklich eindrucksvoll", stimmte Nala ihrem Bruder zu und blickte den Soldaten aus der Gasse hinterher. „Sie verdrehen der ganzen Stadt den Kopf."

„Wenn sie so beeindruckend wären", kommentierte Moira trotzig und verschränkte die Arme vor der Brust, „hätten sie uns bereits entdeckt."

Als der erste der beiden Schnitter heute Morgen durch die Stadttore Klippenzunges geritten war, hatte sich solche Panik verbreitet, dass es unmöglich gewesen war, seine Ankunft nicht zu bemerken. Seitdem verfolgten sie ihn - und er hatte sie geradewegs zu einem weiteren Schnitter geführt.

„Sie sind so bedrohlich", hauchte Lupus. „Angsteinflößend."

„Aber vor allem gutaussehend."

Bei den Worten kniffen Moira und Lupus gleichermaßen skeptisch die Augen zusammen und drehten sich zu Nala um. Die Kapuze hatte sie zurückgeschlagen und hellblonde Haarsträhnen fielen um ihr vernarbtes Gesicht.

„Was?" Sie zuckte mit den Schultern. „Nur weil sie furchteinflößend sind, heißt das ja nicht, dass ich sie hässlich finden muss!" Sie lächelte verschwörerisch. „Der Dunkelblonde sieht jedenfalls zum Anbeißen aus."

Der Angesprochene hatte in der Tat eine besondere, selbstbewusste Ausstrahlung; seine Erscheinung war gepflegt, der Bogen griffbereit, das Lächeln auf seinen Lippen charmant. In der schwarzen Rüstung wirkte er drahtig wie ein Akrobat, jeden Muskel beherrschend und nur auf den Beginn seiner Vorstellung wartend. Lediglich die Narbe, die ihm quer über die Stirn bis zur linken Augenbraue reichte und diese in der Mitte teilte, durchbrach das Abbild eines attraktiven Edelmannes und verlieh seinem Gesicht eine gewisse Härte.

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