Arkin hielt auf den Flügel der Blinden Richter zu, während Winter ihm lautlos folgte. Wenigstens einen Abschied war er dem Justikar schuldig, bevor er morgen früh abreisen würde. Doch als er auf die Türen des Gerichtssaals zusteuerte, schüttelten die Wachen davor bereits die Häupter.
"Falls Ihr Justikar Dunagar sucht, er isst gerade zu Abend", erklärte der Wachmann und rückte den Bund seines Wappenrocks zurecht. Sofort fielen Arkin die Flecken darauf auf. Konnte die Rote Garde nicht einmal ihre Uniformen sauber halten?
"Wenn das so ist." Er seufzte. "Und wo ist er dann?"
"Im Speisesaal."
Kopfschüttelnd rieb sich Arkin die Stirn. Am liebsten hätte er den Mann entgeistert angeblickt, aber dafür fehlte ihm die Energie. Es war ein langer Tag gewesen, noch dazu war er ganz und gar nicht so verlaufen, wie er es sich vorgestellt hatte. Noch immer ärgerte er sich über das letzte Gespräch mit dem Justikar, bei dem dieser seine Bitte, weiter ermitteln zu dürfen, abgelehnt hatte.
Wenigstens konnte er auf diese Weise die Stadt in dem Glauben verlassen, dass er alles in seiner Machtstehende getan hatte – dass es keinen Grund dafür gab, seinen Zweifeln weiter nachzuhängen.
Wenn ihn nur nicht Moiras vorwurfsvoller Blick in seinen Gedanken heimgesucht hätte.
Dem Wachmann schien der Unmut des Schnitters nicht zu entgehen, denn er fügte hinzu: "Er liegt gleich am Ende des Korridors. Aber Ihr solltet wissen, dass der Justikar nicht gerne beim Abendessen gestört wird."
"Ich werde mich kurzfassen." So, wie ich es immer tue. Mit dem Gedanken machte Arkin auf dem Absatz kehrt und eilte in die Richtung, die der Gardist ihm gedeutet hatte.
Es dauerte nicht lange, da fand er den Eingang zu dem Saal, in dem der Richter verweilen musste, denn auch hier waren Wachen vor den Türen postiert.
Mit einem knappen Kopfnicken wollte Arkin sich an ihnen vorbeizwängen, doch die Männer versperrten ihm den Weg.
"Der Justikar möchte nicht gestört werden", brachte der Ältere der beiden hervor und beäugte dabei skeptisch die silberne Wölfin. Furcht spiegelte sich in seinen Augen.
"Ich brauche nur eine Minute", erklärte der Schnitter in rauem Ton. Er hatte genug von den Formalitäten der Hämomanten und es war an der Zeit, diesen Auftrag endlich abzuschließen. Sich von Dunagar zu verabschieden war der letzte Schlussstrich, den er dafür ziehen musste.
Und den würde er sich nicht von zwei Gardisten nehmen lassen.
Arkin wich nicht von der Stelle, und auch Winters Präsenz schien die beiden Männer mehr und mehr zu verunsichern. Nachdem sie einen kurzen, fragenden Blick austauschten, zuckte der eine von ihnen mit den Schultern und trat schließlich beiseite. Diese Einladung ließ Arkin sich nicht nehmen, drängte sich zwischen die beiden und klopfte schließlich an.
Einen Moment lang blieb es still dahinter.
"Justikar Dunagar?" Noch einmal hämmerte er gegen das Türblatt, dieses Mal eindringlicher. "Ich bin nur hier, um mich zu verabschieden."
Winters Ohren schnellten in die Höhe, als hörte sie ein Geräusch von der anderen Seite. Statt zu warten, entschied Arkin sich dazu, die Klinke herunterzudrücken und die Tür einen Spalt breit aufzuschieben.
"Ihr dürft eintreten", ertönte daraufhin die Stimme des Blinden Richters, der Arkin augenblicklich Folge leistete. Winter schlich hinter ihm her wie ein Schatten.
"Ich wollte Euch nur mitteilen, dass alle -", begann er, unterbrach sich jedoch selbst, als er das Chaos sah, das sich vor ihm erstreckte. Sofort fiel ihm der Esstisch ins Auge, von dem jemand die Tischdecke halb heruntergezerrt hatte und dessen Speisen sich auf dem Fußboden ergossen.
DU LIEST GERADE
Schattenkinder
FantasyIn Ta'ehran sind Tod und Gewalt allgegenwärtig. Wer nicht von Geburt an über magische Fähigkeiten verfügt, über den herrschen die Blutmagier. Zusammen mit den Blinden Richtern urteilen sie darüber, wer entbehrlich ist, und wer es wert ist, zu leben...