Kapitel 26

116 16 0
                                    

Erst auf dem Rückweg fasste Aizawa den Mut, seinem Freund die Wahrheit anzuvertrauen, auch wenn die Gefahr bestand, dass er einfach kehrt machen und ihn doch in eine geschlossene Anstalt einweisen lassen könnte. In einer Gummizelle war er zumindest vor sich selbst am sichersten. Es kam ihm jedoch falsch vor, es ihm weiterhin zu verschweigen, auch wenn er sich dadurch noch mehr Sorgen machen würde als ohnehin schon. Insgeheim hoffte Shota allerdings, dass Hitoshi recht haben könnte. Darüber sprechen hatte zuvor schließlich auch geholfen und die Kopfschmerzen verfliegen lassen, die mit der Stimme zusammen zu hängen schienen. Bisher hatte sich diese Grässlichkeit zumindest nicht mehr gemeldet und ihn in Ruhe gelassen.

„Das mit dem Spiegel war kein Unfall, Hizashi", begann er nach einer Weile zu erzählen und sah auf den neuen Verband auf seiner Hand. Noch immer schmerzte der Schnitt. „Hatte ich auch nicht angenommen", murmelte der Blonde, sagte jedoch nichts weiter, und deutete Shota, das er fortfahren sollte. „Ich wollte in die Küche, und hab euch gehört ... das hat mir irgendwie den Rest gegeben und diese Stimme, hatte plötzlich Kontrolle über mich und mir eingeredet, dass ich es beenden sollte ... Wenn die Kinder mich nicht gefunden hätten, dann ..." Er brach ab und wandte sich an Yamada, der versuchte sich auf die Straße zu konzentrieren, was ihm aber sichtlich schwerfiel. Aizawa zweifelte kurz daran, ob er wirklich sagen sollte, was er gerade dachte, doch er musste es laut aussprechen. Darüber sprechen half doch angeblich, und er war zu müde, um weiter allein dagegen anzukämpfen. Die Gefahr, dass er erneut aufgab, war einfach zu groß, und er wollte es nicht mehr. „Ich habe furchtbare Angst, Hizashi. Angst, dass diese Macke mich verrückt werden lässt, oder noch einmal Besitz von mir ergreift und ich diesmal jemand anderen verletze ... ich habe so verdammt viel falsch gemacht in den letzten Monaten."

Der Blonde seufzte und legte den Kopf schief, ehe er eine Parkbucht fand und dort anhielt. Bei so einem Gespräch konnte er sich nicht aufs Fahren konzentrieren. Zum einen, fehlte ihm die nötige Konzentration für den Verkehr und zum anderen wollte er Shota seine Aufmerksamkeit schenken, wenn er schon einmal dabei sich zu öffnen. „Ich habe auch Angst. Davor, dass ich nur einmal wegsehe und dir genau in diesem Moment etwas Schreckliches zustößt. Und dass genau das vorhin wieder passiert ist, macht mich fertig, Shota", gab er offen zu und rückte seine Brille zurecht, „seit dich Shinsou gefunden hat, mache ich mir Vorwürfe, dass ich es hätte sein müssen, der auf dich aufpasst. Weil das schon immer meine Aufgabe war und darin habe ich diesmal versagt. Du hast bestimmt nichts falsch gemacht. Ich hingegen ..."

In diesem Augenblick wurde Shota klar, wieso Hizashi es nicht gewagt hatte ein Auge zuzumachen, seit er im Krankenhaus aufgewacht war, also unterbrach er ihn. „Es ist aber nicht deine Aufgabe, auf mich aufzupassen und schon gar nicht deine Schuld. Wir hatten eine Abmachung, an die du dich gehalten hast. Wer hätte denn ahnen können, dass sowas passiert? Du weißt, dass ich niemals sterben wollen würde. Nicht so!" Zumindest bisher nicht. Er wollte nicht, dass sich jemand um ihn Sorgen machte und schon gar nicht, dass Hizashi sein ganzes Leben danach ausrichtete, um auf ihn achtzugeben. Das war doch vollkommene Zeitverschwendung.

Doch Yamada lächelte traurig und sah seinen Freund über den Rand seiner Brille hinweg an. „Natürlich ist es das. Da du selbst nicht auf dich achtest, muss es doch jemand anderes tun. Du redest ja auch nie über das, was dich bedrückt. Irgendwann musste es ja passieren." Schon vor Jahren hatte er es für Shota übernommen, auf ihn achtzugeben, und es war noch nie eine sonderlich leichte Aufgabe gewesen. Vor allem war es auch stets eine sehr undankbare, die ihn immer mehr zum Zielobjekt von Eraserheads Zorn gemacht hatte, als ihm Dank einbrachte. Aber Hizashi hatte sich damit arrangiert. So war Shota eben. „Außerdem hätte ich kurz nach dir sehen müssen, nur um sicher zu gehen. Das war mein Fehler und es tut mir leid", fuhr der Blonde fort, „allerdings bin ich mir nicht sicher, wie es in Zukunft weiter gehen soll, wenn die Wirkung anhält. Ich kann ein paar Jobs aufgeben, aber ..."

„Bist du verrückt?", fuhr Aizawa dazwischen, „du kannst nicht einfach alles wegwerfen. Das lasse ich nicht zu. Nicht wegen mir. Kommt gar nicht in Frage. Ich werde schon irgendwie klarkommen." Es musste eine andere Lösung geben. Falls die Wirkung dieser Macke wirklich niemals endete, musste er selbst herausfinden, wie er damit umging, damit er nicht zu einer Last wurde. Obwohl es immer noch am einfachsten war, einfach nachzugeben, aber an diese Möglichkeit wollte er Hizashi und den Kindern zu liebe nicht mehr denken. Er wollte nie wieder über den einfachsten Ausweg nachdenken, aus Angst, die Macke könnte wieder Kontrolle über ihn ergreifen so wie zuvor. Es gab immer einen anderen Weg. Es musste einfach.

„Du schaffst das aber nicht allein", erklärte Yamada aufrichtig, „auch wenn ich zugeben muss, dass ich vermutlich an deiner Stelle längst aufgegeben hätte. Du warst schon immer der Willensstärkere von uns beiden, aber auch du brauchst Hilfe, auch wenn du es ungern zugibst." Es wäre eine Lüge, wenn Present Mic nicht zugeben würde, dass er darüber nachgedacht hätte, wie es wäre, wenn ihn diese Macke getroffen hätte. Vermutlich wäre er an Shotas Stelle längst aus dem Fenster gesprungen oder hätte alle Tabletten auf einmal genommen. Yamada war froh, dass Aizawa noch nicht auf diese simple Idee gekommen war.

Dem Dunkelhaarigem entfuhr ein Seufzen. „Du hast recht: Ich brauche Hilfe", gab er schließlich zu, „aber ich möchte nicht, dass du oder irgendjemand deswegen sein Leben wegwirft und sich einschränkt. Das bin ich einfach nicht wert." Er wich den grünen Augen des anderen aus und sah aus dem Fenster. „Von mir aus kannst du mich auch gern ins Krankenhaus zurückbringen, die werden schließlich dafür bezahlt auf Verrückte aufzupassen. Dann musst du dir nicht sinnlos Sorgen machen." Es wäre zumindest die zweit einfachste Lösung, die ihm in den Sinn kam, auch wenn das bedeuten würde, dass er niemals wieder frei sein würde. Aber das war er durch diese Mackenwirkung ohnehin nicht mehr.

„Doch, du bist es wert. Sehr sogar", seufzte Hizashi, setzte ein Lächeln auf und legte ihm kurz seine Hand auf die Wange, „und wenn es notwendig ist, werde ich dir das so oft wie nötig sagen. Du bist mein bester Freund und sehr wichtig für mich, deswegen werde ich alles tun, damit es dir gut geht." Es tat ihm weh, dass sein Freund nicht erkannte, wie wichtig er ihm und seinen Schülern war. Er hatte Freunde, auch wenn er oft behauptete, dass er ein Einzelgänger war und lieber allein blieb. „Und was die Einweisung angeht, warten wir erstmal noch ab", gab Yamada zurück und musterte Shota eingehend, der verwirrt zu ihm hinüberblickte, „ich habe veranlasst, dass sie dein Blut noch einmal testen. Vielleicht ist es ja doch besser geworden. Wir dürfen einfach nicht aufgeben." So viel hatten sie schließlich bisher noch nie über seine Gefühle gesprochen, was allerdings ebenso an der Macke liegen könnte, weil sie angeblich Emotionen verstärkte und beeinflusste. Außerdem wäre Shota wohl nie freiwillig zu ihm gekommen, nachdem er sich diese Verletzung zugezogen hatte, wenn die Macke noch so stark wirken würde, wie in den letzten Tagen. „Außerdem haben All Might und Midnight mir die Hoffnung gegeben, dass jede Macke irgendwann ihre Wirkung verlieren muss. Wir müssen nur herausfinden, wie wir dafür sorgen, dass es schnell vorbei ist und am Ende alles gut wird."

„Hm ... aber falls nicht ... sperr mich einfach ein. Dann hast du Ruhe vor mir. Versprich mir aber nur, dass du meine Klasse übernimmst! Und guck jetzt nicht so. Du schaffst das schon, wenn du mit mir fertig wirst, schaffst du es auch mit diesen Chaoten", murrte Shota und zog eine Augenbraue nach oben, während Yamadas Grinsen immer breiter wurde, obwohl er sehen konnte, dass seine Augen feucht glänzten. „Was?"

„So viele Gefühle ... ich hätte nie gedacht, dass du dich mal öffnest", erklärte er, „auch wenn es mir unter anderen Umständen lieber gewesen wäre!"

„Ach halt die Klappe und fahr weiter", gab Aizawa gewohnt genervt zurück und ließ sich in den Beifahrersitz sinken. Er war zu müde, für irgendwelche Dummheiten.

Hizashi gluckste, ehe er den Blinker setzte und aufs Gas trat. Tatsächlich hatte er wieder Hoffnung, dass es doch besser werden würde. Zumindest wirkte der Dunkelhaarige zum ersten Mal seit langem wieder wie er selbst. Vielleicht war das Schlimmste längst überstanden und die Wirkung der Macke musste nicht zwangsläufig mit dem Tod enden.

Demon in his mindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt