-Sei bitte vorsichtig-

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Hastig griff ich nach der Regenrinne in der Hoffnung, dass sie hielt. Für einen Moment gab sie nach, doch zum Glück nicht vollkommen. "Nimm meine Hand." Wies Kylan mich an und streckte sie mir entgegen. Dankbar griff ich nach ihr und er half mir, mich hochzuziehen. Er ließ sich auf dem Dach nieder und ich setzte mich neben ihn. Wahrscheinlich war er verboten, dass wir hier waren, doch es kam mir nicht falsch vor. Es war mir egal, dass er ein Tersis war, er schien mich zu verstehen. Azrael hätte das vermutlich auch, aber ich wollte ihn nicht unnötig belasten und bei Kylan hatte ich das nicht getan, er hatte es von alleine gewusst. Woher eigentlich? Egal.

Ich war ihm dankbar dafür, dass er gerade einfach nur da war, er brauchte nicht mal mehr was zu sagen, sein Schweigen war so viel mehr. Ich spürte, wie seine Augen auf mir ruhten, ich ließ von der Ferne hinterm Wald ab und sah ihm direkt in seine Augen. Jedes Mal verlor ich mich ihn ihnen, auch jetzt. Eine Weile saßen wir so da. Seite an Seite, schweigend, unter uns der Fluss und vor uns der Wald, der sich bis in die Ferne erstreckte. "Willst du mir erzählen, was genau passiert ist?", begann Kylan irgendwann das Gespräch, noch immer in die Ferne starrend. "Basil wollte mich dazu kriegen mit ihm zu schlafen, doch ich hab es nicht zugelassen. Und heute Früh hab ich ihn dann mit Bunny rummachen gesehen.", fasste ich die letzten Stunden zusammen.

"Bunny hat nicht wirklich viel in ihrem Hirn. Sie lässt sich immer wieder von Basil rumkriegen, bis ihm dann langweilig wird und er sich sein nächsten Spielzeug sucht.", jetzt blickte Kylan mich ernst an. "Du bist soweit ich weiß die Erste, die ihn abgewiesen hat. Er wird damit nicht umgehen können und einen riesigen Hass auf dich entwickeln, also sei bitte vorsichtig. Basil ist nicht so unschuldig, wie er immer wirkt." Seine Blick wurden plötzlich weicher: "Ich möchte nicht, dass er dir was tut." Ich erkannte einen leichten Schleier auf Kylans Augen. Vorsichtig fragte ich: "Warum kennst du ihn eigentlich so gut?" "Er war mein Bruder." Flüsterte der sonst so selbstsichere Junge auf seine Hände starrend. "Wieso war? Willst du es mir erzählen?2 Ich wollte nicht zu aufdringlich sein, aber meine Neugier setzte sich dann doch durch.

Aber als Kylan mir nicht mehr antwortete und nur verlegen an den Ärmeln seines Pullovers rumspielte beschloss ich, nicht mehr nachzuhaken. "Vielleicht erzählst du mir es ja irgendwann, wenn du dich bereit dazu fühlst.", sagte ich noch und lehnte mich dann schweigend an seine Schulter. Wir betrachteten eine Weile den Sonnenuntergang. Unter uns waren immer wieder mal Skavo zu hören, die über die Brücke liefen, aber sie schienen uns nicht weiter zu bemerken. Azrael machte sich bestimmt Sorgen. Sollte ich zu ihm gehen? Aber ich konnte Kylan jetzt nicht alleine lassen, außerdem hatte ich mich seit langem nicht mehr so geborgen und sicher gefühlt, wie in diesem Moment.

Ihm schien es ähnlich zu gehen, denn er nahm meine Hand und verschlang sie mit seiner. Ich schloss meine Augen und entspannte mich mit jedem seiner tiefen Atemzüge etwas mehr.

"Hey Schlafmütze, aufwachen." Kylans belustigtes Schnauben weckte mich und verwirrt sah ich mich um. Wo war ich? Wie spät war es? Was machte ich hier? Mit einem Tersis! Nach und nach kam mir wieder alles in den Sinn. Basil, unsere Gespräche und seine ruhigen Atemzüge, die mich wohl zum Einschlafen gebracht hatten. Aber verdammt, er war ein Tersis. Was machte ich hier für eine Scheiße? Ich wollte ihn trotzdem nicht verletzten und sofort davon rennen, deshalb wartete ich noch einige Minuten und verabschiedete mich dann von ihm: "Ich denke, ich sollte mal nach Azrael sehen, ich bin vorhin einfach abgehauen. Er macht sich bestimmt Sorgen." "Mach das." Ein letztes Mal schloss er mich in seine Arme und schwang sich dann geschmeidig vom Dach.

Und wie soll ich hier jetzt runterkommen? Vorsichtig hing ich mich wieder an den Rand vom Dach und platzierte meine Füße auf dem Geländer. Als ich einigermaßen stabil stand, sprang ich hastig auf die Brücke, froh darüber, es geschafft zu haben. Ich sah mich nach Kylan um. Warum suchte ich schon wieder nach ihm? Ich mochte ihn viel zu sehr. Er war ein Tersis. Noch ein letzten mal huschte mein Blick durch die Gegend, enttäuscht stellte ich fest, dass er wirklich weg war.

Mit schnellen Schritten lief ich auf Azraels Zimmer zu und klopfte an. "Hey, da bist du ja endlich. Ich hab mir Sorgen gemacht, wo warst du denn so lange?" Ein besorgter Azrael erschien hinter der Tür. "Im Wald. Ich war mit Nightmare ausreiten."; log ich schnell. Ich konnte ihm zwar vertrauen, aber das ging weit über Vertrauen. Ich verriet in gewisser Weise die Skavo und brach so gut wie alle Regeln, die es an dieser Schule gab. Wieder kamen mir Kylans wunderschöne Augen in den Sinn, trotz aller Versuche ihn nicht zu mögen, gelang es mir nicht.

"So, jetzt komm erstmal rein. Deine Sachen liegen auf meinem Bett." Dankend ging ich in sein Zimmer. Roana war gerade nicht da, vermutlich trainierte sie gerade. Normalerweise wohnte Jungen und Mädchen nicht gemeinsam auf einem Zimmer, aber bei Geschwistern hatte die Schule damit kein Problem. "Vergess Basil, ja?" Der besorgte Blick war immer noch nicht von Azraels Gesicht gewichen. Er schien als hätte er Angst, dass ich jetzt in Depressionen oder ähnliches verfiel, aber ich merkte, dass ich gar nicht mehr wirklich an Basil dachte. Für mich war er Geschichte und so einem Idioten würde ich auch sicherlich nicht nachtrauern. Ich hatte mir Liebeskummer irgendwie anders vorgestellt. Oder war das überhaupt welcher? "Klar, ich werde ihn aus meinem Kopf eliminieren.", scherzte ich und Azrael schien zu verstehen, dass es mir nicht schlecht mit der Situation ging und ich damit schon zurecht kommen würde. Ein erleichterter Ausdruck legte sich auf sein Gesicht und er grinste mich an. "Ich sags dir, in zwei Tagen macht er wieder Schluss mit Bunny und sie wird zur größten Dramaqueen. Glaub mir, das ist echt lustig."

Shadow School - until the end Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt