-Die Prinzessin-

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"Ich habe euch hier ein paar hübsche Kleider ausgesucht", Madame Rodriguez kam mit einem voll beladenen Kleiderständer an. "Hier die Kleider für Raven,", sie zeigte auf die Kleider zu ihrer Rechten, ein schöner als das andere. "Und diese hier für Roana und jetzt, ab in die Umkleide." Sie schob uns zu einer Reihe mit fünf Umkleiden, stellte den Ständer davor ab und reichte jedem sein erstes Kleid in die Umkleide. Mir drückte sie ein rosafarbenes, ganz schlichtes in die Hand. Ich schlüpfte sofort rein. Es passte sogar. Allerdings war es sehr eng anliegend und kurz. Ich wusste, dass viele Mädchen das mochten und es auch meistens gut bei den Jungs ankam, allerdings würde ich mich darin vermutlich nicht wohl fühlen und auch Madame Rodriguez war sich mit mir einig, dass dies nicht mein Kleid werden würde. Roana hatte ein orangenes Kleid an, das ab ihrer Taille schön fiel und weder zu schmal noch zu breit war. Allerdings war das Problem bei ihr, dass die Farbe sich mit ihren Haaren biss.

Wir probierten noch ein paar weitere Kleider an und zwei landeten auch in der engeren Auswahl bei mir. Roana hatte sich schon entschieden, aber ich hatte noch ein letztes Kleid, das mir von Anfang an schon ins Auge gestochen war. Eine dunkelblaue A-Linie mit einem angedeuteten Gürtel aus Strasssteinen, der sich nach oben und unten hin langsam auflöste. Oben schlichter Stoff und unten etwas Tüll, aber auch nicht zu viel. Ich schlüpfte in das Kleid und es passte wie angegossen. Es wäre zwar kein Problem es anzupassen, aber hier war es nicht nötig. "Bist du fertig Liebes?" fragte Madame Rodriguez von draußen. Sie und Roana warteten gespannt vor der Umkleide. "Ja fast." Ich wollte mich zuerst selbst im Spiegel betrachten. Ich drehte mich zu dem Spiegel, wie man ihn sich in einem Schloss einer Prinzessin vorstellte. Dieses Kleid war wunderschön. Die Strasssteine zierten meine Taille und das Kleid berührte minimal den Boden. Ich kam mir vor wie eine Prinzessin, die jetzt gleich auf den Ball gehen würde, fehlte nur noch die Krone.

Jace hatte mir früher immer Geschichten von Prinzessinnen in prachtvollen Schlössern mit ihren Pferden und dem Prinzen vorgelesen. Ich konnte ihm, was das anging, stundenlang meine Aufmerksamkeit schenken. Oft habe ich mich auch verkleidet und dann so getan, als wäre unser kleines Haus ein riesiges Schloss und ich die Prinzessin, die einmal die Nachfolgerin ihrer Mutter werden würde. Nur mein Benehmen hatte nie zu dem einer Prinzessin gepasst. Andere Mädchen hatten im Kindergarten mit Puppen gespielt und Bilder gemalt, ich war immer mit Miley und den Jungs draußen gewesen, mich durch das Gestrüpp gekämpft und mir ständig irgendwelche wunden zugezogen. Es hatte mir tatsächlich nie etwas ausgemacht, dass die Haut an meinem Körper nicht so perfekt war, wie die der anderen Mädchen. Ich mochte meine Narben, die entstanden waren, weil ich ein Grind nie in ruhe lassen konnte, sondern es wieder und wieder aufgekratzt hatte. Und so stark waren meine Narben jetzt auch wieder nicht, dass sie jemals einer Person negativ aufgefallen waren.

Ich schob den Vorhang der Umkleide zur Seite und trat einer strahlenden Roana und einer ebenso entzückten Madame Rodriguez entgegen. "Wunderschön, wirklich wunderschön.", trällerte sie. Madame Rodriguez war so ein herzlicher Mensch. Sie hatte mein Aussehen kein einziges Mal kritisiert und wenn ihr was nicht gefiel, was unter anderem an meiner Figur lag, war sie immer felsenfest davon überzeugt, dass es an dem Kleid liegen musste, und die es sicher nicht gut geschneidert hatte. Doch dieses Mal strahlte sie mich und das Kleid an. Ihr schien es genauso gut zu gefallen, wie mir. "Ich denke, ich nehme es.", sagte ich etwas überwältigt, von ihrer Reaktion. Roana stellte sich neben mich und wir beide sahen in den Spiegel.

Ihr Kleid passte so gut zu ihr. Ein edles, eng anliegendes Kleid. Der schwarze Stoff fiel perfekt und zwei dünne Träger hielten es. Roanas rote Haare kamen auch total gut zur Geltung. Es war einfach perfekt. Wie wir da nebeneinander standen, in unseren Ballkleidern, mit strahlenden Augen und voller Vorfreude, gab so ein schönes Bild. Trotz der Kleider fielen wir uns in die Arme, beide überglücklich. Ich musste zugeben, es war etwas kompliziert, mit dem ganzen Stoff zwischen uns, aber wir hatten beide zum Glück nicht so viel Tüll, also schafften wir es schon irgendwie. Madame Rodriguez zogen wir in unsrer Euphorie einfach noch mit in die Umarmung und ihr schien es nichts auszumachen. Es kam mir eher so vor, als würde sie sich freuen.

Irgendwie logisch, sie stattete die gesamte Schule mit Klamotten aus und verbrachte die meiste Zeit hier unten alleine in ihrem Atelier. Es kam wohl kaum einer auf die Idee, sie in den Arm zu nehmen. So ein einsames Leben musste schrecklich sein. Ich beschloss, nächstes Schuljahr so oft wie möglich bei ihr vorbeizukommen und ihr etwas Gesellschaft zu leisten, falls sie das wollte.

Wir schlüpften nach einiger Zeit wieder aus den Kleider und gaben sie Madame Rodriguez, die sie dann an einen Kleiderständer hang und mit einem Zettel, auf dem unsere Namen standen, kennzeichnete. "Kommt an dem Morgen des Balls zu mir, dann könnt ihr eure Kleider abholen. Und noch schön tanzen lernen ihr beiden Hübschen.", verabschiedete sie sich von uns. Tanzen? Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Klar, ich hatte schon mal einen Tanzkurs belegt, aber so gut war ich trotzdem nicht. Ich wusste, dass ich ja größtenteils vom Jungen geführt wurde und immer, wenn ich mit Sam getanzt hatte, hatte das auch halbwegs geklappt. Aber wenn ich dann einen Tanzpartner hatte, den ich nicht mal mehr kannte, sah das sicherlich ganz anders aus. Ich musste meine Freunde dringend nochmal um Hilfe beten, doch dafür würden wir sicherlich auch noch während den Spielen Zeit haben, schließlich bestanden sie ja nicht nur aus kämpfen, sondern nach den Erzählungen der anderen auch aus ganz normalen Tagen irgendwo im Wald. Man sollte zwar immer wachsam bleiben, aber das würde schon irgendwie funktionieren.

"Hast du noch Lust zu trainieren?", fragte Roana mich, als wir auf dem Weg zurück zu den Skavo waren. "Basil erlaubt es uns morgen nicht, da er der Meinung ist, dass wir zum Start der Spiele komplett fit sein müssen, deswegen heute auch kein zu hartes Training mehr, meiner darf sich so kurz vor der Spielen noch verletzten." Ich hörte Roana gar nicht richtig zu. Wir waren im Hauptteil der Schule und eine Schülergruppen der Tersis machten sich auch den Weg zum Mittagessen. Ich suchte inmitten der Schülermengen nach seinen Augen. Meine Augen trafen die, von ein paar anderen Tersis, die mich sofort feindselig anfunkelten und erhobenen Hauptes weiter stolzierten, doch seine konnte ich nirgends entdecken. Auch nicht seine braunen Haare, die immer etwas hilflos hergerichtet waren, was aber gut zu ihm passte und ihm auch echt gut stand. "Hey, hörst du mir überhaupt zu?" Roana stieß mir mit ihrem Ellenbogen in die Seite und sah mich empört an. Aus Reflex boxte ich zurück, direkt in ihren Oberarm. "Aua!" "Selber schuld, du hast doch angefangen.", verteidigte ich mich. Sie warf mir kurz ein aufgesetztes Lächeln zu und fragte ein zweites Mal: "Also, wollen wir heute nochmal trainieren? Du musst nicht, wenn du noch was anderes zu tun hast, dann frag ich halt Azrael, aber" "Schon gut.", unterbrach ich sie, "Ich würde gerne mit dir trainieren, tut mir leid, dass ich dir gerade nicht zugehört habe." "Alles gut, warst bestimmt damit beschäftigt, den Tersis böse blicke zuzuwerfen." Ich war mir nicht sicher, ob das nur als Scherz gemeint war oder ob sie das ernst meinte. Also lächelte ich ihr nur kurz zu und wechselte dann das Thema.

"Du gehst also mit Kantao zum Ball.", ich warf ihr einen prüfenden Blick zu und sie schien zu verstehen. "Nein, nicht so wie du denkst. Wir gehen als Freunde. Nur Freunde.", erklärte sie. Ich beschloss aber, sie weiter aufzuziehen und sagte so beiläufig wie möglich: "So so, nur Freunde." Sie ging auf diese Provokation ein, was mir ein breites Grinsen auf den Lippen bereitete. "Wirklich! Raven ich sags dir, da läuft nichts! Er hat mich gefragt, da er nicht wusste, wen er sonst nehmen sollte und bei mir war er sich eben sicher, dass ich das nicht falsch verstehen würde und wir wirklich nur als gute Freunde gehen würden." Das gute Freunde betonte sie nochmal extra, um mir zu verstehen zu geben, dass dieses Thema für sie beendet war. Ich rempelte sie ein letztes Mal von der Seite an und warf ihr einen vielsagenden Blick zu, ließ Roana dann aber auch in Ruhe.

Shadow School - until the end Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt