Kapitel 17

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Regungslos saß ich auf der schmalen Mauer des Balkons.

Sie war eiskalt, doch ich merkte es kaum. Mein Blick war in die Ferne gerichtet. Auf das Meer, das Dorf. Es nieselte und die Tropfen prasselten wie eisige Nadelstiche auf mich herab.

Mein dunkles Haar klebte an meinem Gesicht und wurde vom Wind herumgeschleudert. Doch ich blieb unbewegt. Ich hatte das Gefühl nicht richtig anwesend zu sein. Eine kalte Böe kam auf und ich bekam eine Gänsehaut. Ich legte meine Flügel geistesabwesend um meinen Körper. Dann legte ich den Kopf in den Nacken und schloss kurz die Augen, spürte die Tropfen auf meinen Augenliedern.

Kurz darauf schaute ich blinzelnd in den grauen Himmel auf.

In der Ferne wurde der Himmel immer dunkler. Ein Gewitter war im Anmarsch. Ich konnte es spüren.

Die Luft war bereits aufgeladen und ich hatte diesen eigenartigen Duft in der Nase, den ich immer wahrnahm, wenn ein Unwetter sich anbahnte. Doch ich rührte mich nicht von der Stelle.

Irgendwo dort draußen war sie.

Einsam.

Vielleicht war sie abgestürzt... oder die Kreatur hatte Marissa angegriffen, oder verletzt, oder verschleppt! Ich schauderte und meine Sicht verschwamm unter Tränen, die sich ihren Weg bahnten.

Es war allein meine Schuld! Ich war aufgestanden,-ich war runtergegangen,- ich hatte geschrien.

Ich rieb meine Hände und verschränkte sie dann so fest ineinander, dass die Knöchel weiß hervortraten. Der Regen wurde stärker und ich sah wie die Tropfen von meinen weißen, silbrig glänzenden Flügeln abperlten.

Wir hatten gestern den ganzen Tag nach ihr gesucht. Stundenlang wurde die ganze Insel durchkämmt und Hexen hatten jeden Lokalisierungszauber ausprobiert, den sie kannten. Doch keine Spur von Marissa. Die Hexen sagten, so etwas hätten sie noch nie erlebt. Es wäre als würde Marissa nicht mehr existieren. Selbst wenn sie tot wäre könnten sie wenigstens ihren Körper finden oder Kontakt zu ihrem Geist aufnehmen. Doch nichts.- Nicht die kleinste Spur.

Plötzlich wurde es wärmer.

Ich horchte auf, doch rührte mich nicht. Wagte es nicht auch nur einen Muskel zu bewegen. Ich wusste sofort wer das war.

Mein Magen zog sich zusammen und ich errötete bei der Erinnerung, wie er mich zusammen mit Michael im Bett gesehen hatte. Zwar war nichts passiert, aber dennoch...er hatte aufgebracht gewirkt. Jedoch konnte das auch einfach daran liegen das Marissa verschwunden ist! Und ich war so egoistisch zu denken das sich alles um mich drehte. Er hatte oft genug klar gemacht, dass er mich nicht in seiner Nähe haben wollte.

„Du holst dir in der Kälte noch den Tod." Seine Stimme klang ruhig und ausgeglichen. Absolut nicht so, wie ich mich in diesem Augenblick fühlte.

Ich sah nicht auf, aus Angst nicht mehr weg sehen zu können.

Ich zuckte kaum merklich mit den Schultern und blinzelte einige Tropfen aus meinen Wimpern. Fröstelnd legte ich meine Flügel enger um mich.

Die Schuldgefühle erdrückten mich und weckten in mir das Bedürfnis mich selbst zu strafen.

Es wurde wärmer, und ich wusste, dass er nun neben mir am Geländer stand. Nur einen Meter entfernt. Ich müsste nur den Arm ausstrecken. „Es ist nicht deine Schuld.", antwortete er auf meine Gedanken die mir wohl offen ins Gesicht geschrieben waren.

Ich schluckte, wollte meine Gedanken nicht aussprechen.

Er blieb schweigend neben mir stehen. Wartete ab.

Fear Gorta - Das Lied der Schatten (Neu!)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt