Prolog

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Donnerstag, der 18.05.2024

Kreischende Sirenen kündigten den nächsten Neuankömmling an. "Elena, über nimm du bitte den Nächsten." Brüllte der leitende Chefarzt der medizinischen Notfallseinrichtung quer durch den Raum. Elena quetschte sich an Krankenschwestern, Sanitätern und Ärzten, sowie verwundete Soldaten, vorbei und stellte sich neben den offenen Zelteingang. Draußen war es bereits dunkel geworden, und nur stellenweise beleuchteten die matten Lichter der verbliebenen Straßenlaternen die Trümmer der umliegenden Gebäude.

Seit knapp zwei Jahren herrschte Krieg auf der Erde. Wer ihn begonnen hatte, konnte man kaum mehr sagen, die meisten Städte lagen in Trümmern, ganze Gegenden waren von Atombomben verseucht worden. Der Krieg war schlimmer als alle Kriege die es zuvor je gegeben hatte. Die täglichen Todesopfer waren astronomisch hoch, doch kein Land ergab sich, niemand plädierte für Frieden.

Das stetig näherkommende Geräusch der Sirenen riss Elena aus ihren Gedanken. Das Blaulicht des militärischen Rettungswagens beleuchtete die größtenteils eingestürzten Mauern der umliegenden Häuser. Zivilisten gab es hier zum Glück nicht mehr, sie waren vor den Bombenangriffen der Russen geflohen, die Front lag nur knappe 80 Kilometer Luftlinie entfernt.

Der gepanzerte Wagen hielt mit quietschenden Reifen vor dem Sanitätszelt. Die dicken Hecktüren wurden aufgerissen. Zwei Soldaten mit Sanitäter-Binden schoben eilig eine Trage auf Rollen aus dem Fahrzeug. Darauf lag eine Soldatin. Ihre kurzen, kastanienbraunen Haare waren blutverkrustet, blutige Schrammen zierten ihr Gesicht. Ihre feinen Gesichtszüge waren schmerzverzerrt. Die Soldatenuniform war stellenweise zerfetzt und blutgetränkt. Auf den ersten Blick konnte Elena schon drei Schusswunden und ein halbes Dutzend Schnittwunden ausmachen. In den rehbraunen Augen spiegelte sich Schmerz und Angst wieder, zu dem blickten sie verschwommen durch die Gegend. Doch das schlimmste für Elena war, dass diese junge Frau wahrscheinlich gerade mal knapp über die 20 Jahre alt war, praktisch noch ein Kind.

"Leutnant Rahel Wiedinger, 21 Jahre alt, Schuss- und Nahkampfs Verletzungen auf Grund eines Hinterhalt. Wir haben bereits etwas Morphin gespritzt." Ratterte einer der Sanitäter den Standardbericht herunter. Doch Elena hörte nicht mehr zu. Rahel. Das war tatsächlich ihre ehemalige Schülerin. Natürlich hatte sie gewusst, dass ihre damaligen Schüler vermutlich alle in dem Krieg kämpfen mussten, einige waren wahrscheinlich schon verstorben, aber sie hatte nie einen behandeln müssen. Wenn sie sich nicht gleich zusammenriss, würde Rahel eine von den Toten sein, erinnerte sie sich und sammelte schnell ihre Gedanken. "Ich übernehme, schiebt sie auf Platz 46."

Das Sanitätszelt war rappelvoll, ein Bett stand neben dem anderen, Soldaten schrien vor Schmerz, Pfleger rannten hektisch umher, manche auch mal raus um sich zu übergeben, kaum jemand konnte hier lange durchhalten. Es stank nach, Schweiß, Blut, Urin und erbrochenem. Elena folgte den beiden Soldaten zu dem angegebenen Platz. Die Männer hoben Rahel hoch und legten sie ins Feldbett, dann rannten sie mit der Trage bereits wieder zurück zum Wagen um zum nächsten Einsatz zu fahren. Elena wusste, dass in den nächsten Stunden, erst einige Neuankömmlinge kommen würden, da in der Dunkelheit die Kämpfe endeten, und die Verletzten und Toten geborgen wurden, dann trat Ruhe ein, nur um am nächsten Tag wieder durch Kämpfe ersetzt zu werden, seit knapp zwei Jahren war dies der alltägliche Ablauf.

Elena zerschnitt die Kleidung des Mädchens und beurteilte die Wunden. Zwei Schusswunden im Bauch, ein sehr tiefer Schnitt am Bein, und ein weiterer quer über ihre Brust. Die anderen Wunden konnte sie zuerst vernachlässigen. "Rahel, kannst du mich hören?" fragte sie mit bestimmter aber ruhiger Stimme. Das Mädchen nickte schwach. "Okay, gut... ich werde dich jetzt untersuchen." Elena schaffte es nicht zu fragen, ob das Mädchen sie noch erkannte, schließlich hatte sie Rahel auch erst erkannt, als sie denn Namen gehört hatte.

Rahel war recht groß für ein Mädchen, athletisch, muskulös gebaut und hatte schon immer eine selbstbewusste Haltung gehabt, aber im Vergleich zu ihrem jetzigen Aussehen, hatte sie damals wie ein einfaches Mädchen gewirkt. Der Bauch des Mädchens war ein sehr ausgeprägt definiertes Six-Pack, die Bein und Armmuskeln waren steinhart, ihr Körper wurde von vereinzelten Narben verziert. Sie war nun eine große taffe Frau, die wahrscheinlich mit ihren jungen Jahren mehr gesehen hatte, als sie hätte sehen sollen.

Elena desinfizierte die tiefsten Wunden und deren nähere Umgebung, als sie damit fertig war, drückte Kompressen auf diese, legte einen Zugang und hängte eine Kochsalzlösung an den Ständer neben dem Bett, und verabreichte die Infusion über den Zugang. Sie zog sich Einmalhandschuhe an, nahm eines der sterilisierten OP-Bestecke aus der Verpackung und setzte sich auf den Hocker neben dem Bett. "Okay, das wird jetzt weh tun... sei stark." warnte die ehemalige Lehrerin das Mädchen und setzte das Skalpell an.

Am Anfang des Krieges hatten natürlich nur Ärzte operiert, doch mit der Zeit wurden es immer mehr Verwundete, so dass die Ärzte nicht mehr ausreichten. Berufsgruppen, welche nicht mehr gebraucht wurden, unter anderem auch Lehrer, da die Schulen größtenteils in Schutt und Asche lagen, wurden umgeschult, Elena wurde zur Sanitäterin ausgebildet, doch mittlerweile besaß sie auch Erfahrung im Operieren, und da sie zuvor Biologie Lehrerin gewesen war, kannte sie sich auch im Menschlichen Körper aus.

Sie schnitt einen ausreichend langen Schnitt und arbeitete sich langsam zur Kugel vor. Rahel schrie kurz auf, und sackte bewusstlos zusammen. Elena hätte sie gerne betäubt, oder wenigstens ein weiteres Schmerzmittel verabreicht, doch diese waren teuer und selten geworden und wurden nur im aller dringendsten Fall verwendet.

Nach der ersten Kugel, nähte Elena die Wunde zu, und wandte sich zur nächsten. So ging es weiter, bis alle drei Kugeln draußen waren, und sie auch die Schnitte zugenäht hatte, wischte sie behutsam das Blut vom Körper des Mädchens, verband die Wunde am Bein und Bauch, für die anderen Wunden hatte sie keinen Verbandsstoff mehr, und legte eine der Decken über sie. Still betete Elena dafür, dass das Mädchen es schaffen würde.

Die nächsten Sirenen näherten sich dem Zelt, und Elena wurde wieder zu einem weiteren Patienten gerufen.

Erst spät in der Nacht, konnte sie zu Rahel zurückkehren. Das Mädchen war immer noch bewusstlos. Eine kurze Strähne ihres blutverkrusteten Haares hing ihr auf der von kaltem Schweiß bedeckten Stirn. Elena sank neben dem Mädchen auf das Feldbett nieder und strich ohne groß darüber nachzudenken, die Haarsträhne von der Stirn. Sanft fuhr sie mit der Hand über die kalte Wange und betrachtete das blasse Mädchen.

Wie sehr sie ihre ehemalige Schülerin doch vermisst hatte.

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