Kapitel 2

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Freitag der 09.07.2024

Lautes Stimmengewirr riss Elena aus ihrem Schlaf. Müde schlug sie ihre Augen auf und hob den Kopf widerwillig von ihrem bequemen, vielleicht etwas Harten, dafür warmen, Kopfkissen. Sie rieb sich etwas die Augen und brauchte einen Moment um sich zu orientieren. Sie war im Sanitätszelt. Offenbar war sie neben Rahel sitzend eingeschlafen und im Schlaf war ihr Kopf auf deren Hüfte gesunken. Ihr Blick viel auf die schlafende Soldatin. Sie war noch genauso blass wie am Vortag und sie schien noch stärker zu schwitzen. Eilig überprüfte Elena die Atmung, so wie den Puls. Beides schwach, aber beides da und das wichtigste, zum glück auch regelmäßig.

Elena schob sich durch die anderen Helfer zu einem der Wasserbehälter. Fließend Wasser gab es schon lange nicht mehr, und man war froh, wenn man einen Wasserbottich bekam, dessen Wasser noch nicht nach Plastik schmeckte... beziehungsweise, man überhaupt Wasser abbekam. Sie machte ein Tuch feucht, benutze dafür natürlich das abgestandene Wasser und machte sich auf den Rückweg zu ihrer ehemaligen Schülerin.

Neben der Brünetten stöhnte ein Mann theatralisch auf und jammerte über große Schmerzen. Einer der Pfleger versuchte ihm klar zu machen, dass er kein Schmerzmittel bekommen könne, und wurde dafür aufs übelste verflucht. Elena schüttelte leicht den Kopf. Der Mann hatte eine leichte Fleischwunde am Arm. Sicher, dass tat weh, aber andere Patienten mit schlimmeren Wunden beschwerten sich weniger. Die ehemalige Lehrerin ignorierte das Gekeife und wischte behutsam mit dem Lappen den kalten Schweiß von Rahels Gesicht. Sanft legte sie ihre Hand auf deren Stirn und musste besorgt festlegen, dass sie über Nacht fiebrig geworden war. Also platzierte sie den feuchten Lappen auf die Stirn der Soldatin und schob die Decke zur Seite, um sich die Wunden anzusehen. Die Schnittwunde über der Brust sah noch gut aus, aber die Schusswunde am Bauch schien etwas entzündet zu sein. Zumindest deutete der rote Rand darauf hin. Fluchend entfernte Elena sich vom Feldbett und ging zum Vorratsschrank. Nach kurzer Suche fand sie den hochprozentigen Alkohol und kehrte zu der bewusstlosen Soldatin zurück. Sie tropfte einige Tropfen des Alkohols auf ein Wattepad und desinfizierte die Wunde erneut. Sie hoffte das dies reichen würde... wenn der Alkohol nicht helfen sollte, musste sie die Wunde ausbrennen, aber das wollte sie der Schülerin definitiv ersparen. Nach dem sie auch die restlichen Wunden notdürftig desinfiziert und den Lappen von Rahels Stirn mit frischem, abgestandenem Wasser getränkt hatte, begann sie sich um die anderen Patienten zu kümmern, erst spät am Abend konnte sie zu ihrer ehemaligen Schülerin zurückkehren. Nach dem sie erneut die Wunden versorgt hatte, ließ sie sich erschöpft auf dem Hocker neben dem Bett nieder und seufzte leise. Wie hatte es nur so weit kommen können... von zwei Jahren war doch noch alles gut gewesen... naja, fasst alles...

Freitag der 15.09.2022

Erschöpft füllte Elena den kalten Kaffee aus der Kanne in ihre eigene Tasse. Die letzten beiden Schulstunden lagen noch vor ihr, doch die vorherigen Klassen hatten sie bereits geschafft. Immer hin war es im Lehrerzimmer momentan recht ruhig, die wenigen Kollegen im Raum arbeiteten schweigend an ihrer Unterrichtsvorbereitung für die nächsten Tage oder entwarfen Klassenarbeiten. Elena hatte die nächsten beiden stunden ihre Abschlussklasse in Mathe. Eigentlich freute sie sich nicht gerade, da leider wenig Schüler dabei waren, welche den Ehrgeiz hatten sich anzustrengen und mit zu machen, aber immerhin würde sie Rahel wiedersehen. Ein verträumtes Lächeln bildete sich auf ihren Lippen, als sie an das Mädchen dachte. Diese bezaubernden, funkelnden braunen Augen, die weiche Kieferpartie, welche dazu einlud sanft darüber streicheln zu wollen, die kastanienbraunen Haare, welche sie in einem Undercut trug, und Elena nur zu gerne mal durch wuscheln wollte, die wahrscheinlich sehr weichen Lippen... HÖR AUF! Sie ist deine Schülerin, du kannst nicht so vor dich hin schwärmen! Ermahnte sie sich selbst.

„Hey... Elena... hast du das schon gelesen?", Mareike war unbemerkt von ihr hinter sie getreten und tippte ihr penetrant auf die Schulter. Elena erschreckte sich tierisch und fuhr herum. „Meine Güte, erschreck mich nicht so.", entfuhr es der Angesprochenen. „Wo warst du den mit deinen Gedanken? Ich hab doch extra deinen Namen gesagt...", fragte nun Mareike neugierig. „Ach... äh nirgendwo... die letzte Stunde war stressig... du weißt schon Fünft-Klässler..." „Ach so... ja... was ich dich fragen wollte. Hast du den Zeitungsbericht von heute gelesen? Das wird immer schlimmer... ich hoffe die kriegen sich bald ein... sonst wird das ne Katastrophe." Elenas beste Freundin hielt ihr das Handy vor die Nase und deutete auf den Online Zeitungsbericht, welcher bereits geöffnet war. Elena schnappte sich das Handy und begann zu lesen. „Mmmm... USA verhängt weitere Strafzolle gegen China... China verbietet weitere Produkte aus den USA... USA verhängt Strafzolle gegen Russland... Russland verschieb Truppen an die Grenzen von Belarus und Ukraine...", murmelte Elena leise vor sich hin, als sie den Artikel überflog, entsetzt schüttelte sie den Kopf, „Ich verstehe nicht was das soll..." „Irgendein Wirtschaftswettkampf...", grummelte Mareike betrübt. Elena seufzte leise: „Naja, solange es dabei bleibt, sollte ja nichts weiter passieren..." „Hoffentlich..." Die Schulklingel unterbrach das Gespräch und die beiden Lehrerinnen schnappten sich ihre Sachen um zum Unterricht zu gehen.

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