Kapitel 5

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Samstag der 10.07.2024

Elena hetzte Marvin hinter her, am Zelteingang standen schon die ersten Rettungswagen und Rettungsgeräte, eine Liege nach der andren wurde in das stickige, mittlerweile zu enge, Zelt geschoben. „Was haben wir hier?", fragte Elena einen der Soldaten der einen Patienten hereinschob. Sie wusste nicht wie oft sie das nun schon gefragt hatte, auch wusste sie nicht mehr wie viele Patienten sie hinein und wenig später Tot wieder herausgeschoben hatte.

„Abgetrennter rechter Unterschenkel, Brandwunden am Thorax...", fing der Soldat aufzuzählen, „Wir haben das Bein abgebunden, und Schmerzmittel gegeben..." Elena nickte: „Bringen sie ihn auf die 75, ich übernehme." Sie folgte dem Soldaten mit der Trage, nachdem sie den Platz erreicht hatten, und der Soldat verschwunden war, wandte sie sich dem Verletzen zu: „Ich bin Elena Meister, können Sie mir sagen was passiert ist?" Der Mann, Elena schätzte ihn auf Mitte Vierzig, verzog vor Schmerz und Anstrengung das Gesicht. „Ich... wir waren gerade ins Lager zurück gekommen.... Dann war da dieser Knall... Und wenig später flog alles in die Luft..." Elena nickte betreten: „Okay... ich schau mir jetzt Ihr Bein an, das wird weh tun..." „Mir tut schon alles weh...", knurrte der Mann erzürnt und erschöpft. Elena erwiderte nichts darauf, der Mann war genau wie sie ausgelaugt und am Ende seiner Kräfte. Sie legte den Stumpf des Beines frei und musste sich zusammen reisen um nicht aus dem Zelt zu stürmen, der Knochen schaute heraus, das Blut begann langsam zu verkrusten, und die stellenweise bereits schwarze Haut hing in Fetzen herab. 

„Ich werde die Wunde ausbrennen müssen...", erklärte Elena ruhig, das Letzte was ihr Patient jetzt gebrauchen konnte, war dass sie sich ekelte oder selbst in Panik geriet. Sie begab sich zu einer Feuerstelle außerhalb des Zeltes, hier wurden Metalle erhitzt... Sie nahm eines der Bleche und beeilte sich zurück zu ihrem Patienten zu kommen, ohne dabei jemanden anderen zu verbrennen. Beim Soldaten angekommen zögerte sie nicht und drückte das Blech auf das Bein des Mannes. Dieser schrie vor Schmerz auf, die Luft begann nach verbranntem Fleisch zu riechen und Elena unterdrückte ihren Würgereiz. In der Hoffnung, dass nun alle Blutgefäße verödet waren, entfernte sie das Blech wieder, sie cremte den Stumpf vorsichtig mit einer heilenden Salbe ein, welche zum Glück auch bei Verbrennungen genutzt werden durfte, legte mehrere Mullbinden auf und verband es dann feinsäuberlich. Der Mann atmete nur noch flach und schien gegen die Bewusstlosigkeit anzukämpfen, Elena hätte ihm gerne etwas gegen die Schmerzen gegeben, doch die Vorräte an Schmerzmitteln neigten sich dem Ende zu.

Danach befreite sie den Oberkörper des Mannes von den Resten der verbrannten Kleidung, die Haut darunter war knall rot und Hand große Blasen bildeten sich darauf. Sie legte kühle Binden auf die erhitze Haut, der Mann zischte schwach auf. „Ich weiß.... Das tut weh... aber Sie müssen stark bleiben... das wird wieder...", redete sie ihm gut zu. „Ich will aber nicht mehr... dieser Krieg.... So sinnlos... ich kann nicht mehr...", hauchte er verzweifelt durch zusammen gepresste Zähne. Elena verstand ihn nur zu gut, sie konnte auch nicht mehr, sie wollte nicht mehr, doch aufgeben war für sie keine Option, wenn sie aufgab, wer verarztete dann die Verletzten, welche zu den Kämpfen gezwungen wurden?

Nach dem sie die Wunde einige zeit gekühlt hatte, cremte sie auch diese ein und verband sie behelfsmäßig, für solch großen Wunden fehlte eindeutig das Verbandsmaterial.

Sonntag der, 11.07.2024

Erst bei Anbruch des nächsten Tages kehrte wieder etwas Ruhe ein. Elena kehrte müde und völlig ausgelaugt zu Rahel zurück. Diese blickte sie aus verschlafenen Augen besorgt an. „Hey...", hauchte Rahel leise. „Hey...", murmelte Elena und sank neben der Soldatin auf die Liege. „Sie sollten schlafen...", flüsterte Rahel behutsam und streckte zittrig einen Arm nach der ehemaligen Lehrerin aus. Ehe sie die Frau berühren konnte ließ sie jedoch den Arm wieder sinken. „Ich kann jetzt nicht schlafen...", wisperte Elena, die Schreie ihrer Patienten hallten noch in ihren Ohren und vor ihren Augen tauchten immer wieder die leblosen Gesichter von Menschen auf, denen sie nicht mehr hatte helfen können. Rahel nickte wissend und lächelte sie dann unsicher an: „Wenn Sie wollen..." mitten im Satz unterbrach sie sich jedoch wieder. Elena zog fragend eine Augenbraue hoch, doch Rahel wandte ihren Blick ab und musterte stattdessen angestrengt die dunkelgrüne Decke des Zeltes. „Rahel...?", fragte nun Elena unschlüssig. Rahel blickte sie sofort mit ihren sanften braungoldenen Augen an. „Also... kann... ich mich... vielleicht... also.... Zu dir legen? Ich... kann einfach nicht mehr..." Sofort öffnete Rahel ihre Arme bei der Bitte der älteren Frau. Elena lächelte dankbar und schüchtern und legte sich neben ihre Ex-Schülerin. Diese zog sie sanft in ihre Arme. In Elena breitet sich ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit aus, das Kribbeln im Bauch breitete sich im Körper stärker aus, seufzend kuschelte sie sich noch näher an den starken Körper der 21 Jährigen. 

„Tut dir etwas weh?", fragte Elena leise nach dem sie eine Weile stumm da gelegen hatten. Elena hatte ihren Kopf auf der Brust ihrer Schülerin gebettet und diese streichelte ihr sanft über den Rücken. „Nein..." „Gut...", beide wussten das es nicht stimmte, aber Rahel wollte Elena nicht noch weiter belasten und Elena war einen Moment lang dankbar darüber.

„Vorhin... du wolltest mir was sagen... weshalb du abgelenkt warst...", wagte es Elena zu fragen. Doch sie erhielt keine Antwort, sie schielte nach oben, ohne den Kopf von der bequemen Position zu erheben, und musste lächelnd feststellen, dass Rahel bereits wieder eingeschlafen war.

Ein lauter Knall weckte Elena unsanft auf, verwirrt blickte sie sich um. Erst nach und nach nahm sie ihre Umgebung wahr, die Menschen die panisch herumrannten, die Verletzen, welche sich mühsam aus ihren Betten wuchteten um dann in Richtung Ausgang zu robben, humpeln oder kriechen, und erst jetzt nahm sie den beißenden Gestank von Rauch wahr. Entsetzt musste sie feststellen, dass ein Teil des Zeltes bereits halb weggesprengt war, Flammen fraßen sich hungrig durch die Zeltwände. Elena sprang angsterfüllt auf, sie wurden angegriffen, einer der Feinde griff eine Krankenstation an! 

Ihr blick fiel auf Rahel, welche mit offenen Augen wie erstarrt da lag. „Fuck!", fluchte Elena und begann an Rahel zu rütteln, um diese aus ihrer Schockstarre zu befreien. „Rahel! Komm schon, du musst dich zusammenreißen, wir müssen hier raus!" Langsam kam das Mädchen wieder zu sich. Ihre Atmung war zu hektisch, aber Elena hatte nicht die Zeit sie jetzt zu beruhigen. „Kannst du gehen, wenn ich dich stütze?", fragte sie möglichst ruhig aber bestimmt nach. Rahel nickte leicht. Elena half ihrer ehemaligen Schülerin aus dem Bett und legte stützend einen Arm um deren Hüfte, einen von Rahels kräftigen Armen legte sie sich selbst über die Schultern, zusammen wankten sie dem Ausgang entgegen.

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