Prolog

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Eden

„Daemon, bitte." Ich erkannte meine eigene Stimme nicht wieder. Sie klang so ungewohnt schrill und panisch, dass es eine Weile dauerte, bis ich realisierte, dass ich selbst es war, die geschrien hatte. 

Normalerweise schrie ich nicht. Niemals. Zu schreien hätte bedeutet, dass ich irgendwelche Emotionen hätte zeigen müssen, beziehungsweise dass ich irgendwelche Emotionen hätte zulassen müssen. Und das war mir gelinde gesagt, so etwas von zuwider, dass ich mir lieber ein Messer in den Arm gerammt hätte.

Deamon reagierte nicht. Möglicherweise war er tatsächlich der einzige Mensch, der es noch weniger leiden konnte als ich, wenn Menschen ihn durchschauen konnten. Und er war gut darin es zu verbergen, was in ihm vorging. Leider viel besser als ich es jemals sein würde. Ich hatte keine Ahnung was gerade in ihm vorging. Wobei nein. Das stimmte nicht ganz, denn ich war mir ziemlich sicher, dass er gerade wahnsinnig wütend war. Was ich nicht wusste war, ob er aus Wut lediglich mich, oder uns beide umbringen würde.

„Es tut mir leid. Ich werde alles tun, was du von mir verlangst." Ich versuchte es noch einmal. Nicht weniger hysterisch als zuvor. Dieses Mal erntete ich zumindest ein verächtliches Lachen. Für Daemon war das schon verdammt viel Gefühlsregung. Und ich wusste, was es bedeutete, wenn er auf diese Weise lachte. Na schön. Das war es nun. Ich würde sterben.

Daemon verlor oft die Geduld, er wurde schnell wütend, besonders wenn man sich nicht an seine Regeln hielt. So hatte ich ihn jedoch noch nie erlebt. Er war ein Mann zu dem alle aufschauten. Niemand hatte es in der Zeit, in der ich ihn kannte, gewagt sich gegen ihn aufzulehnen. Niemand hatte es gewagt auch nur etwas derartigen in Betracht zu ziehen. Daemon Dornan war gefürchtet und das zu Recht. Wer sich ihm in den Weg stellte, nicht nach seinen Regeln spielte, der wurde von ihm beseitigt. Das sollte nun auch für mich gelten.

Ich warf einen Blick auf seine Hände, die sich fest um das Lenkrad des Wagens geschlossen hatten. Dann sah ich auf den Tacho, auf welchen ich freie Sicht hatte. Ich spürte wieder eine Welle der Panik, als mir bewusst wurde, dass wir uns gerade auf einer schmalen Landstraße befanden und Daemon weit über 150 Stundenkilometer schnell fuhr. Dass er einiges getrunken hatte, machte die Lage wohl nicht gerade besser. Als er um eine Kurve raste und ich gegen die Autotür geschleudert wurde, war ich froh, dass er zumindest daran gedacht hatte mich anzuschnallen, nachdem er meine Hände und Füße mit einem Seil gefesselt hatte.

Ich hatte versagt. Ich hatte meine Familie im Stich gelassen und nun konnte ich ihnen nicht einmal sagen, dass ich es bereute und dass es mir leidtat. Schrecklich leid. Obwohl ich wusste, dass das was ich ihnen angetan hatte, zu schlimm gewesen war, als das es hätte vergeben werden können, wollte ich nicht sterben, ohne mich zumindest bei ihnen entschuldigt gehabt zu haben. Doch vermutlich würden sie nicht einmal erfahren, dass ich gestorben war. Weil niemand wissen würde, wer die junge Frau war, in die ich mich in den letzten Jahren verwandelt hatte. Ich zog verzweifelt an dem Seil, auch wenn ich wusste, dass es wenig Sinn ergab.

Mein Vater wäre enttäuscht, wenn er mich jetzt sehen könnte, dass wusste ich. Hätte ich die Chance es ihm zu erklären könnte er mich vermutlich verstehen, aber das würde nichts an der Tatsache ändern, dass er immer noch enttäuscht von mir wäre. Ich hatte geglaubt dass richtige zu tun, war jung gewesen und hatte den falschen Menschen vertraut. All die Jahre hatte ich an den Schattenseiten meines alten Leben festgehalten, um nicht an meinen schrecklichen Entscheidungen zu zerbrechen, doch nun ging mir eines auf. Ich hatte mich geirrt, denn selbst wenn mein vorheriges Leben nicht perfekt gewesen war, war es meine Familie, die immer zusammengehalten hatte. Und ich hatte sie verraten. Verdammte Scheiße. Und jetzt hing ich hier gefesselt in einem Sicherheitsgurt und konnte nichts weiter tun, als dem Tod direkt ins Gesicht zu blicken.

„Ich liebe dich, Eden." Mein Kopf schnellte zu Daemon herum, in der festen Überzeugung, dass er mich entweder verarschte, oder ich mir seine Worte gerade eingebildet hatte. Doch er wendete seinen Kopf mir zu und sah mich mit einem ernstem und fest entschlossenem Ausdruck im Gesicht an. 

Drehte er jetzt vollkommen durch? Dass er nicht ganz bei sich war, das war mir durchaus bewusst. Ich denke, dass machte meine Lage bereits allzu deutlich. Doch nun war ich mir vollständig sicher dass er durchdrehte. Ich wollte ihn anschreien, dass er sich wieder umdrehen und auf die Straße schauen solle. Auch wenn ich wusste, dass ich ohnehin nichts zu melden hatte. Doch ich kam nicht dazu. Er hinderte mich daran. Seine Hand legte sich um meinen Hinterkopf und ehe ein Wort meinen aus Schock geöffneten Mund hätte verlassen können, und er presste seine Lippen auf meine. 

Er konnte gut küssen, daran gab es keinen Zweifel. Er hatte mehr getrunken als ihm guttat und fuhr ein Auto und dennoch musste ich zugeben, dass er wirklich gut küssen konnte. Hätte es sich nicht derart falsch angefühlt ihn zu küssen, hätte ich meinen drohenden Tod vermutlich sogar für kurze Zeit vergessen können. Doch es war falsch, denn es war nicht Daemon den ich küssen wollte. Und Daemon war es auch nicht den ich liebte. 

Ich wusste, dass er das wusste und trotzdem küsste er mich, als wäre ich sein persönlicher Besitz, über den er frei verfügen konnte, als wäre ich einer der Menschen, die einfach so nach seiner Pfeife tanzten. Das machte mich beinahe so wütend, wie gefesselt neben ihm auf dem Beifahrersitz zu sitzen. 

Ich hielt die Luft an, in der Hoffnung in wenigen Sekunden aufzuwachen und mich in meiner kleinen Wohnung in New York wiederzufinden. Es war unmöglich zu glauben, dass das hier gerade der Realität entsprach. Das konnte einfach nicht sein. Ich war überfordert, bekam nichts mehr mit und bemerkte erst viel zu spät das dröhnende Hupen eines uns entgegenkommenden Wagens. Ruckartig riss ich mich von Daemon los und starrte meinem Tod wortwörtlich ins Gesicht.

 Scheinwerfer, zwei, direkt auf der Höhe meines Gesichts blendeten mich. Ich kniff die Augen zusammen. Doch das änderte nichts an der Tatsache, dass es plötzlich immer heller zu werden schien. Geräusche drangen an mein Ohr, doch ich konnte sie nicht zuordnen. Ich meinte Daemons Stimme zu vernehmen, konnte jedoch den Sinn seiner Worte nicht begreifen. Doch ganz ehrlich. Es war mir egal. Ich spürte Schmerz, ohne seine Ursache zu kennen und auch das war mir egal. Alles schien plötzlich bedeutungslos. Meine Welt wurde schwarz und ich werte mich nicht dagegen an. Als wüsste ich, dass es ohnehin keinen Sinn gehabt hätte sich gegen die Finsternis zu wehren. Oder aber als würde ich spüren, dass sie meine einzige Möglichkeit auf den lang ersehnten Frieden war. Egal was von beidem zutraf, es war mir gleichgültig, denn endlich war es vorbei. Ich war frei.


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