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Gedankenverloren blicke ich aus dem Fenster.
"Sie haben besseres verdient.", wiederhole ich die Worte des grünäugen Mannes aus dem Aufzug. Ich nippe an meinem Glas Wein und schließe die Augen, als sich einzelne Tränen anzukündigen scheinen. 

Ein Klopfen zerstört meine Gedanken rund um den heutigen Tag. Mit dem Handrücken wische ich über meine Augen und nehme damit in Kauf, dass mein Make-Up nun noch zerstörter sein wird. Zudem werfe ich das Kühl Pack auf den Steintisch und  Ein Blick durch den Türspion zeigt mir den hellbraunen Hinterkopf eines Mannes. Jonathan, schießt es mir in den Kopf.

Und hektisch öffne ich meine Eingangstür. "Was willst du hier?" Erneut läuft eine Träne über mein Gesicht und eine tiefe Stimme durchbricht meine Angst. "Grace.", der Mann dreht sich um. Geschockt weiten sich meine Augen, als ich in die grünen Augen des Aufzugmannes blicke und fragend eine Augenbraue hebe als ich ein, "Du bist nicht Jonathan.", murmle. 

Zögernd hebe ich den Blick. "Du hast recht. Ich bin nicht er.", ein Schmunzeln umspielt die Lippen des Unbekannten und restlos verwirrt runzle ich nun die Stirn. "Wer sind Sie? Was wollen Sie hier?"

Nervös kratzt er sich im Nacken und lässt einen Blick auf die benachbarte Tür im Flur fallen. Die Tür meiner Nachbarin, die mir ihr Handy geliehen hatte, mir ihre Hilfe angeboten hatte. Leise räuspert er sich, "Wir hatten wohl zufälligerweise den selben Weg vor uns. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich besuche hier nur Lia, aber ich sah, dass Sie in diese Wohnung gingen und wollte mich einfach nach ihrem Wohlbefinden erkundigen."

Lia also, ein hübscher Name, überlege ich und erst in diesem Moment wird mir bewusst, dass wir zwar seit Beginn unserer Nachbarschaft ein freundschaftliches Verhältnis pflegen und uns doch nie unsere Namen genannt hatten. "Mir geht es gut, danke der Nachfrage.", murmle ich nur und mache Anstalten mich zurück in meine Wohnung zu begeben. 

Mit Worten und einem bittenden Blick in meine blauen Augen hält der Mann mich ab. "Ich möchte nicht aufdringlich oder gar neugierig wirken, allerdings machen sich Lia und ich Sorgen um Sie."

Nervös lache ich auf. "Das ist nicht nötig, ich bin doch nur gestürzt." Und im selben Moment, als er noch einmal Anstalten macht etwas zu sagen, drücke ich die Türe zu. Mit einem Klicken rastet sie im Schloss sein. Und kaum eine Sekunde darauf höre ich schon ein energisches Klopfen.

 "Grace, reden Sie mit mir." Und ich entferne mich fluchtartig aus meinem Flur. Er soll mich in Ruhe lassen. Mit einem Wimpernschlag lösen sich ein paar Tränen aus meinem Augenwinkel und verärgert wische ich sie weg. Wieso muss ich auch immer heulen?

Ich lasse mich auf den Hocker im Bad fallen und blicke in mein blasses Gesicht. Die Augenringe zeichnen sich dunkel unter dem bereits entstandenen Hämatom ab und wende schon nach Sekunden den Blick ab. Ich kann ein solches Bild meinesgleichen nicht ertragen. Ohne in den Spiegel zu sehen greife ich nach Abschminktücher und reibe mir das verwischte Kunstwerk weg. 

Jeder Handgriff lässt meinen Blick auf meine Handgelenke fallen und ich bin mir sicher, solche Verletzungen erfährt niemand, sobald man stürzt. "Warum bist du nur so blöd?", hauche ich mir zu und ziehe die Nase hoch. Wie kann man nur so dumm sein, einen Mann wie Jonathan zu lieben.

Meine Gedanken schweifen zu unseren gemeinsamen Ausflügen und den unzähligen Bildern. War alles nur Show? Zu gerne würde ich die Bilder auf meinem Handy aufrufen, um in seinem Gesicht zu lesen, ob er je ein Wort ernst gemeint hatte. Und erneut steigt der Ärger über mich selbst in mir auf, schließlich habe ich die Möglichkeit, mir mein Handy bei ihm zu holen, vermiesen, als ich nach seinen hasserfüllten Worten die Wohnung verlassen hatte und in den Aufzug mit dem grünäugigen Mann gehetzt war.

Erschöpft verlasse ich das Badezimmer, ich bin müde und möchte einfach nur schlafen. Während ich schlafe, kann ich vielleicht die vergangenen Stunden vergessen. Zitternd lasse ich mich in mein Bett fallen, ziehe die Decke über meinen zerschundenen Körper und schlinge die Arme um meine angezogenen Knie um schließlich die Augen zu schließen und dem Schmerz zu entfliehen.

Minuten- oder gar stundenlang wälze ich mich in meinem Bett hin und her. Ich fühle mich benutzt, ausgelaugt und schwach. Wie konnte eine Beziehung so voller Liebe eine solche Enttäuschung sein? Tränen lösen sich erneut aus meinen müden Augen und ich dachte schon, so viel wie ich geweint hatte, müsste mein Körper schon lange ausgetrocknet sein.

Gedankenverloren murmle ich eine leise Melodie, um mich selbst zu beruhigen. Vor meinen Augen spielen sich endlos viele Szenarien ab. Die erste Ohrfeige, die Entschuldigungen, der Sex, die Vergewaltigung - wie sollte ich sonst seine Tat benennen? - die Drohungen, die Gewalt und der Hass. Zuletzt denke ich an das Versprechen, ich müsse morgen herhalten. Schließlich bin ich Seins. 

Das Recht mich von ihm zu lösen ist nicht das meine, schließlich ist er er. Er ist der Mann, dem ich zu gehorchen habe. Schmerzlich lache ich auf. Wie kann ich mich einem solchen Mann nur unterwerfen wollen?

Und doch weiß ich, auch wenn ich mir heute noch Hilfe suchen werde, er würde es nicht zulassen. Er würde mir nicht erlauben, ihn zu verlassen. Denn ich bin Seins, auch wenn er anderer Frauen anfasst, so wie er es mir gesagt hatte. Die nackte und gefühlsstillende Angst kriecht immer weiter an meiner Wirbelsäule hinauf, nur um eine eiskalte Hand um mein schmerzendes Herz zu legen.

Ich bin mir sicher, ich liebe Jonathan - schließlich hat er so viele gute Seiten an sich, die er unzählige Male mit mir geteilt hatte. Verzweifelt suche ich in meinem Kopf nach einer Erklärung, vor zwei Wochen war er bei Weitem noch nicht so. Natürlich haben wir gestritten und doch ist ihm nie die Hand ausgerutscht. Und ebenso wenig hat er  mich vor diesen Vorfällen betrogen oder mir solche sexuellen Vorlieben genannt.

Ein leises Klingeln unterbricht meine Suche nach Erklärungen und grummelnd richte ich mich auf, nur um Sekunden später schmerzhaft aufzuzischen als ich mich mit meinen Händen am Bettrand abstütze, um aus dem Bett zu kriechen.

Da das Klingeln noch immer anhält beeile ich mich in den Flur zu kommen und das Telefon aus der Halterung zu nehmen, ein Blick auf das Display zeigt mir eine unterdrücke Nummer. "Ja?", frage ich vorsichtig nach dem Namen des Anrufers.

"Morgen, siebzehn Uhr bei mir. Du wirst da sein, du dreckige Hure, sonst vergesse ich mich.", flüstert eine raue Stimme und augenblicklich lösen diese drohenden Worte eine Gänsehaut an meinem ganzen Körper aus. "Ich muss morgen schon-", versuche ich ihm mit zitternder Stimme zu erklären, dass ich morgen unmöglich Zeit habe und mit einem Schnauben bricht er meine Erklärung ab. "Du wirst da sein Grace oder ich werde es." Dann legt er auf. 

Das Tuten tönt in meinen Ohren nach und ein erneutes Zittern befällt meinen Körper, während ich auf den Boden gleite. Mit schnellen Fingern wähle ich eine Telefonnummer, nur um sekundenspäter auf die Mailbox meines Zahnarztes zu sprechen.

"Guten Abend-", mutmaße ich die Tageszeit. "-Grace mein Name. Ich hätte morgen um siebzehn Uhr einen Termin zur Nachbesprechung gehabt, diesen müsste ich leider absagen, bitte rufen Sie mich doch zurück, um einen Neuen auszumachen. Auf Wiederhören."

LiebesvergängnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt