Ich stieg aus dem knallgelben Taxi und schon fiel mir ein dicker Regentropfen auf die Stirn. Wütend schnaubte ich und wischte mir mit der Hand über das Gesicht. Zum Glück war ich keins dieser Mädchen die viel Make-Up trugen, sonst wäre jetzt wahrscheinlich meine Mascara verlaufen oder der Regen hätte meine perfekt gestylten Haare ruiniert.
Doch in diesem Moment freute ich mich, dass ich meine welligen Haare locker in einen Dutt zusammengebunden hatte und mit meinem unscheinbaren grauen Wollpulli und der blauen Jeans niemandem auffiel.
Der Start an einer neuen Schule war immer schlimm genug, doch daran war ich gewohnt. Dieses Jahr war jedoch anders. Ich war seit drei Monaten ein Waise, nachdem die Gesichter meiner Eltern ungefähr sieben Wochen ununterbrochen im Fernsehen zu sehen waren. An meiner alten Schule war ich daraufhin ein Phänomen gewesen, das alle versuchten zu fotografieren, zu filmen oder über den Tod der Eltern auszuquetschen.
Hier (damit meine ich die Thornwood Boarding School im Norden von England) sollte jedoch alles anders werden. Ich war auf einer neuen Schule,die sich auf einem anderen Kontinent befand und würde alles dafür tun, nicht aufzufallen.
Mein Plan war es, hier still und unspektakulär meinen Abschluss zu machen, damit ich danach endlich meinen wahren Zielen nachgehen konnte. Genauer gesagt wollte ich den Spuren meiner Eltern folgen. Seitdem die Suche nach ihnen im Juni eingestellt wurde und das Gericht sie offiziell für tot erklärt hatte, konnte ich an nichts anderes mehr denken.
Mit zielstrebigen Schritten lief ich auf das Hauptgebäude der Schule zu. Ich versuchte dabei, die riesigen Pfützen so gut es ging zu vermeiden, doch schon war es passiert und ich hatte einen großen, dunklen Fleck auf meiner Hose.
Als ich die große Holztür erreichte, zog ich vorsichtig an dem dicken Messingtürknauf, der die Form einer Tierkralle besaß. Die Kälte des Metalls durchzog meinen Körper und Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus.
Es nützte jedoch alles nichts, denn die Tür war verschlossen. Vorsichtig stellte ich mich auf die Zehenspitzen und versuchte durch das kleine Fenster in der oberen Hälfte der Tür zu spähen.
Plötzlich machte die Tür einen Ruck und jemand versuchte von innen, sie zu öffnen. Ich musste einen Sprung nach hinten machen, um nicht von der schweren Holztür umgestoßen zu werden und landete erneut in einer tiefen Pfütze. Meine einst helle Jeans war jetzt dunkelblau und klebte an meinen nassen Beinen.
Aus der Tür trat ein groß gewachsener Junge, der kurz stehenblieb und mich von oben bis unten musterte. Seine weißblonden Haare saßen trotz der feuchten Luft perfekt. Sie bildeten einen starken Kontrast zu seiner schwarzen Lederjacke und den dunklen Tattoos, deren Ansätze ich an seinen Unterarmen erkennen konnte.
Er würdigte mich keines weiteren Blickes und trat mit schnellen Schritten in die Auffahrt der Schule. Ich konnte nicht anders als ihm hinterherzustarren. Er lief mit einer Leichtigkeit, die es scheinen lies als würde er fliegen und ihn umgab, trotz des schlechten Wetters und seiner dunklen Kleidung, eine helle, fast strahlende Aura.
Ich wurde vom Knallen der Tür aus meinen Gedanken gezogen. Sie war zugefallen und jetzt erneut verschlossen. Als ich mich wieder umdrehte, blickte der Junge erneut zu mir und zwinkerte mir zu. Er fuhr sich locker durch die Haare und setzte dann seinen Weg fort als wäre nichts geschehen.
Wütend stampfte ich auf den Boden und ließ mich auf die nassen Treppenstufen sinken. Ich musste meine gesamte Kraft zusammennehmen, um jetzt nicht in Tränen auszubrechen. Selbst wenn er nicht mehr hier war, würde ich diesem Jungen nicht die Genugtuung geben, mich zum Weinen gebracht zu haben.
„Du musst wohl Brooke McAllister sein", ertönte plötzlich eine Frauenstimme. Sie war hinter mir aus der Tür getreten ohne, dass ich es gemerkt hatte.
„Folge mir doch bitte."
Ich stand auf, wischte mir über die Wangen und folgte ihr vorsichtig in die Eingangshalle.
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Thornwood Secrets
Teen FictionAls Brooke McAllister an das Thornwood Internat im Norden von England wechselt, merkt sie schnell, dass die beliebte Freundesgruppe rund um den gutaussehenden Ash sehr viel mehr verheimlicht als sie bei einer Runde "Wahrheit oder Pflicht" herausfind...