Kapitel 3

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Auch nachdem Sophia und ich mehrere Stunden durch das Schulgebäude gelaufen waren, fühlte es sich für mich immer noch an wie ein Labyrinth. Die glatten Steinwände und großen Sprossenfenster sahen komplett gleich aus, egal wo wir abbogen oder welche Treppe wir hinaufstiegen.

Immer wieder verlor ich die Orientierung und musste Sophia mehrmals nach dem richtigen Weg fragen. Das könnte aber auch daran liegen, dass ich viel zu abgelenkt von der Architektur und der Einrichtung des Schulgebäudes war.

Ich hatte nicht gelogen, als ich sagte, dass man sich hier fühlte wie in einem anderen Jahrhundert. Die großen Fenster wurden von schweren Samtvorhängen umrahmt und Gemälde säumten die Wände der Korridore. In regelmäßigen Abständen befanden sich kleine Sitzecken mit Ledersesseln und Stehlampen, die ein warmes Licht auf die Schüler warfen, die dort zusammen lernten.

„Und jetzt kommen wir zu meinem Lieblingsort", sagte Sophia und öffnete eine dunkle Holztür, die mit kleinen Schnitzereien verziert war.

Ich trat ein paar Schritte nach vorne und stand in der größten Bibliothek, die ich jemals gesehen hatte.

Bücherregale säumten jede freie Stelle des Raums, der von einem glitzernden Kronenleuchter erhellt wurde. Die Regale reichten bis zur Decke. Damit man auch die höchsten Ebenen erreichen konnte, gab es eine kleine Galerie, die man über mehrere Holzleitern erklimmen konnte.

Erst jetzt bemerkte ich, dass mein Mund noch offen stand. Sophia saß vor mir in einem gemütlichen Ohrensessel und grinste.

„Ich habe mir schon gedacht, dass es dir auch gefällt."

„Und wie!" Ich konnte meine Augen immer noch nicht von den Büchern loslösen.

„Es ist perfekt."

Plötzlich grummelte mein Magen und ich spürte, wie meine Wangen rot anliefen. Ich hatte vor lauter Aufregung vergessen, etwas zu essen. Meine letzte Mahlzeit hatte ich heute morgen im Flugzeug zu mir genommen und genau das ließ mich mein Körper jetzt spüren.

Sophia brach in Lachen aus und streckte mir ihre Hand hin.

„Ich glaube wir müssen ganz dringend etwas essen."

Lachend zog ich sie aus dem Sessel hoch und wir begannen unseren weg zur Cafeteria.

Ich musste erneut staunen sobald wir die Cafeteria betraten. Ich hatte einen kleinen Raum mit Plastikstühlen und schmierigem Fliesenboden, wie es ihn an meiner High School in den USA gegeben hatte, erwartet. Stattdessen traten wir in einen hell erleuchteten Saal mit langen Holztischen, die schon mit zahlreichen Schülern besetzt waren.

Sophia versuchte mir etwas über die Mahlzeiten hier in Thornwood zu erklären, doch keines ihrer Worte erreichte mich. In der Tür des Saals stand eine Gruppe von fünf Personen und ich schaffte es nicht, meine Augen von ihnen zu lösen. Auch die anderen Schüler waren meinem Blick gefolgt und plötzlich verstummten die Gespräche und alle Augen im Raum richteten sich auf die Neuankömmlinge.

Im Mittelpunkt von ihnen stand der Junge von heute morgen. Er trug immer noch die gleiche schwarze Lederjacke und seine hellen Haare schienen im Licht der Cafeteria zu leuchten.

„Ash Thornwood", flüsterte mir Sophia ins Ohr. „Seine Familie hat vor 300 Jahren geholfen, diese Schule zu gründen. Seitdem machten Generationen von Thornwoods hier ihren Abschluss. Er wirkt jedoch anders als die anderen, wenn du mich fragst."

Ich schaffte es nur mit größter Mühe, langsam zu nicken.

„Aber mach dir keine Hoffnungen", ergänzte sie. „Das einzige Mädchen, für das er sich interessiert ist seine Adoptivschwester, Aspen."

Sie zeigte auf ein großgewachsenes, rothaariges Mädchen, das neben Ash lief. Mit ihren langen Beinen und dem eleganten Gang wirkte sie fast wie eine Elfe, die aus einer Fantasiewelt in diese Schule gestolpert war. Ihre großen grünen Augen musterten vorsichtig den Raum, bevor sie sich zu dem Jungen neben ihr drehte und ihm etwas ins Ohr raunte.

Dieser brach daraufhin in leises Gelächter aus, wobei ihm fast seine Brille von der Nase rutschte.

„Ezra Hill, mein persönlicher Favorit der Gruppe", kam es erneut von Sophia.

Mir schien es, als gehörte die Vorstellung dieser Freundesgruppe zur Kennenlerntour der Schule.

Ezra hatte schulterlange haselnussbraune Haare. Seine markanten Augenbrauen bildeten einen Kontrast zu den weichen Gesichtszügen und dem vorsichtigen Lächeln auf seinen Lippen. Unter seinem linken Arm hielt er einen Stapel in Leder gebundener Bücher. Zusammen mit der braunkarierten Hose und dem beigefarbenen Hemd fügte sich seine Erscheinung perfekt in die Kulisse des antiken Schulgebäudes ein.

Auf der anderen Seite von Ash ging ein weiterer Junge. Er war schwarz mit brauen Locken und trug eine Reituniform einschließlich enger, weißer Hose, dunklen Lederstiefeln und einem dunkelgrünen Jackett.

Ich drehte mich zu Sophia.

„Und wer ist das?"

„Das ist der Starsportler der Schule, Isaiah Bishop. Lana da drüben meinte, er wird in drei Jahren bei Olympia für Großbritannien reiten. Und dabei auch noch verdammt gut aussehen!"

Ich lachte und wendete meinen Blick, um das letzte Mitglied der Gruppe genauer zu studieren. Sofort spürte ich wie mein Gesicht knallrot anlief. Es war der Junge aus dem Flur. Genau der, der mich so intensiv angestarrt hatte, während er ein anderes Mädchen küsste. Seinen Namen wollte ich erst garnicht wissen. Aus den Tuscheleien am Tisch neben mir konnte ich jedoch vernehmen, dass es sich um Zane handelte. Na toll!

Leider musste ich aber zugeben, dass er nicht schlecht aussah. Mit den tiefschwarzen Haaren und dem düsteren Blick bildete er das perfekte Gegenstück zu Ash, der sich mittlerweile in die Essensschlange gestellt hatte und ein angeregtes Gespräch mit Isaiah führte.

Während ich mich beim Gehen erneut nach Zane umsah, bemerkte ich nicht, dass vor mir jemand seinen Platz am Tisch verließ und krachte mit voller Wucht in seinen Rücken.

Von einem Moment auf den anderen war die Tomatensuppe von meinem Tablett über meine ganze Bluse verteilt.

„Scheiße", entwich es mir als ich spürte wie die Suppe mich bis auf die Unterwäsche durchnässt hatte.

„Na, sowas sagt man aber nicht."

Die Person, gegen die ich gelaufen war drehte sich um und bei meinem Glück war es natürlich Zane. Er hielt ein Stofftaschentuch in der Hand, das er mir mit einem Grinsen überreichte.

Ich begann, hektisch an dem knallroten Fleck auf meiner Brust zu reiben, doch es half nichts.

„Beim nächsten Mal die Augen aufhalten, Bambi", sagte er mit einem verschmitzten Grinsen.

Ich spürte wie sich der Scham in meinem Bauch zu glühend heißer Wut zusammenbraute.

„Entschuldige mal! Bambi?! Was fällt dir..."

In diesem Moment bemerkte ich, dass niemand mehr vor mir stand. Zane hatte mich mit meiner Wut alleine gelassen und stand nun bei Ash und Isaiah in der Schlange. Er tat so als sei nichts passiert und würdigte mich keines Blickes. Verärgert knallte ich mein mittlerweile leeres Tablett auf den Tisch und stürmte aus dem Raum.

Thornwood SecretsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt