Kapitel 8

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Ich hatte erwartet, dass Ezra mich in die Bibliothek bringen würde, doch er führte mich mit schnellen Schritten an der großen Holztür vorbei und ich musste fast joggen, um mithalten zu können.

Seine Schritte verlangsamten sich als wir vor einer dunkelgrünen Tür ankamen. Er kramte kurz in seiner Tasche, öffnete dann die Tür und wies mich an, hineinzugehen.

Er hatte mich in sein Zimmer gebracht und schnell wurde mir klar, dass sein Mitbewohner Isaiah war.

Das Zimmer war identisch zu meinem und Sophias, jedoch konnte ich an kleinen Details erkennen, wer welche Seite bewohnte. Isaiahs Regal war gesäumt von Reitertrophäen, die meisten davon gold. Bis auf die verschiedenen Proteinpulver auf dem Nachtisch war seine Hälfte ziemlich leer.

Ezras Seite war das komplette Gegenteil. Auf dem Regal stapelten sich etliche Bücher, einzelne davon sahen aus als stammten sie aus dem letzten Jahrhundert. Auf der Fensterbank befand sich eine Sammlung von Weltkugeln. Sie waren alle verschieden groß und ich erkannte kleine Unterschiede zwischen Staatsgrenzen und Ländernamen zwischen jedem Globus.

Ezras Blick folgte mir zu seiner Sammlung.

„Meine Eltern reisen viel. Seit ich klein bin bringen sie mir aus jedem Land einen mit."

Ich glaube so viel hatte ich ihn noch nie an einem Stück sprechen hören.

Vorsichtig berührte ich den größten Globus und gab ihm einen leichten Schwung. Ich konnte beobachten wie meine Fingerspitze über die verschiedenen Kontinente wanderte und dachte dabei an meine Eltern. Plötzlich war ich trotz der ganzen Umzüge froh, dass sie mich überall hin mitgenommen hatten und ich nie alleine gewesen war. Die Weltkugel hörte auf, sich zu drehen und mein Finger blieb in Salem stehen, dem letzten Ort an dem ich meine Eltern gesehen hatte.

Ein Räuspern riss mich aus meinen Gedanken und ich sah zu Ezra. Er hatte das Grimoire vor sich aufgeschlagen und deutete auf den freien Platz neben ihn.

Gespannt warf ich einen ersten Blick auf das Innere des Buches. Die Seite war gefüllt von Kreisen und Pfeilen, die zusammen einen großen Kompass bildeten. Ezra schloss das Buch wieder bevor ich mir das Blatt genauer ansehen konnte.

„Das Grimoire ist in 12 Monate unterteilt. In jedem Kapitel gibt es ein neues Rätsel, was entschlüsselt werden muss, um mit dem nächsten Monat fortzufahren. Verstanden?" erklärte Ezra.

Ich schnaubte. Ich war doch kein kleines Kind, dem man alles drei mal sagen musste.

„Die ersten 11 Monate müssen dich nicht interessieren. Das letzte Kapitel gehört aber ganz dir. Du hast bis zum Winterball Zeit, uns die Lösung zu bringen."

Vorsichtig wickelte er das Buch in eine Art Samtschal und gab es mir. Ich konnte mir mein triumphierendes Lächeln nicht verkneifen, doch es verschwand ganz schnell wieder als mir einfiel, dass ich keine Ahnung von Rätseln hatte, geschweige denn wie man sie löste.

Ich wandte mich an Ezra.

„Und das wars? Ihr wisst nichts anderes über das Buch?"

„Nicht wirklich. Wir haben es hier in der Schule gefunden. Ich würde sagen, es stammt ungefähr aus dem 17. Jahrhundert, falls dir das weiterhilft."

Er schien, genau so viele Fragen zu haben wie ich.

„Und wonach genau suche ich?"

„Ehrlich gesagt - und es fällt mir sehr schwer, das zuzugeben - habe ich keine Ahnung. Die letzten Seiten waren immer verschieden. Rätsel, Codes, Aufgaben. Es war alles dabei."

Ich schluckte, versuchte aber trotzdem zuversichtlich zu klingen.

„Na dann wird dieser Monat sicher ein Kinderspiel!"

Ezra lachte und richtete seinen Blick durch das große Fenster auf den Wald, wo sich das Stallgebäude unter den dichten Tannen versteckte.

„Du kannst es dir kein Bisschen vorstellen", entgegnete er.

Ich konnte mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Ich hatte Ezra, der sonst so still und seriös wirkte, tatsächlich zu Lachen gebracht.

Thornwood SecretsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt