Prolog - Die Neuen

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Geschützt vor den Strahlen der Sonne, lehne ich mit dem Rücken an der Außenwand der Schule. Während ich mir ein paar nervige schwarze Haarsträhnen aus den Augen streiche, lasse ich meinen Blick gelangweilt über den Schulhof schweifen, beobachte dabei die anderen Schüler, wie sie über den Asphalt gehen, wie sie in Gruppen stehen, reden, lachen, herumalbern, wie sie alleine irgendwo auf den Boden sitzen, vertieft in ihre Schulunterlagen. Dabei blende ich die Geräusche, die sie veranstalten, aus. Es ist viel zu laut und drückt meine eh schon miese Laune nur weiter runter.

Ich verstehe sowieso nicht, warum ich hier sein muss. Ich bin keiner von ihnen. Kein Mensch. Warum also verlangt man von mir, nur weil ich so aussehe, als wäre ich in ihrem Alter, hier zu sein? Wer hat sich diesen Mist nur wieder ausgedacht? Jahrhunderte lang konnten wir doch auch neben den Menschen leben, ohne uns zu sehr in ihre Welt zu bewegen. Ohne, dass wir zur Schule gehen mussten. Wer wollte, konnte es natürlich tun, genauso, wie arbeiten. Irgendwo müssen wir ja schließlich auch Geld herbekommen...

Doch vor ein paar Jahren hieß es plötzlich, dass wir Vampire, wenn wir dem Alter entsprechend aussehen, auch zur Schule gehen müssen. Wir sollen und integrieren. Warum auch immer. Und leider falle ich in die Kategorie. Da ich mit 17 gewandelt wurde, sehe ich auch nicht sehr viel Älter aus. Mit etwas Geschick, wenn ich mich dementsprechend Kleide und Style und das Licht gedämmt ist, könnte ich als 19 oder 20 Jähriger durchgehen. Allerdings hab ich keine Lust darauf und gedämmtes Licht hat man ja nicht überall. Mein Clanoberhaupt hat leider auch nicht mit sich reden lassen, obwohl ich sogar zu seinen Lieblingen zähle. Also muss ich nun die langweiligste Beschäftigung der Menschen mitmachen. Zur Schule gehen.

"Es scheint, als hätten wir zwei neue Mitschüler.", höre ich mit einmal neben mir und schaue fragend zu meinen Klassenkameraden, der irgendwie glaubt, mit mir befreundet zu sein und ständig in meiner Nähe sein zu müssen. Kurz mustere ich seine schlaksige Gestalt, die verstrubbelten braunen Haare und seine schokobraunen Augen, ehe ich seinem Blick folge und die zwei unbekannten Personen ebenfalls erblicke. Ein Mädchen und ein Junge. Wahrscheinlich Geschwister. Vor ihnen steht ein Mann, so um die 40 Jahre, einer unserer Lehrer, der mir einen genaueren Blick auf die zwei verwehrt. Was mir auch eigentlich egal ist. Dennoch kann ich meine Augen nicht von diesem Trio abwenden, irgendwas in mir lässt sie mich weiter beobachten. Und dann, als das Mädchen einen Schritt zur Seite macht, so dass ich sie richtig sehen kann, stockt es mir fast den Atem. Nicht dass ich atmen müsste. Ich tue es dennoch, aus Gewohnheit. Und weil es auffallen könnte, wenn mich einer der Menschen zu genau beobachtet.

Doch ist es nicht nur, dass ich fast vergesse zu atmen. Auch habe ich das Gefühl, als würde ich zurückgeworfen, in eine andere Zeit, ein anderes Leben. Die Luft um mich herum ändert sich, sie wird stickig und riecht nach Nässe und Fäule, meine Haut fühlst sich plötzlich dreckig an, als hätte ich mich ewig nicht mehr gewaschen und ich kann fühlen, wie sich zerrissener dreckiger Stoff um meinen Körper legt, der kaum Schutz bietet vor Kälte und Nässe. Dann höre ich ihre Stimme, leise, weinerlich, der Hoffnung beraubt, sehe ihre leeren Augen, die zu anderen Zeiten in einem wunderschönen hellen Blau gestrahlt haben, sehe ihre blonden Haare, wie sie strohig und verdreckt ihr Gesicht einrahmen, obwohl diese einmal in einen wunderschönen goldgelben Ton geleuchtet hatten.

"Celina", hauche ich fast tonlos, für Menschen nicht hörbar und reiße mich in die Gegenwart zurück. Schließe dafür kurz meine Augen und atme tief durch, ehe mein Blick wieder zu dem Mädchen schweift. Celina, meine Schwester, ist tot und dass schon seit einigen Jahrhunderten. Dieses Mädchen, kann nicht sie sein.

"Darius? Alles in Ordnung?", kam die Frage von nebenan. Ohne Chris, meinen Klassenkameraden, einen Blick zu würdigen, nicke ich. Nicht das er verstehen würde, was gerade in mir vorgeht. Er weiß nichts von mir, er weiß nicht mal, was ich bin. Aber das weiß hier auch sonst niemand, soll niemand wissen. Wir Vampire leben immer noch im Geheimen neben den Menschen. Genauso wie alle anderen übernatürlichen Wesen. Sicher... Einige Menschen wissen von unserer Existenz, doch die meisten... Sie würden nicht damit umgehen können.

Während ich auf das Klingeln zum Pausenende warte, beobachte ich das Mädchen. Dabei fallen mir doch einige Unterschiede zu meiner Schwester auf. Nicht vom Äußeren, da sieht sie ihr wirklich zum verwechseln ähnlich. Nur dass sie besser gekleidet, ihre Haare in der Sonne leuchteten und ihre Augen nur so von Glück und Leben sprühen. Allerdings bewegt sie sich anders, leichter, fröhlicher und sie scheint viel zu reden, was Celina nie tat. Hm... Das kann aber auch an unsere Lebensumstände gelegen haben. Vielleicht wäre sie auch wie dieses Mädchen gewesen, wenn sie in einer besser gestellten Familie groß geworden wäre, oder überhaupt in einer Familie.

Noch immer in Gedanken versunken, höre ich die Schulklingel und begebe mich nach drinnen, wo ich mich in meinem Klassenzimmer auf mein Platz setzte. Der Stuhl neben mir ist frei, einer der wenigen Plätze, die noch frei sind, was mir nur Recht ist. Ich brauche keinen Sitznachbar, was wohl irgendwie meine Mitschüler zu spüren scheinen, weswegen sie diesen Platz wohl freiwillig meiden. Selbst Chris hat sich nicht getraut sich neben mich zu setzen, auch wenn er sonst, wie eine Klette an mir hängt, wenn er nicht gerade bei den anderen Jungs steht, mit ihnen redet oder das macht was Menschenjungs sonst so in seinem Alter tun.

Auch hier blende ich alle Gespräche und Geräusche um mich herum aus, beachte nicht mal die Anderen und somit das Geschehen um mich herum. Sehe nur gelangweilt aus dem Fenster und hoffe, das der Lehrer bald kommt, damit es etwas ruhiger wird. Für meine empfindlichen Ohren, ist die Lautstärke, die in der Schule normal ist, nichts. Doch selbst dann, als der Lehrer endlich den Raum betritt, sehe ich nicht nach vorn, sondern weiter aus dem Fenster. Es interessiert mich nicht sonderlich, was dieser zu erzählen hat. Erst als eine mir unbekannte Stimme das Wort ergreift, richte ich meine Aufmerksamkeit dem Geschehen vorne im Klassenraum zu.

Und ein zweites Mal, an diesem Tag, raubt es mir den Atem. Neben dem Lehrer steht ein Junge, wahrscheinlich der zweite Neue. Vorhin habe ich ihm keines Blickes gewürdigt, galt meine ganze Aufmerksamkeit doch nur dem Mädchen. Doch nun gilt sie diesem Jungen. Vielleicht ihr Bruder? Vom Aussehen her könnte es sein. Er hat genau solche blonden Haare, wie das Mädchen, und ebenso lockig, nur dass seine kurz geschnitten sind. Und seine Augen sind heller, sie strahlen eher in einem Eisblau. Er ist in etwa so groß wie ich und genauso schlank, aber sportlich gebaut.

Ich kann meine Augen nicht von ihm wenden, warum auch immer. Und als sein Blick den meinen trifft, scheint es, als würde die Welt stehen bleiben. Wie wahrscheinlich auch mein Herz, wenn es noch schlagen würde.

Auch bei ihm, scheint unser Blickkontakt etwas auszulösen. Er stockt kurz in seiner Erzählung und für einen Moment habe ich das Gefühl, als würde auch für ihn, alles außer uns, verschwinden. Doch währt dieser Moment nicht lange, vielleicht ein paar Sekunden, dann wendet er sich von mir ab, lässt seinen Blick über unsere Mitschüler schweifen und redet einfach weiter. So als wäre dieser seltsame Moment zwischen uns nie gewesen.

Während ich meinen Blick immer noch nicht von ihm wenden kann, endet er mit seiner Erzählung und mir fällt erst jetzt auf, dass ich mich an kein einziges Wort von dem, was er gesagt hat, erinnern konnte. Sicher, ich würde seine Stimme nun überall wieder erkennen, selbst wenn ich ihn noch nicht sah. Merkwürdig... Sowas ist mir bisher noch nie passiert. Verwirrt über diese Begebenheit registriere ich, dass der Neue, dessen Namen ich ebenfalls nicht mitbekommen habe, auf mich zukommt und sich auf den Stuhl neben meinen setzt.

"Hi. Ich bin Milos.", grüßt er mich mit einem sanften Lächeln, was mich sofort den Unmut über seine Frechheit, sich einfach neben mich zu setzen, vergessen lässt.

"Darius.", erwidere ich, wobei meine Stimme leicht kratzig klingt. ... Verdammt... Was geschieht hier?

Endlich schaffe ich es meinen Blick von ihm los zu reißen und schaue nach vorn. Dabei bemerke ich die Blicke unserer Klassenkameraden auf uns ruhen. Sie verstehen wahrscheinlich genauso wenig, wie ich, was hier gerade passiert. Immerhin hat sich der Neue einfach so neben mich gesetzt und ich erlaube ihm das anscheinend auch noch. Dabei gibt es noch zwei andere freie Plätze hier im Raum. Er muss nicht hier sitzen. Wieso also lass ich ihn? Und wieso spürt er nicht, dass es gefährlich in meiner Nähe ist? So wie es Menschen normalerweise tun. Die Meisten meiner Mitschüler meiden mich nicht umsonst. Bis auf einige Ausnahmen, die aber dennoch einen gewissen Respekt vor mir haben und instinktiv zu spüren scheinen, wann es besser ist, mich in Ruhe zu lassen.

Obwohl ich versuche, seine Anwesenheit zu verdrängen, spüre ich ein gewissen Kribbeln auf meiner Haut, die er am nächsten ist und immer wieder wandert mein Blick zu ihm, obwohl ich es gar nicht will.

Wie kann es sein das ein Mensch mich so aus der Bahn wirft?

Vampirherz - SchicksalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt