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„Steh auf Elia, du kommst noch zu spät!", rief mein Vater vor meiner geschlossenen Zimmertür. Genervt zog ich meine Bettdecke von meinem Gesicht. „Ja, ich weiß!", rief ich zurück, da ich wusste, dass er immer noch vor meiner Tür stand. „In 10 Minuten gibt es Frühstück, denn Luis hat heute Therapie. Ich kann dich dann direkt mitnehmen, wenn du es zeitlich schaffst!", antwortete er mir. „Ich beeile mich!", rief ich wieder zurück und hörte wie seine Schritte sich von meiner Tür entfernten und er dann die Treppe nach unten ging. „Wieso müssen die immer so einen hetzen?", sagte ich zu mir selbst und schob meine Bettdecke dann komplett von meinem Körper. Ich schleppte mich zu meinem großen Fenster und zog die Rollladen nach oben. Ich runzelte die Stirn, als ich die grauen Wolken beobachtete. Ich öffnete mein Fenster und atmete die kühle März Luft ein. Die kühle Luft streifte meine Haut und sofort überzog sich eine Gänsehaut über meinen ganzen Körper.  In Zandvoort waren es gerade einmal 5 Grad draußen. Ich schloss das Fenster und ging in mein angrenzendes Badezimmer. Für eine kalte Dusche am Morgen war keine Zeit mehr, weil ich lieber im Bett liegen bleiben wollte, da heute war mein erster Arbeitstag war. Ich hatte mein Abitur absolviert und musste dann erst einmal überlegen, was ich genau machen wollte. Ich wusste zwar schon immer, dass ich gerne Physiotherapie studieren möchte, aber ich wusste nicht wirklich in welche Richtung ich genau gehen wollte. Ich verbrachte meine freie Zeit deshalb eigentlich nur mit meinem jüngeren Bruder Luis. Er war fünf Jahre jünger als ich. Luis wurde mit Trisomie 21 geboren, weshalb ich meine Eltern dabei unterstützt habe und mit ihm zu seiner Therapie gegangen bin und genau dort habe ich gemerkt, dass ich gerne mit Kindern arbeiten möchten, welche mit Trisomie 21 oder auch mit anderen Gendefekten geboren werden. Ich verbrachte also wirklich viel Zeit im Therapiezentrum und konnte die Therapeuten dabei beobachten, wie sie mit meinem Bruder arbeiteten. Als es dann Zeit wurde, mich für meinen Studiengang einzuschreiben, war mir bewusst, dass ich nicht Vollzeit studieren wollte. Was bringt mir die Theorie, wenn ich sie nicht praktisch anwenden kann? Ich hatte die Möglichkeit direkt vor meiner Tür auch hautnah dabei sein zu können, um das anzuwenden, was ich in der Uni lerne. Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und habe mich für das duale Studium eingeschrieben und zum Glück bekam ich auch einen Platz genau im Therapiezentrum wo Luis ist. Die Leute vor Ort kannten mich und meine Familie nun schon seit 15 Jahren und haben sich sehr darüber gefreut, dass ich dort arbeiten wollte und nun stand der große erste Tag bevor. Ich band meine dunkel braunen Haare hoch zu einem Dutt und cremte mein Gesicht ein. Schnell zog ich mir meine schwarze Jeans an und einen gemütlichen Pulli an. Ich schmiss meinen Schlafanzug schnell auf mein Bett und sprintete die Treppe hinunter. Als ich im Esszimmer ankam, saßen Luis und meine Eltern schon am Tisch und frühstückten. Mein Vater zog seinen linken Arm zu sich und streifte sein Hemdärmel von seiner Uhr. „Sogar in 8 Minuten. Wow.", sagte mein Vater und lachte. „Ach Jos, lass sie. Sie ist bestimmt total nervös.", erklärte meine Mutter und legte ihre Hand auf seine Uhr. „Bist du wirklich nervös Elia?", lachte mein Vater. „Eventuell.", antwortete ich knapp und setzte mich neben meinen Bruder. Ich wuschelte ihm kurz durch seine Haare und schnappte mir dann ein Brötchen. „Ey.", protestierte Luis. „Elia, du weißt genau, dass er das nicht mag.", sagte meine Mutter. Ich schaute sie ein wenig genervt an. „Sofie. Jetzt lass sie doch machen. Er kann auch für sich selber einstehen.", sagte mein Vater und schnappte sich sein IPad. Ich biss in mein mit Honig beschmiertes Brötchen. Ich sah, dass meine Mutter ihre Augen verrollte. Sie verabscheute es, wenn wir unsere Handys oder andere elektronischen Geräte an den Essenstisch mitnahmen. „Hat sie schon wieder ihre Augen verrollt?", fragte mein Vater Luis. „Jap", sagte er kurz und fing an zu lachen. Auch ich musste mir ein Schmunzeln verkneifen. Diese Situation kam so gut wie jeden Tag vor. Mein Vater hatte einen sehr umfangreichen Job und musste so gut wie immer erreichbar sein. Eigentlich wäre mein Vater fast jedes Wochenende unterwegs, doch als mein Bruder geboren wurde, hatten sie vereinbart, dass er mehr im Homeoffice arbeiten sollte, damit er meine Mutter unterstützen konnte. Naja, was kam dabei raus? Er hatte sein IPad oder Laptop immer mit dabei. Damit musste sie aber leben. „Jos, du weißt, dass ich das nicht mag. Wann sitzen wir als Familie mal alle zusammen am Tisch?", fragte sie dann und schaute ihn mit ihrem Hundeblick an. „Ihr beide wisst doch, wieso ich hier gerade mit meinem IPad sitze oder?", fragte mein Vater, anstatt meine Mutter, mich und meinen Bruder. Wir beide schauten uns an und nickten. „Danke, also könnt ihr dann eurer reizenden Mutter dann erklären, wieso sie dann nicht immer ihre Augen verdrehen soll?", fragte er dann weiter. „Halt die Kinder daraus Jos.", protestierte meine Mutter. Nun konnte mein Vater sich ein Lachen auch nicht mehr verkneifen. „Ach du liebst mich doch Sofie.", sagte er dann und zog meine Mutter zu sich und küsste sie. „Bäh.", sagte mein Bruder neben mir und auch ihr verzog angeekelt das Gesicht. „Macht das wann anders. Wir müssen gleich los.", sagte ich und stand auf. Mein Vater unterbrach den Kuss und schaute mich an. „Ach auf einmal hast du es so eilig.", lachte er und meine Mutter wurde ganz rot im Gesicht. „Ich hatte es schon die ganze Zeit eilig.", versuchte ich mich aus dieser unangenehmen Situation zu retten. Es gibt doch wirklich nichts Komischeres, als wenn man seine eigenen Eltern beim rumknutschen zugucken muss. Meine Eltern standen nun auch auf. „Ich setzte Luis nur ab, weil ich weitermuss. Kannst du ihn dann später abholen?", fragte mein Vater meine Mutter. Ich drehte mich zu ihm um. „Wohin musst du denn?", fragte ich verwirrt. Er schaute mich an und ich sah es genau an seinem Gesicht. Er wird am Wochenende nicht zuhause sein. „Ach komm schon Papa.", sagte ich und schaute ihn enttäuscht an. „Du hast gesagt du bist am Wochenende hier." Er schaute auf den Boden. „Ja, ich weiß. Aber ich muss doch am Wochenende arbeiten. Du weißt doch wie das manchmal ist.", versuchte er die Situation zu klären. „Wohin?", fragte ich nur. „Bahrain.", sagte er. „Na dann wünsche ich dir viel Spaß.", gab ich knapp zurück und ging hoch, um meine Sachen zu holen. „Es tut mir wirklich leid.", hörte ich meinen Vater zu meiner Mutter sagen. „Jos. Dir muss es nicht leidtun. Du hast sehr lange darauf verzichtet und wir wussten, dass der Tag kommen wird, wo dein Arbeitgeber nicht mehr damit einverstanden ist, weil dein Posten wirklich wichtig ist. Sie wird es verstehen, wenn sie jetzt selber arbeitet. Du kannst es nicht allen recht machen. Ich liebe dich. Pass auf dich auf und melde dich wenn du gelandet bist.", sagte sie. „Ich hoffe sie weiß, dass es mir nicht leicht fällt einfach zu gehen.", gestand mein Vater meiner Mutter. Ich stand oben auf der Treppe, dort wo sie mich nicht sehen konnten und hörte zu. „Sie weiß es Jos. Aber es ist nun mal für sie schwerer als für mich oder Luis. Ich kenne dich nicht anders und Luis versteht es noch nicht wirklich. Elia kennt es eben nicht, dass du an den Wochenenden nicht da bist. Sie wird sich daran gewöhnen.", versuchte meine Mutter meinen Vater aufzumuntern. „Vielleicht hast du recht.", gestand er. Ich ging schnell ins Badezimmer und putze mir meine Zähne, bevor ich in mein Zimmer ging und meinen Rucksack und meine Jacke holte. Ich schlüpfte an der Haustür in meine Vans und wartete auf meinen Vater und Luis. Ich spürte die Hand von meiner Mutter an meiner Hand. „Nimm ihm das nicht übel Elia.", sagte sie nur kurz und schaute mich an. Ich atmete einmal tief ein und nickte dann. „Ja, ich versuche es.", sagte ich ihr dann und sie zog mich in eine Umarmung. „Danke.", flüsterte sie an mein Ohr und ließ mich dann los. „Können wir dann jetzt los?", rief ich durch die Wohnung und Luis und mein Vater kamen dann zu mir. „Sind bereit.", sagte Luis und öffnete die Haustür. „Viel Spaß Liebling und bestell Estella schöne Grüße von mir.", rief meine Mutter mir hinter her. „Werde ich machen. Bis heute Mittag.", hörte ich sie sagen. Ich winkte ihr kurz zu und stieg in das Auto. Dann mal los zu meiner neuen Arbeit.

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