Ich lächelte schüchtern, damit mir Frau Dumont nicht ansah, wie nervös ich wirklich war. Ich war zwar als Kind immer mal wieder bei Luis Therapien dabei und auch die Zeit nach meinem Abitur habe ich großenteils hier verbracht, aber ich konnte mir kaum etwas davon merken, was die Therapeuten bei meinem Bruder gemach haben. Ich reichte aus Instinkt Luuk meine Hände. Estellas beobachtender Blick lag auf mir, doch ich versuchte es so gut es geht zu ignorieren. Luuk griff nach meinen Fingern und begutachtete jeden einzelnen Finger. Mit meinen Zeigefingern kitzelte ich seine Handflächen und wartete auf eine Reaktion. Seine Finger griffen noch stärker um meine Zeigefinger. „Gut.", hörte ich Estella nur leise hinter mir. Ich konzentrierte mich voll und ganz auf Luuk, was nicht gerade schwer war, weil er ein echt verdammt süßer kleiner Kerl war. Ich lächelte ihn an und bekam prompt ein lächeln zurück. „Okay, Elia. Soll ich weitermachen und du erzählst nebenbei Frau Dumont was auf sie und ihren kleinen Luuk zukommt?", fragte mich dann Estella. Ich nickte nur. Estella versuchte mit einem Spielzeug Luuks Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, was natürlich funktionierte. Luuk ließ meine Finger los und versuchte nach dem Spielzeug zu greifen. „Luuk wird 3-mal die Woche zu uns in die Praxis kommen, zu Frau Haynes und mir. Es werden die Therapeuten nur im äußersten Notfall getauscht. Sonst bleiben die Therapeuten immer die gleichen, damit eine gute Beziehung aufgebaut werden kann.", erklärte ich Frau Dumont. Sie schaute mich an, lächelte und nickte. „In der Therapie beobachten wir Luuks Fähigkeiten und versuchen manche Fähigkeiten durch Spielzeug zu verdeutlichen oder zu provozieren. Zum Beispiel, wenn er irgendwann so weit ist zu laufen aber von selbst nicht laufen will, werden wir ihn spielerisch dazu bekommen, für uns zu laufen.", fuhr ich fort. Frau Dumont lachte kurz auf und schaute runter zu Luuk, der gerade von Estella auf den Bauch gedreht wurde. "Kinder mit Down-Syndrom möchten wie alle Kinder sitzen, krabbeln, gehen und ihre Umwelt erkunden. Aufgrund ihrer physischen Beeinträchtigungen wie muskuläre Hypotonie, Bänderschwäche und verringerter Kraft entwickeln diese Kinder aber ihre grobmotorischen Fähigkeiten auf andere Art als normal entwickelte Kinder. Es ist daher für Eltern und Familie von größter Wichtigkeit zu verstehen, wie ihr Kind mit Down-Syndrom neue Fähigkeiten erlernt, damit es auch im häuslichen Umfeld optimal gefördert werden kann.", erklärte ich ihr. Sie schaute hoch und auf einmal wurde ihr Blick sehr traurig. Ich merkte, dass ich gerade einen wunden Punkt getroffen hatte. „Möchten sie ein Glas Wasser?", fragte ich sie. „Ja, dass wäre jetzt gut.", erklärte sie mir. Ich stand vom Boden auf und reichte ihr meine Hand um ihr aufzuhelfen. „Kommen Sie mit.", sagte ich und öffnete die Tür. „Kommst du zurecht?", fragte mich Estella. Ich nickte nur. Ich führte Frau Dumont in den Flur und holte schnell ein Glas Wasser. Als ich zurückkehrte und ihr das Wasser reichen wollte, war sie ganz auf Luis gerichtet. Sie war fasziniert. „Das ist Luis, mein Bruder.", sagte ich zu ihr, damit sie aus ihrer kleinen Starre rausgezogen wird. Sie blinzelte einmal hektisch und schaute mich dann. „Oh, danke. Das ist ihr Bruder?", fragte sie und nahm das Glas an. Ich nickte. „Ja, er ist 15 Jahre alt.", erklärte ich ihr. „Er hat auch?", fragte sie schüchtern. „Ja, er hat auch Trisomie 21 und es ist völlig Okay danach zu fragen. Es ist nichts Schlimmes.", erklärte ich ihr und lächelte. „Für mich ist es was ganz Normales. Für mich ist Luis und auch Luuk ganz normal. Ich sehe ihn nicht an und denke mir, dass er anders ist. Ich liebe meinen Bruder genauso wie er ist und für mich ist er perfekt. Frau Dumont, Luuk ist perfekt, so wie er ist und er wird ein tolles Leben führen und keine Einschränkungen haben. Nur sie müssen dafür sorgen, dass er keine Einschränkungen erlebt. Behandeln sie ihn normal. Wenn sie Angst haben, so wird er auch Angst haben. Es ist erstaunlich wie feinfühlig sie sind.", erklärte ich ihr und legte meine Hand auf ihren Arm. Sie schaute auf meinen Arm. „Ja, ich weiß aber es ist manchmal so schwer. Ich sehe die anderen Kinder und was sie alles machen können und habe Angst, dass er das nicht erleben wird.", erklärte sie und schluchzte leise. „Er wird genau das erleben, was alle Kinder erleben werden. Es wird nur etwas länger dauern bis er es erleben wird. Aber diese Therapie ist der erste Schritt in die richtige Richtung. Wir werden Luuk helfen.", versprach ich ihr. Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Können wir noch etwas hierbleiben und ihren Bruder ein wenig zu gucken. Ich finde es echt toll.", fragte sie leise. „Natürlich können wir das machen. Soll ich ihnen dann weitererzählen, wieso diese Therapie gut für Luuk sein wird?", fragte ich vorsichtig. Sie nickte. „Ja, das wäre toll, danke.", bat sie und wir setzten uns zusammen in den Warteraum, wo wir Luis dabei beobachteten wie er mit den etwas größeren Kindern zusammenspielte. „Typisch für die Kinder ist, dass sie ihre physischen Beeinträchtigungen ausgleichen, indem sie kompensatorische Bewegungsmuster entwickeln, die, wenn sie bestehen bleiben, häufig orthopädische und funktionelle Probleme nach sich ziehen", fuhr ich fort. Frau Dumont sah mich verängstigt an. Ich strich ihr mit meiner Hand über den Rücken, um sie zu beruhigen. „Es klingt schlimmer als es ist. Ein Beispiel ist der aufrechte Gang. Bei Kindern mit Down-Syndrom sieht man häufig ein Gangbild mit weit auseinanderstehenden, nach außen gedrehten Füßen und durchgedrückten Knien. Die Kinder stehen nicht aktiv, sondern passiv, sie ruhen sich sozusagen in ihrem Bandapparat aus. Wir sprechen dann von einer verriegelten Stellung der Gelenke. Dies ist eine kompensatorische Strategie, um durch Verbreitung der Basis eine bessere Stabilität zu erreichen. Jedoch kann auf Dauer dies zu Schmerzen und Überbelastungen der Gelenke führen. Wir versuchen deswegen hier in den Stunden eine aufrechte Standhaltung einzuüben, wonach die Füße unter der Hüfte positioniert sind, mehr geradeaus nach vorne zeigen und die Knie nicht überstreckt sind.", erklärte ich ihr. „Sie werden also versuchen, dass Luuk alles richtig lernt und versteht?", fragte sie nach. Ich nickte. „Trotz bestimmter Gemeinsamkeiten entwickeln sich die Menschen unterschiedlich und damit einzigartig, so auch Kinder mit Trisomie 21. Charakteristisch für das Down-Syndrom sind die besondere Augen- und Kopfform, der niedrige Muskeltonus, also die Fachsprachliche Hypotonie, Bänderschwäche sowie kürzere Arme und Beine. Die intellektuelle, motorische und sprachliche Entwicklung weicht von der normal entwickelter Kinder in Struktur und Organisation des Lernprozesses stark ab.", sagte ich weiter. „Es klingt einfach alles negativ.", gab Frau Dumont zu. „In der Medizin klingt alles meistens sehr neutral und eher negativ, da es viele Wörter gibt, die nicht-Mediziner nicht verstehen. Ich kann ihnen jedoch sagen, dass Luuk hier die beste Therapie bekommt.", versuchte ich sie zu beruhigen. „Sie können mich gerne Amilia nennen. Wir werden schließlich sehr viel Zeit miteinander verbringen.", sagte sie. „Ich bin Elia.", stelle ich mich dann auch einmal vor. „Elia? Kann ich ehrlich mit ihnen sein?", fragte sie mich. „Ich bitte sie darum, immer ehrlich zu sein.", antwortete ich ihr. „Wenn sie mir das gerade alles so erzählen bekomme ich Zweifel und mir kommt der Gedanke, dass ich die Falsche Entscheidung getroffen habe.", versuchte sie mir zu erklären. Ich runzelte verwirrt die Stirn. „Ich verstehe nicht recht was sie meinen.", sagte ich. „Naja, ich meine. Habe ich die falsche Entscheidung getroffen, bezogen auf Luuk.", versuchte sie vorsichtig zu erklären. Ich riss meine Augen auch. „Ich hoffe doch, dass sie jetzt nicht meinen, dass sie gerade Zweifeln ob es richtig war Luuk zu bekommen.", gab ich unruhig zu. Sie schaute auf den Boden. Ihr war es unangenehm. „Amilia, ich kann ihnen versichern, dass es nicht die falsche Entscheidung war. Sie sind eine junge Mutter und sie werden wahrscheinlich noch oft vor Situationen stehen und sich fragen, ob irgendwas die richtige Entscheidung war. Aber in dieser Sache können sie sich sicher sein, dass es immer die richtige Entscheidung ist, wenn man sich wirklich sicher ist und bereit ist alles für dieses Kind zu tun. Sie lieben Luuk und das sieht man. Trisomie 21 ist keine schwere Erkrankung. Kinder oder dann später Erwachsene können damit ein gutes Leben führen. Es kommt immer darauf an, wie weit man bereit ist das Kind zu fördern. Dass sie jetzt hier sind und sich mit mir darüber unterhalten ist ein guter Anfang. Sie machen genau das richtige und das werden sie bei Luuk bemerken.", bestärkte ich sie. Auf einmal zog sie mich in eine Umarmung. „Danke.", sagte sie an meinem Ohr.
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Stay fast
Storie d'amoreAls Frau ein Formel 1 Fan zu sein, kann ganz schön hart sein. Alle glauben, dass du keine Ahnung von dem Sport hast, sondern es nur schaust, weil die Fahrer so attraktiv sind. Aber das ist einfach nur grundlegend falsch. Man kann auch als Frau ein F...