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Das Therapiezentrum lag nur 15 Minuten von unserem Haus entfernt. Ich schwieg die ganze Fahrt über und schaute aus dem Fenster. Ich weiß, dass mein Vater seine Arbeit liebt und die letzten 15 Jahre für Luis und mich zuhause geblieben ist, aber ich kann mir nicht vorstellen wie es ist, wenn er fast jedes Wochenende weg ist. Er würde meistes schon am Donnerstag losmüssen und käme erst am Montag zurück. Ich hätte nur sehr wenig Zeit mehr für ihn, weil er arbeiten wäre und ich auch. Dieser Gedanke machte mich traurig. Plötzlich legte sich eine Hand auf meine. Mein Vater nahm meine Hand in seine und drückte sie sanft. „Es wird alles gut werden Elia.", sagte er. Ich schaute ihn an und lächelte knapp. „Ich werde nicht jedes Wochenende weg sein.". „Ja ich weiß. Aber es wird so verdammt anders sein. Ich will keine Veränderung.", gestand ich ihm. Er drückte meine Hand wieder. „Ich will auch keine. Vielleicht kannst du mich auch ein paar Mal begleiten, wenn es zeitlich passt meine ich. Ich könnte das mit meinem Arbeitgeber besprechen. Das wird wohl kein Problem sein. Dann haben wir wieder mal El und Pa Zeit. Was sagst du dazu?", versuchte er die angespannte Situation zu kippen. Ich schaute ihn an. „Das klingt echt toll.", sagte ich. Er schaute mich enttäuscht an. „Aber?", fragte er. „Ich will erst mal abwarten wie es mit dem Arbeiten und mit der Uni läuft.", gestehe ich. Er nickte verständlich. „Stimmt. Daran habe ich gar nicht mehr gedacht. Ich überlasse dir die Entscheidung. Ich werde am Wochenende mal mit meinem Chef reden und fragen wann du dabei sein könntest und ich gebe dir die Termine durch. Dann kannst du es dir aussuchen.", lächelte mein Vater mich an. Ich lächelte ihn bestätigend an. Das ist eine gute Lösung und dann waren wir schon da. Das Therapiezentrum lag in einer kleinen Stadt in Zandvoort. Es wurde vor 20 Jahren erbaut und war spezialisiert auf Kinder und Erwachsene mit genetischen Behinderungen. Luis geht hier seit er ein Jahr alt ist hin. Mein Vater hielt genau vor der Eingangstür und ließ Luis und mich raus. „Bis Montag!", sagte er zu uns und winkte. Er fuhr los. „Nimm es ihm nicht übel.", sagte Luis und stupste mich an. „Es fällt mir sehr schwer.", gestand ich ihm und stupste ihn zurück. „Er kann nicht immer für uns da sein. Wir sind alt genug.", sagte er dann und nahm meine Hand. „Seit wann bist du denn 30 geworden?", lachte ich und hielt seine Hand. Er zuckte mit den Schultern und ging los. „Du schaffst das El.", gab er mir Mut und drückte die Tür auf. Direkt wurde ich von dem Geruch von Desinfektionsmittel und von den Telefongesprächen umhüllt. Vier nette Frauen telefonierten hinter dem Empfang und vereinbarten Termine oder berieten Eltern. Kinder krochen und rannten durch den Wartebereich, dicht gefolgt von ihren Eltern. Luis wusste genau wo er hinmusste, denn eine seiner Therapeutinnen wartete schon auf ihn. „Guten Morgen Frau Willemsen, ich nehme Luis schon mal mit.", rief sie mir zu. „Bis später Luis.", rief ich den beiden hinter her und Luis winkte mir noch mal zu. Danach ging ich rüber zur Anmeldung. „Ich bin mit Frau Haynes verabredet.", erklärte ich der netten Dame. Sie schaute in den Kalender und nickte: „Dann nehmen sie noch kurz Platz, sie wird sie gleich abholen kommen." Ich setzte mich ins Wartezimmer. Ich war nervös. Unruhig klopfte ich mit meiner Hand auf den Oberschenkel. „Elia.", sagte dann Frau Haynes und ich erschrak. Obwohl ich sie schon eigentlich mein ganzes Leben kenne, hat sie immer noch eine unglaublich respekteinflößende Wirkung auf mich. Sie erinnerte mich teilweise an Dr. Addison Montgomery aus Greys Anatomy. Sie war älter als meine Eltern und war sich das steht's bewusst. Dennoch sah sie immer professionell aus. Sie trug meistens Kleider, was ihrer Figur schmeichelte. Ihre langen roten Haare trug sie immer zu einem Pferdeschwanz zusammen, der nicht zu niedrig aber auch nicht zu hochgebunden war. Ihr Make-Up war immer dezent, jedoch perfekt. Sie wirkte nicht wie 50, sondern eher wie Anfang 40. Mich wunderte es jedoch, dass sie weder verheiratet, noch Kinder hatte. Wie sie mit den Kindern hier im Therapiezentrum umging war einfach toll. Sie kann die Kinder einfach verstehen und, dass was sie für Luis all die Jahre getan hat, fasziniert mich noch heute. Ich stand also auf und ging auf sie zu. Wie immer wusste ich nicht, ob ich ihr die Hand reichen sollte oder ihr eine Umarmung anbieten sollte. Meistens war es eine Mischung aus beidem. Sie hielt mir ihre Hand hin und ich ergriff sie, dabei zog sie mich aber auch in eine halbe Umarmung. „Hallo.", sagte ich kurz. Als sie mich los ließ schaute sie mich an. „Elia, du bist so hübsch geworden. Ich dachte schon, deine Mutter würde übertreiben, aber das hat sie definitiv nicht getan.", sagte sie mir. „Dankeschön", gab ich ihr zurück und folgte ihr in einen der Untersuchungs-/Therapieräume. Wir nahmen beide Platz. Sie setzte sich hinter ihren Computer und ich vor ihren Schreibtisch. „Also, du wirst ab heute hier arbeiten, richtig?", fragte sie mich und tippte etwas in ihren Computer. Ich nickte. Ich freue mich. „Du wirst nebenbei Physiotherapie studieren?", fragte sie weiter. „Ja, ich warte gerade auf eine Antwort von der Universität, wie das mit den Stunden aussehen wird.", antwortete ich ihr. Wieder tippte sie. „Okay, gut. Natürlich wirst du die erste Zeit mir über die Schultern gucken, bis ich mir sicher bin, dass du mir helfen kannst und manche Patienten übernehmen kannst.", sagte sie und schaute mich an. „Aber ich glaube, dass du schnell den Dreh raushaben wirst. Ich habe dich oft mit Luis gesehen und habe keine Zweifel daran, dass die Physiotherapie dir nicht liegt.", gab sie mir zu verstehen. Ich wurde rot. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie so etwas sagen würde und dieses Kompliment war für mich sehr viel wert. „Was hältst du eigentlich davon, wenn du Luis für manche Tage mit ins Zentrum nehmen würdest, auch wenn er keine Therapie hat?", fragte sie mich dann. Meine Augen wurden groß. „Das fände ich echt toll, aber was soll er hier machen?", fragte ich dann ein wenig irritieret. „Naja, er könnte uns dabei helfen, manchen Patienten die Angst vor uns zu nehmen. Vor allem Kinder haben die erste Zeit wirkliche Probleme sich einem zu öffnen.", erklärte sie mir. Ich nickte. „Ja, ich kann ihn fragen.", sagte ich. „Okay, dann zeige ich dir mal das Zentrum", sagte sie und stand auf. Ich folgte ihr uns ließ mir alle Räume zeigen. Ich war fasziniert. Nachdem ich alle Mitarbeiter und alle Räume kennengelernt hatte, verabschiedete sich Frau Haynes von mir. Ich wollte gerade raus als sie dann doch noch mal zu mir kam. „Achja, Elia? Herzlichen Glückwunsch zum Abitur und du darfst mich dann ab Morgen gerne Estella nennen.", sagte sie und ging wieder zurück in ihren Raum. Ich schaute ihr hinterher und wusste nicht Recht was ich machen sollte. Ich schüttelte den Kopf, damit ich aus meiner Trance gerissen wurde und machte mich daran mein Rucksack zu schließen. Ich zog mein Handy aus der Tasche und öffnet meine Email App und schaute nach, ob mir meine Uni geschrieben hatte. Enttäuscht, dass nichts bei mir ankam, steckte ich mein Handy in die Tasche und ging rüber in den Wartebereich, da Luis noch 15 Minuten in der Therapie sein wird. Ich beobachtete die Eltern mit ihren Kindern. Es waren unterschiedliche Kinder und Eltern zu sehen. Man konnte genau von den Eltern unterscheiden, welche schon länger hier waren und welche, die gerade erst hier anfangen werden. Die schon länger hier waren, ließen ihre Kinder frei im Wartebereich mit andern Kindern spielen und unterhielten sich eher mit den anderen Eltern. Die Eltern, die zum ersten Mal hier waren, hielten ihre Kinder in ihrer Nähe und waren sehr ruhig. Sie redeten kein Wort und schauten nervös in alle Richtungen. Ich muss gestehen, die Atmosphäre war aber auch wirklich sehr überwältigend. Überall waren Kinder die laut miteinander spielten und Erwachsene die sich über diesen Lärm hinweg unterhielten. Dann immer wieder eine junge Frau oder ein junger Mann, welche die Kinder zu ihren Therapiesitzungen abholten und nicht zu vergessen die Telefone. Die klingelten ununterbrochen. Ich entdeckte Luis, welcher gerade ins Wartezimmer kam. „Und war es gut?", fragte ich ihn. „Ja. Wir immer.", sagte er knapp. „Bitte nicht so viele Informationen auf einmal Lu.", lachte ich und er nahm mich in den Arm. „Wie war es bei dir?", fragte er mich. „Gut. Hatte ein Gespräch mit Frau Haynes. Sie hat mir alles gezeigt. Aber ich sollte dich noch was von ihr fragen.", sagte ich. Luis schaute mich an. „Was will mich Frau Haynes fragen?", fragte er. „Sie hat mich gefragt, ob du nicht immer mitkommen möchtest, wenn ich hier arbeiten gehe.", erklärte ich ihm. Er runzelte die Stirn. „Aber ich bin doch immer hier.", sagte er. „Frau Haynes hat sehen, dass du gut mit anderen Kindern umgehen kannst. Du nimmst ihnen die Angst vor den Therapeuten und das findet sie sehr beeindruckend.", stelle ich klar. „Ich hatte auch Angst vor den Therapeuten.", gestand er. „Ja siehst du. Du könntest den Kindern hier helfen, wenn du möchtest.", sagte ich. „Das muss ich mir noch mal überlegen.", sagte er dann schließlich und lächelte mich an. „Okay, mach das.", sagte ich bestätigend. Wir verließen das Therapiezentrum und sahen unsere Mutter schon im Auto auf uns warten. Wir gingen rüber. „Hallo ihr zwei. Wie war es?", fragte sie. „Wie immer.", sagte Luis knapp, öffnete die Autotür und stieg ins Auto. Ich blieb vor der Fahrertür stehen. „War gut. Hatte ein Gespräch mit Estella und sie hat mir alles gezeigt.", erzählte ich meiner Mutter. „Das freut mich.", sagte sie und schaute mich dann verwirrt an. „Wieso steigst du nicht ein?". „Ich komme später nach Hause. Fahrt ihr schon mal.", sagte ich und lächelte. „Ist alles gut Elia?", wollte meine Mutter wissen. Ich nickte. „Ja. Ich will das nur alles einmal alleine verarbeiten.", erklärte ich. „Okay. Bis später.", sagte meine Mutter und fuhr los, als ich ein Stück zur Seite ging. Ich schaute dem Auto hinterher und machte mich dann auf den Weg. Nach fast 30 Minuten zu Fuß hatte ich mein Ziel erreicht: Die Formel 1 Strecke in Zandvoort. Ich setzte mich auf eine Bank. Ich schaute mir den Eingang von der Rennstrecke an und entspannte mich. Mein Handy vibrierte also holte ich es aus meiner Tasche. Lief alles gut? schrieb mir mein Vater. Ich schrieb ich ihm zurück, dass alles gut verlief. Was machst du gerade, fragte er. Ich schickte ihm ein Foto. Circuit Zandvoort, schrieb er nur zurück. Ich antwortete ihm nicht. Er wusste genau, dass die Bank hier mein Lieblingsplatz war und immer noch ist. Ich komme oft hier her, wenn ich einfach mal einen klaren Kopf haben will. Hier bin ich einfach für mich. Die Sonne ging langsam Unter und der Himmel färbte sich langsam orange. Ich schloss für ein paar Minuten die Augen, eher ich mich dazu entschied wieder nach Hause zu laufen. Der erste Tag war also geschafft.

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