Der vertraute Ton, der aus seinen Boxen drang, jagte ihn aus der Küche, wo er eine Tiefkühlpizza verspeißt hatte. Er schlitterte auf Socken in das Zimmer in dem sein Computer stand und starrte auf den hellen Bildschirm. Sven hatte geschrieben. Unwillkürlich schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen, als er die kurze Nachricht las. Hey Fabi, sorry dass ich mich gestern nicht gemeldet habe, mir ist etwas dazwischen gekommen. Hast du Bock, bei mir vorbei zu kommen? Wir können Mario Kart zocken und ich hab auch was zu essen da. Während er sich auf den Stuhl setzte, der leise quietscht, legten sich seine Finger bereits auf die Tastatur. Komm du lieber zu mir. Wo ich wohne weißt du ja.
Das Klingeln der Wohnungstür ließ Fabian vor Schreck zusammezucken. So schnell er konnte, huschte er zur Tür und sah durch den Spion. Draußen stand Sven, die Sporttasche mal wieder über die Schulter gehangen. Sein Gesicht sah immer noch ziemlich zerbeult aus. Fabian schüttelte den Kopf und griff die Maske von dem Haken neben der Tür und setzte sie sich auf, bevor er die Tür öffnete. Sven strahlte ihn an. "Hallo Fabi." Noch bevor Fabian reagieren konnte, war der Größere in die unaufgeräumte Wohnung getreten und hatte ihn umarmt. Fabian schob ihn von sich. Falls Sven gekränkt war, weil Fabian die Umarmung nicht erwidert hatte, ließ er es sich nicht anmerken. "Hast du dir die Haare geschnitten und frisch gefärbt? Sieht gut aus." Fabian nickte ein kleines bisschen verlegen und zog sich die Kapuze wieder auf. Sven schüttelte den Kopf und strich sich durch die dunklen Haare. "Du musst nicht meinetwegen die Kapuze tragen, weißt du? Wenn du dich unwohl in meiner Gegenwart fühlst, dann kann ich daran nicht viel ändern, aber ich kann dir sagen, dass du dich nicht unwohl fühlen musst. Außer dir fällt etwas ein, das ich an meinem Verhalten ändern kann, dann kann ich daran arbeiten." Fabian lächelte, obwohl Sven das nicht sehen konnte und beschloss, dass er dazu nichts sagen wollte. Deswegen drehte sich Richtung Küche, hoffend Sven ablenken zu können. "Möchtest du etwas trinken?"
Er hörte, dass Sven die Tasche abstellte und die Schuhe auszog, bevor er ihm in die Küche folgte. "Nur ein bisschen Wasser, aber das schaff ich schon. Gibst du mir ein Glas?" Als wäre es das selbstverständlichste der Welt, füllte Sven eine der Glasflaschen und packte sie in den Sodastream, um sie zu sprudeln, während Fabian aus einem der Schränke ein Glas holte und es ihm hin stellte. Sven bedankte sich, während er sich etwas einschenkte und sah sich dann in der unordentlichen Küche um. "Schön hast du es hier." Fabian wusste nicht, ob der andere aus Höflichkeit log oder ob er sich hier wirklich wohlfühlte und das Chaos nicht als störend empfand, deswegen nickte er nur ein wenig unschlüssig und setzte sich seinem Besucher gegenüber. Sven war der erste Fremde, der seit vier Jahren diese Wohnung betreten hatte.
"Was ist der Plan?" Fabian hatte grade begonnen, mit den Fingern auf der Tischplatte herum zu trommeln, als Sven ihn aus seinen Gedanken riss. "Hm?" Sven lachte auf Fabians Irritation hin freundlich und strich sich schon wieder durch die Haare. "Was du mit mir vor hast." Fabians braune Augen weiteten sich, doch noch bevor er etwas sagen konnte, klärte Sven den Irrtum auf. "Ich wollte wissen, was du vor hast, weil wir uns hier treffen sollten." Fabian biss sich hinter der Maske auf der Unterlippe herum und überlegte, was er sagen sollte. Er hatte nur keine Lust gehabt, die Wohnung zu verlassen und in ein fremdes Zuhause zu gehen, deswegen hatte er Sven eingeladen. "Wir könnten einen Film gucken." schlug er vor und folgte Svens Blick zu dem Buch, das immer noch ungelesen auf der Theke lag. "Und? Wie weit bist du? Hast du Sal schon kennengelernt?" Weil Fabian nicht zugeben wollte, dass er es nicht gelesen hatte, nickte er. "Ja, er ist grad aufgetaucht." Sven lächelte. "Gefällt es dir?" Fabian nickte erneut und sah auf die Tischplatte. Sie war schon ewig nicht mehr geputzt worden. "Welchen Film wollen wir denn gucken?" Auf die Frage seines Besuchers hin zuckte er mit den Schultern. "Was guckst Du gerne?"
Fabian saß ziemlich angespannt in seinem Stuhl, jetzt gerade konnte er sich kaum entspannen und erst recht nicht in den Stuhl lehnen. Neben ihm saß Sven, auf einem Küchenstuhl, und sah ebenfalls auf den Bildschirm, auf dem irgendetwas lief, was sie auf YouTube gefunden hatten. Fabian hatte den Film nicht verstanden und er fand ihn auch nicht spannend. Was auch immer es war wirkte billig produziert, doch Sven schien recht interessiert. Das konnte aber auch an den eingeölten Frauen liegen, die leichtbekleidet um ein Feuer tanzten. Er seufzte leise und vermisste es, etwas zu knabbern. "Hey." Sven berührte ihn leicht an der Schulter und wartete, bis Fabian zu ihm sah. "Wir können auch gerne etwas von Gronkh gucken. Der Film ist Grütze und ich glaube, dass du dich nicht wohl fühlst." Fabian biss sich kurz auf der Unterlippe herum, dann sagte er doch, was ihm auf der Zunge brannte. "Wir können auch vorspulen, vielleicht tanzen sie nochmal." Sven lachte und schüttelte den Kopf. "Wenn du das willst, gerne. Du hättest mir aber auch sagen können, dass du mich eingeladen hast, damit wir zusammen wichsen können, dann hätten wir uns über eine halbe Stunde schlecht gespielte Actionszenen sparen können." Fabian wusste nicht, ob Sven das ernst meinte oder nicht, aber er traute sich auch nicht nachzufragen. Er wusste auch nicht, was er davon halten sollte. Sven musste seine Ungläubigkeit mitbekommen haben, zumindest lachte er und stieß ihm gegen die Schulter. "Das war ein Witz, Fabi. Mach dir keinen Kopf." Anstatt zu antworten klickte Fabian den Film weg und überlegte kurz, ob er einen Inkognito Tab öffnen sollte, aber er rief stattdessen das erste Gronkh Video auf seiner Startseite auf.
"Ich muss jetzt wirklich los." Sven schulterte seine Tasche und legte eine Hand auf die Klinke. "Das Training ruft." Fabian folgte ihm einen Schritt und vergrub die Hände in der Bauchtasche seines Hoodies. "In dem Zustand willst du wieder zum Training? Du siehst furchtbar aus." Sven lachte. "Ich habe mich eigentlich immer als sehr attraktiv empfunden, aber ich behauptet jetzt einfach mal, dass du das natürlich nur auf mein Auge bezogen gesagt hast." Fabian schüttelte daraufhin nur belustigt den Kopf. "Du weißt, wie das gemeint war." Der Größere nickte sanft und öffnete die Tür. "Ich hab bald einen Wettkampf und will noch ein bisschen trainieren. Aber wenn du dir Sorgen um mich machst, dann begleite mich doch einfach." Kurz war Fabian sprachlos, dann nickte er und zog sich die Schuhe an. "Los geht's." Sven lachte und trat aus der Wohnung. "Ich dachte eigentlich zu dem Wettkampf, aber ich nehm dich auch mit zum Training. Kommst du?"
In der Halle war es kühl und zugig, es waren alle Fenster offen. Fabian war das ziemlich egal, in seinem Hoodie konnte er sich bis zum oberen Ende der Maske vergraben, deswegen fror er nicht. Sehr zu seinem Erstaunen schenkte ihm niemand so richtig Beachtung, die Männer und Frauen waren offensichtlich mit einander oder sich selbst beschäftigt und so ließ er den Blick durch die Halle zu Sven wandern, der gerade aus den Umkleiden wieder kam. Offensichtlich waren Kickboxer immun gegen Kälte, Sven trug eine kurze Hose und ein lockeres Shirt, einige andere waren sogar Oberkörperfrei.
"Hey." Sven stellte seine Tasche neben Fabian auf die Bank und holte seine Trinkflasche und eine Brotdose heraus. "Wenn du Hunger oder Durst hast, dann kannst du dich bedienen. In den Umkleiden ist bis mindestens neun niemand, da kannst du in Ruhe hin." Fabian nickte dankbar. "Ansonsten habe ich auch ein Buch dabei, wenn dir langweilig wird kannst du ruhig etwas lesen oder gehen. Du musst nicht hier bleiben, wenn es dir nicht gefällt." Fabian lächelte hinter seiner Maske und legte eine Hand auf Svens muskulösen Unterarm. Das Gewebe unter seinen Fingern war ungleichmäßig und unbehaart. "Ich bin hier, damit ich mir keine Sorgen um dich mache und nicht damit du dich um mich sorgst." Seine Worte entlockten Sven ein breites Lächeln, der Kickboxer beugte sich erneut zu ihm runter. "Ich möchte nur, dass du dich in meiner Gegenwart wohl fühlst, Fabi."
"Sven? Willst du weiter Süßholz raspeln oder bist du auch zum trainieren hier?" ein großer Blonder, der Fabian vage bekannt vorkam, gesellte sich zu ihnen. "Ich bin Fabian." stellte Fabian sich vor, bevor Sven das für ihn übernehmen konnte. "Ich weiß." Antwortete der Blonde. "Wir kennen uns. Wie sieht es aus, Sven? Tratschen oder Boxen?" Sven lachte und ließ von Fabian ab. "Pass auf, dass ich dich nicht gleich boxe." Die beiden entfernten sich gemütlich schlendernd von der Bank und gesellten sich zu einer kleinen Gruppe, die offensichtlich eben erst angekommen war.
"Soll ich dich noch nach Hause bringen?" Fabian lachte und ging durch die Tür, die Sven ihm aufgehalten hatte. "Um mich zu beschützen? Wenn ich dich daran erinnern darf, dann bist du der, der zusammengeschlagen wurde und nicht ich." Sven stieg in das Gelächter ein und strich sich die vom Schweiß nassen Haare aus dem Gesicht. "Nein, ich wollte eigentlich mitkommen, um noch ein bisschen mit dir zu reden." Fabian drehte sich der Magen um, doch er überspielte es tapfer, indem er nickte. Er hasste es, Gespräche zu führen, die so begannen. "Großartig." Der Größere hakte sich bei ihm unter und zog ihn mit sich. "Worüber möchtest Du denn reden?" Fabian sah es nicht ein, das unvermeidliche heraus zu zögern. Er wollte sofort wissen, was los war. "Ich wollte wissen, warum du nicht nachgefragt hast. Wegen meinem Arm... Und dem Rest." Für einige Momente wirkte es, als wäre der sonst so selbstsichere Sven verunsichert. Fabian zuckte mit den Schultern. "Hättest du denn gewollt, dass ich nachfrage?" Da die Berührung Sven zuvor auch nicht gestört hatte, legte er die Hand wieder auf seinen Unterarm und strich vorsichtig über die Narben. "Ich bin es gewohnt, Fabi. Es verwundert mich, dass du nicht gefragt hast, deswegen spreche ich dich darauf an." Fabian folgte den Narben mit den Fingerspitzen zu Svens Oberarm, dann zu seiner Schulter. "Wie weit geht das noch?" Es schien Sven nicht zu stören, dass Fabian ihn so antatschte. "Über die gesamte Seite bis zur Hüfte und den Rippen auf der anderen Seite." mit der freien Hand zeichnete er Linien auf seinem Shirt, um die Worte zu verdeutlichen. "Ich kam als Teenager auf die ziemlich blöde Idee, die Packung von der Tiefkühlpizza auf den Herd zu legen, damit ich nachgucken kann, wie lange sie in den Ofen muss. Long Story short, wenn man nicht den Backofen sondern die Kochplatten anschaltet, dann brennt das ziemlich gut und ein trockenes Küchentuch ist zum Löschen nicht geeignet." Obwohl Sven das ziemlich locker und selbstironisch sagte, war Fabian nicht nach Lachen zumute. "Ich komme recht gut damit klar. Es tut ja nicht weh und zum Glück betrifft es nicht das Gesicht." Fabian blieb das Herz stehen. Hatte Sven ihm das alles erzählt weil er erwartete, dass Fabian jetzt seine Maske auszog und preisgab, was er seit vier Jahren dahinter versteckte? Doch von Sven kam nichts in der Art. Stattdessen legte er einfach nur seinen Arm um Fabians Schultern und drückte ihn sanft an seine Seite. Fabian lächelte und schloss für einige Momente entspannt die Augen.
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U.G.L.Y. ~ Wintersaft
Fanfiction"I'm so ugly, that's okay, 'cause so are you" (Kurt Cobain, Nirvana.) Die Tags beinhalten Spoiler