U.G.L.Y. ~ Wintersaft

Kapitel 8

Er stand vor seiner Wohnungstür und starrte auf das Holz. Die Farbe war ein wenig ungleichmäßig und an der ein oder anderen Stelle auch schon zerkratzt oder sogar abgeblättert. Sie musste dringend mal wieder gestrichen werden, aber er hatte weder Farbe noch Pinsel noch das nötige Wissen dafür und deswegen machte er es nie. Mit einem leisen Seufzen griff er die Maske, die wie immer an dem Haken neben der Tür hing und setzte sich auf. Der untere Rand verklappte sich, deswegen fuhr er mit dem Finger unter den dünnen Stoff und richtete ihn, bevor er dann seinen Schlüssel und das Handy nahm, um beides in der Bauchtasche seines Hoodies zu verstauen. Mit den Fingern strich er sich durch die Haare und richtete sie ohne Spiegel ein wenig, nur um dann doch die Kapuze aufzusetzen.

Obwohl es draußen hell war, ging im Flur das Licht an, kaum dass er die Wohnung verlassen hatte. Im hellen sah er auf dem Treppenabsatz eine Pfütze schillern, über die er einen großen Schritt direkt auf die erste Stufe machte. Mit einer Hand am Geländer tastete er sich nach unten, bis er schlussendlich das große Mehrfamilienhaus verlassen konnte und auf der Straße stand. Es war zum Glück nicht so kalt draußen und es regnete auch nicht, doch obwohl sogar die Sonne schien, setzte er die Kapuze nicht ab, während er sich wieder auf den Weg zu der Buchhandlung machte, in der Sven arbeitete. Er wollte gerne mit ihm reden und obwohl es ihm sicher über Discord oder gar eine Nachricht besser gelungen wäre, fühlte es sich nach einem Gespräch an, dass man unter vier oder vielleicht auch drei Augen führen musste.

Ein klein wenig hasste er sich dafür, dass er vor dem kleinen Laden stehen blieb und sein Spiegelbild betrachtete. Natürlich wusste er, dass sein Aussehen Sven wohl nicht wirklich interessierte oder zumindest nicht störte. Zumindest der Teil, den der andere kannte. Mit einem Seufzen zog er die Maske wieder richtig und die Kapuze etwas tiefer in die Stirn, dann wendete er den Blick ab.

Die Glocke über der Tür klingelte leise, als er dann endlich eintrat und zielstrebig auf die Kasse zu ging. Der Mann dahinter war nicht Sven. "Hallo. Wie kann ich ihnen helfen?" Zumindest lächelte der Typ freundlich, aber das war vermutlich sein Job. "Ich bin Fabian." sagte Fabian und strich sich in einer beiläufigen Bewegung die Kapuze ein bisschen zurück, um die grünen Haare zu zeigen. "Hallo Fabian, ich bin Johann. Wie kann ich ihnen helfen?" Offensichtlich war Sven nicht damit hausieren gegangen, dass er ihn attraktiv fand. Zumindest schien Johann ihn nicht zu erkennen. "Ist Sven nicht da?" Johann zog die feinen Augenbrauen hoch. "Sven? Achso, Sven. Nein, ist er nicht. Zumindest habe ich ihn heute noch nicht gesehen. Ich glaube, gestern und vorgestern war er auch nicht da. Kann ich sonst noch was tun?" Fabian seufzte leise und zog die Kapuze wieder richtig hin. "Ne...wobei, doch. Ich suche ein Buch. Ich weiß nicht mehr, wie es heißt, aber Sven hat es mir empfohlen." Jetzt kam Johann hinter dem Tresen hervor. "Da helfe ich ihnen gerne. Wissen Sie, worum es geht? Oder zumindest wie es aussieht?" Fabian folgte ihm zu dem Bücherregal, zu dem Sven ihn geführt hatte.

"Ich weiß nicht, wie es aussieht, aber es geht um LGBTQ und Drag Queens." Johann lachte. "Das ist ziemlich eindeutig. Bitteschön." Kurz darauf hielt Fabian ein schlichtes weißes Buch in der Hand, und er hielt es, als wäre es ein Schatz. "Wollen sie noch etwas anderes?" Fabian biss sich auf die Unterlippe und zupfte sich an der Maske herum. "Wenn sie Sven sehen, sagen sie ihm bitte, dass ich nach ihm gefragt habe, ja? Und sagen sie ihm, dass er bei mir vorbei kommen soll." Johann schüttelte zwar den Kopf, nickte dann aber. "Ich sage es ihm. Aber das hat nichts hier zu suchen. Wenn sie wieder Probleme miteinander haben, dann klären sie das untereinander und nicht hier." Fabian starrte ihn irritiert an, bevor er nickte. "In Ordnung. Wie viel muss ich bezahlen?"

Mit einem erleichterten Seufzen setzte er die Maske ab, nachdem die Wohnungstür hinter ihm ins Schloss gefallen war. Es tat gut, die Luft wieder direkt in seine Lunge atmen zu können. Mit einem leichten Lächeln sah er auf das Buch und streichelte andächtig das Cover. In den letzten Tagen war ihm aufgefallen, dass er Sven kaum kannte, zumindest kam ihm das so vor. Jetzt war Sven nicht da, deswegen konnte er ihn nicht kennen lernen und mit seinen Freunden war er nicht bekannt, deswegen konnte er die nicht löchern. Er nahm, was er kriegen konnte und so hatte er Lost Boy gelesen und wollte sich jetzt auch an 'In all seinen Farben' machen. Es ließ ihn sich Sven näher fühlen und er glaubte, ihn so ein bisschen besser kennen zu lernen.

Ihm fiel erst ein, dass er Svens Nummer hatte, als er zufällig sein Telefonbuch auf dem Handy antippte. Mit feuchten Fingern tippte er den Kontakt an und er wusste, dass er sich jetzt angreifbar machte, doch er tippte den kleinen, grünen Hörer an. Sven ging nicht dran. Auch nicht, als Fabian es ein paar Minuten später noch einmal probierte. Beim zweiten Mal hatte er auch den Mut, die Mailbox Ansage anzuhören.

"Hi." Svens vertrauter Stimme folgte das typische Lachen. "Das hier ist die Mailbox von Sven. Also von mir. Aber wenn du mich anrufst, dann weißt du das mit Sicherheit. Auf jeden Fall bin ich jetzt gerade offensichtlich nicht erreichbar, aber das hast du auch schon gemerkt." Svens aufgenommene Stimme lachte erneut. "Ähm, ja. Ich mache gerade einen Herr der Ringe Marathon, ne zu erst guck ich natürlich den Hobbit und dann gucke ich Harry Potter, obwohl die Filme scheiße sind. Vermutlich lese ich die Bücher eben, aber dann kann ich auch gleich den Herr der Ringe lesen... Jesus, was mache ich hier überhaupt? Da will man was lustiges draufsprechen und dann so etwas. Naja, ist jetzt halt so. Hinterlass einfach ne Nachricht auf dem Band, also nach dem Piepton und dann melde ich mich vielleicht irgendwann zurück. Piep."

Erst nachdem Sven Gepiept hatte, folgte der Piepton. Fabian musste unwillkürlich lächeln. "Hey Sven. Viel Spaß bei deinem Marathon oder was auch immer du gerade machst. Ich bins, Fabi. Ich wollte dir nur sagen, dass ich 'In all seinen Farben' gekauft und gelesen habe und dass es mir gefallen hat. Auf jeden Fall, was ich eigentlich sagen wollte... Ich vermisse dich ein bisschen. Naja, ich würde gerne mal wieder was zocken, wenn du auch Bock hast, oder was anderes machen. Wir können nochmal nen Film gucken oder so. Wenn du das hier hörst, dann meld dich mal. Oder komm einfach vorbei, ich bin fast immer da. Ich.. Ähm. Naja. Irgendwie habe ich dir noch sehr viel zu sagen, aber wenn ich ehrlich sein soll, dann weiß ich nicht wo ich anfangen soll oder wie ich das sagen soll. Auf jeden Fall... Melde dich bitte, ja? Tschüss."