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Endlich konnte ich mich etwas vom Schlafmangel erholen. Seit meinem letzten Traum ist sind schon ein paar Wochen vergangen. So eine lange Pause ist bis jetzt noch nie vorgekommen, was ich äusserst seltsam finde. Scheisse, wie gestört muss man eigentlich sein? Anstatt mich darüber zu freuen, zerbreche ich mir den Kopf und hinterfrage, wieso das so ist. Irgendwie muss ich mich an diesen eigenartigen Kerl gewöhnt haben, anders kann ich mir das nicht erklären. Zum Glück haben Jess und ich dieselbe Schicht, sie wird mir, nicht wissend, dabei helfen mich abzulenken, denn heute denke ich besonders viel darüber nach.

Wir arbeiten in einem kleinen Burger-Restaurant, benannt nach seinem Besitzer Andy. Er und seine Frau haben vor gut 30 Jahren Eröffnung gefeiert und arbeiten weiterhin jeden Tag hier. Im Gegensatz zu ihnen ist dies nicht mein Traumjob, aber nach dem Tod meiner Eltern musste ich mich irgendwie über Wasser halten. Mit dem wenigen Geld, das ich von ihren Lebensversicherungen erhalten habe, konnte ich wenigstens meine Studiengebühren decken. Meiner Leidenschaft entsprechend, habe ich Kunst studiert, ich wollte aber nie eine berühmte Malerin werden, stattdessen wollte ich mir eine Galerie kaufen, neue Talente entdecken und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Werke zu präsentieren. Irgendwie bin ich hier hängen geblieben, ob aus Bequemlichkeit oder Angst weiss ich noch nicht, aber wenigstens sind Andy und Catherine nett. Hier arbeiten so gut wie nur Studenten, ich denke das hat damit zu tun, dass ihnen das Glück verwehrt wurde Eltern zu werden.

Während ich meine Zeit fürs Studium genutzt habe, hat sich Jess direkt ins Berufsleben gestürzt und lebt lieber ihr Leben, wie sie so schön sagt. Manchmal beneide ich sie, um ihre Art alles auf die lockere Schulter zu nehmen und nicht über alles nachzudenken. Was sie in diesem Moment für richtig empfindet oder wenn sie auf etwas Lust hat, tut sie es einfach. Ihr würden die Träume bestimmt nicht zu schaffen machen, Jess würde sie vermutlich sogar geniessen. Seit sie mit Mike zusammen ist, hat sie sich zwar ziemlich beruhigt. Er scheint ihr wirklich gut zu tun. Hoffentlich hält das auch an, bis jetzt hatte sie nie wirklich Glück mit Männern, ich auch nicht, aber sie schafft es immer sich Schlägertypen oder sonst irgendwelche Arschlöcher auszusuchen. Bei mir war es eher so, dass sie mir zu langweilig waren oder die Flucht ergriffen. Meistens bin ich ziemlich stur, lasse mir nicht gerne was sagen, bin zu eigensinnig und teste auch gerne mal meine Grenzen aus. Viele Männer können damit nicht umgehen, wenn eine Frau zu selbstbewusst ist. Naja, meiner muss wohl erst noch gebacken werden.

„Liora, hörst du mir zu?"

Komplett in Gedanken versunken, habe ich nicht mitgekriegt, worüber sie gesprochen hat. Kurz verziehe ich mein Gesicht und sehe sie entschuldigend an. Ihr ist das natürlich nicht entgangen, weshalb sie die Arme vor der Brust verschränkt hat, und tut bewusst übertrieben beleidigt.

„Sorry Jess! Was hast du gesagt?"

„Ich habe dich gefragt, als was du dich morgen verkleiden willst."

„Kann ich nicht einfach als Liora gehen?"

Dieses Wochenende ist Halloween, sie liebt diese Welt voller Magie, Hexen und Tränken, die dich in einen Frosch verwandeln können. Theatralisch wie sie nun mal ist, macht sie einen Schritt zurück und legt sich die Hand aufs Herz, als ob ich sie dort mit einem Pfeil getroffen hätte.

„Das meinst du nicht ernst!? Wie wäre es als sexy Hexe oder als süsses Kätzchen? Oh nein, warte! Ich gehe sowieso als Rotkäppchen, du könntest doch der grosse böse Wolf sein. Ein heisser Wolf natürlich."

Scheisse, zum Glück habe ich gerade nichts getrunken oder gegessen, ich hätte mich zu 100% daran verschluckt oder es ausgespuckt. Das kann doch nur ein schlechter Scherz sein! Ausgerechnet als Wolf?

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Wie nicht anders erwartet stehe ich nun in dem Kostüm, das Jess für mich ausgesucht hat, vor meinem Spiegel. Es ist ein schwarzes, kurzes und sehr enges Kleid aus Kunstleder, mit langen Ärmeln und oben so knapp geschnitten...bei einer falschen Bewegung, wäre der Nippel Gate von Janet Jackson nichts dagegen. Zu meinem Outfit gehören ein paar Overknees aus Kunstfell, Handschuhe mit Krallen, am Kleid steckt hinten noch ein Schwanz, ein Haarreif mit Ohren und oh nicht zu vergessen, die falschen Fangzähne zum dran kleben und die gelben Kontaktlinsen, zu guter Letzt, noch ein wenig passende Schminke. Im Wohnzimmer wartet Jess auf mich und welch Überraschung, sie trägt nicht wirklich viel mehr als ich. Um das weisse, luftige und sehr kurze Kleid trägt sie eine blaue Schürze, natürlich den roten Kapuzen-Umhang, ein paar weisse Wollsocken, die übers Knie reichen, schwarze Pumps und einen geflochtenen Korb.

„Süsse, du siehst einfach zum Fressen aus."

Begeistert von ihrem Wortspiel, grinst sie mich blöd an und zwinkert mir zu. Darüber kann ich nun wirklich nicht lachen. Wäre meine Situation eine andere, wer weiss, vielleicht hätte ich dann auch dieses Outfit ein wenig genossen und wäre auf ihren Witz eingegangen.

„Also, wenn Mike dich so sieht, schleift er dich an den Haaren nachhause."

„Eben, WENN er mich sieht. Da werden so viele Menschen sein, weisst du wie klein die Wahrscheinlichkeit ist ihn zu treffen? Abgesehen davon ist er mit seinen Jungs unterwegs, glaubst du die wollen ihn zu seiner Freundin lassen?"

Freudig klatscht sie in ihre Hände und richtet ein letztes Mal ihr Kleid und Stümpfe.

,,Genug geplaudert, wir sollten besser gehen."

Zwischen Schatten und Licht - VollmondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt