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Vorsichtig fahre ich mit meinen Fingern über die Wunden, zumindest was noch von ihnen übrig ist und betrachte sie im Spiegel. Der Arzt meinte, sie wären aussergewöhnlich schnell und gut verheilt. Mein Körper hätte die Fäden sogar teilweise nach oben transportiert, als ob er sie selbst entfernen wollte, was auch immer das heissen soll. Leider konnte ich den Besuch bei Onkel Doktor nicht umgehen, ich hasse Krankenhäuser und alles was mit ihnen zu tun hat, besonders seitdem tot meiner Eltern. Dad hat nämlich noch gelebt als sie ihn eingeliefert hatten, doch sie konnten ihn nicht retten, also was soll ich da überhaupt. Zur Polizei musste ich ebenfalls nochmal, das Krankenhaus hatte sie benachrichtigt, als sie bemerkt haben, dass meine Verletzungen nicht durch einen Unfall entstanden sind. Als erstes haben sie Mike befragt, der hätte uns aber per Zufall gefunden und nur gesehen, wie die Angreifer weggerannt sind. Ein bisschen merkwürdig fand ich das schon, aber dann ist mir wieder in den Sinn gekommen, wie Batman gesagt hat, sie würde sich um sie kümmern und habe schliesslich auch zugesehen, was er damit gemeint hat. Wahrscheinlich hätte ich ihnen ziemliche Probleme bereitet, wäre ich mit der Wahrheit rausgerückt und das war so ziemlich das Letzte was ich wollte. Meine Aussage beschränkte sich auf vier Männer die uns bedrängt und schliesslich mit dem Messer verletz hätten und auf die Frage ob ich sie wiedererkennen würde, habe ich bloss nein gesagt. Der Beamte meinte dann, auf Grund der wenigen Hinweise würden die Täter wahrscheinlich davonkommen, was ihm ziemlich leidtat, ich wusste es natürlich besser.
Die erste Woche über ging es Jess wirklich schlecht, sie hatte Alpträume und gab sich die Schuld, an dem was passiert ist. Erst nachdem ich ihr etwa eine Million Mal versichert habe, dass es mir gut gehen würde und es nicht die ihre gewesen wäre, hat sie angefangen sich zu beruhigen und die Geschichte zu verarbeiten. Wenigstens musste ich Jess bezüglich meines Zustandes nicht anlügen, es geht mir wirklich gut. Äusserlich habe ich zwar Wunden davongetragen, aber seelisch ist da nichts oder zumindest nichts mehr. Oft frage ich mich, ob ich nicht in einer dunklen Ecke kauern und ein Trauma haben müsste, doch für mich ist es bloss eine schlechte Erinnerung mehr nicht. Ob ich vielleicht genau deswegen einen Therapeuten brauche?
Dafür haben sich meine Träume seit dem Vorfall zurückgemeldet. Die Handlung ist immer noch gleiche, aber das Ende hat sich ein wenig verändert. Statt sich direkt in einen Wolf zu verwandeln, reicht er mir die Hand, damit ich mich aufrichte und zu ihm geselle. Erst jetzt verwandelt er sich und wir blicken in dieselbe Richtung, ich streichle sein schwarzes, weiches Fell, während er seinen Kopf an meine Taille schmiegt. Mir ist nie aufgefallen, wie gross er ist, seine Schultern reichen locker bis zu meiner Hüfte. Mein Unterbewusstsein rät mir, ihm zu vertrauen und seltsamerweise fühle ich auch keinen Fluchtinstinkt aufkommen, aber da ist noch mehr, als ob ich seine Hilfe brauchen würde. Verfluchte Scheisse, Liora! Ich brauche keine Hilfe und wenn dann nicht von einem Wolf! Wenn ich mir schon welche suchen sollte, dann könnte ich mal damit anfangen, mich Jess gegenüber zu öffnen und mit ihr über dieses Thema zu sprechen, Das wäre eine Hilfe und die Gelegenheit dazu hätte ich auch gleich. Sobald ich mich fertig gemacht habe, treffe ich mich nämlich mit ihr und bis dahin kann ich mir überlegen was ich machen soll.
Das Matcha ist wie immer bis auf den letzten Tisch besetzt, zum Glück hat Jess eine Reservierung gemacht, ohne hätten wir keine Chance. Ein junger Mann führt uns, zu unserem Tisch und überreicht auch gleich die Speisekarte. Die brauchen wir eigentlich gar nicht, wir bestellen immer das gleiche und dazu zwei Martinis. Es ist schön meine alte Jess wiederzuhaben, sie strahlt, wie eh und je und das habe ich bestimmt Mike zu verdanken. Ihre langen, blonden Haare fallen ihr über die Schultern, dazu trägt sie dezentes Make-up, eine weisse Bluse und schlichte Jeans. Endlich ist der Schlabber-Look und die Augenringe Geschichte. Wir reden über ihre anstehende Reise nach Mexico, die in drei Wochen losgeht, aber sie scheint sich nicht darüber zu freuen.
„Du siehst nicht gerade wie jemand aus, der bald faul am Strand rumliegt und Cocktails schlürft. Was ist los?"
Ein tiefer Seufzer kommt aus ihrem Mund und sie legt sich die Hände aufs Gesicht. Langsam greife ich nach ihrer Hand, verrenke meinen Kopf und suche ihren Blick.
„Mike will mich nach Mexico seinen Eltern vorstellen."
„Und das macht dir Angst?"
„Wir sind erst drei Monate zusammen und ich weiss nicht ob ich so weit bin."
Erneut stösst sie einen lauten Seufzer aus, sie sieht mich mit ihren klaren, blauen Augen an und ich erkenne eine leichte Traurigkeit in ihnen. Sanft nehme ich auch ihre andere Hand, streichle mit den Daumen über die Haut und lächle ihr beruhigend zu.
„Ach Jess. Ich weiss, deine Männergeschichten waren nicht gerade die besten, aber du selbst hast doch gesagt, Mike wäre gut zu dir und trägt dich wie auf Händen. Wenn du dir nicht sicher bezüglich deiner Gefühle für ihn bist, kann ich deine Sorge verstehen, ansonsten nicht."
„Das ist es nicht, ich...ich glaube ich liebe ihn."
„Na also! Du kannst nicht darauf warten, dass dir jemand sagt was du tun sollst, manchmal muss man es einfach Riskieren und wenn es nach hinten losgeht, dann scheiss drauf, du hast es immerhin versucht."
Endlich hellt sich ihr Gesicht auf und erkenne auf ihm nun auch die Freude über ihre Reise. Es gibt keinen Menschen auf dieser Welt, der es mehr verdient hätte, glücklich zu sein als sie. Mike ist wirklich ein toller Kerl, er hat sich in dieser Zeit wirklich rührend um sie gekümmert. Vielleicht sollte ich mal damit beginnen, auf meine eigenen Ratschläge zu hören und es riskieren ihr von meinem Chaos im Kopf zu erzählen. Die Kellnerin unterbricht meine Gedankengänge und serviert uns das Essen. Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen.
„Sag mal Süsse, was macht dein Liebesleben so?"
Ein Thema, das ich wirklich gerne vermeide, denn wenn ich ihr keine Antwort liefere, die sie zufrieden stellt, versucht sie sich gleich als Amor. Es ist ja nicht so, dass ich keine Beziehung will, irgendwann hoffe auch ich Mr. Right zu finden, zu heiraten und ganz viele Kinder zu kriegen, aber naja, erzwingen kann man nichts. Manchmal erwisch ich mich dabei, ein wenig eifersüchtig auf die beiden zu sein, jemanden zu haben, der mich auch so ansehen würde, wie er sie. Bis jetzt hat das nur ein Mann getan, der aus meinen Träumen.
„Ich kann gerne Mike nach der Identität von Batman fragen."
„Wage es ja nicht!"
„Oh, gibt es denn da jemanden?"
„Nein, ich verbringe meine Nächte allein."
Wenn sie nur wüsste. Physisch mag ich zwar allein in meinem Bett sein, doch meine Träume sind alles andere als einsam und langweilig. Wieso kann ich im realen Leben nicht so einen Mann kennenlernen, er ist nicht nur äusserst attraktiv, sein Blick hat auch etwas Fesselndes und der Sex ist leidenschaftlich, wild. Kein Wunder bin ich jedes Mal so erregt, wenn ich aufwache.
„Weisst du was? Lass uns morgen ausgehen. Es gibt da diesen neuen Club, in den Sozialen Medien wird bereits ein Riesen Hype um ihn gemacht. Ganz zufällig ist Mike mit dem Besitzer befreundet."
Ihre Begeisterung ist anstecken und ich willige ein. Ist schon etwas her, seit wir die Clubs unsicher gemacht haben, wird mir bestimmt guttun. Den Gerüchten zu folge, ist es gar nicht so einfach rein gelassen zu werden, die wählen ihre Gäste nach bestimmten Kriterien aus. Plötzlich kann ich es kaum erwarten, mir selbst ein Bild von dem Club zu machen, also erhebe ich mein Glas und will mit Jess anstossen.
„Na dann, aufs Midnight!"
„Ja! Und wer weiss, vielleicht finden wir ja jemanden, der dir dabei hilft die Spinnweben von da unten wegzuwischen."
Um ihre Worte zu unterstreichen, vollführt ihr Zeigefinger kleine Kreise in Richtung dieser besagten Stelle. Mir gerümpfter Nase strecke ich ihr die Zunge aus und beginnen beide aus vollem Herzen zu lachen.
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Zwischen Schatten und Licht - Vollmond
Paranormal(...)Seit diesen verzweifelten und dunklen Tagen ist nichts mehr, wie es einmal war. Engel existieren nicht mehr. Sie und so viele andere starben, um das mächtigste Böse, welches man zu jener Zeit kannte, zu vernichten. Jetzt, im 21. Jahrhundert, ba...