Tiefpunkt

17 2 0
                                    

Die eisige Einöde war gnadenlos. Zu den Wegesrändern türmten sich Schneewehen auf, eingerahmt von den unerbittlichen Schatten der Berge. Das dämmerige Tageslicht drängte durch die Wolken und tauchte die Welt um die Flüchtigen herum in kaltes graues Licht. Zwölf von den Sechzehn Überlebenden, die die Festung Verlassen hatten, waren noch übrig, der Rest ist bereits vor Erschöpfung zusammengebrochen oder erfroren. Schweren Herzens wurden die Opfer der Kälte zurückgelassen, bedeuteten sie doch nur zusätzlichen Ballast für die Lebenden. Träge und der Erschöpfung Nahe bahnte sich Torge einen Weg durch den hüfthohen Schnee. Zumindest hatte der Schneefall etwas nachgelassen. Jeder Schritt lies ihn tief einsinken und es verlangte ihm alles an Willenskraft ab, was übrig war, um sich nicht einfach hinzulegen und dem Todesschlaf in der Kälte hinzugeben. Torge fluchte innerlich und versuchte die undefinierbare Wut in ihm zu nutzen, um sich warm zu halten.

„Auf was für eine Scheiße habe ich mich hier eingelassen? Ich hätte alles haben können! Ich hatte einen sicheren Posten in der Feste, sogar der Fettsack hatte gerade begonnen sich mit mir anzufreunden. Und was mache ich? Ich Vollidiot verfalle einer unbekannten Schönheit wie so ein bescheuerter Weiberheld aus einem dieser scheiß Groschenromane, die meine Schwester immer liest. Mein ganzes Leben ist im Arsch. Alles weg, zum Tode verurteilt durch den Orden der Jäger, echt großartig… Kollaboration mit dem Feind, wird es heißen, Hochverrat…“, Torge murmelte vor sich hin und ließ das letzte Wort auf der Zunge zergehen.

Er konnte sich vermutlich nie wieder in seiner Heimat blicken lassen, außer er hatte einen guten Grund für seine Handlungen und konnte diese vor dem königlichen Gericht plausibel und verständlich darlegen. Ich hatte da so ein Bauchgefühlt… würde als Begründung nicht ausreichen. Er hatte Fremdlingen zur Flucht verholfen und dabei Soldaten des Königs getötet. Auf nimmer wiedersehen Vaters Erbe und die Saufgelage mit seinen Freunden in der Heimat. Hach, die Saufgelage…

„Was grinsen sie so?“, fragte Sahid, der langsam und schnaufend neben ihm auftauchte. Er schien von allen Mitgliedern dieser traurigen Gruppe noch der fitteste zu sein, was er vermutlich seinen fremden Wurzeln zu verdanken hatte.

Torge riss die Frage aus seinen Gedanken. Böse blitzte er Sahid an, weil er ihn aus seinen gerade angenehmer werdenden Gedanken getrieben hatte. Der sah aber konzentriert nach vorne, um nicht über einen im Schnee vergrabenen Stein zu stolpern.

„Ich habe nur an wärmere Zeiten gedacht und über diese scheiß Situation geflucht. Ich könnte jetzt einen Schnaps gut vertragen.“, antwortete er niedergeschlagen.

„Schnaps ist Alkohol, richtig?“, fragte Sahid.

Torge blickte ihn unwillkürlich irritiert an. „Sie kennen keinen Schnaps?“ Er konnte seinen Ohren kaum trauen.

„Nein, so wenig wie wir normalerweise Fleisch essen, Extremsituationen wie die letzte einmal ausgenommen, so nehmen wir auch keine Rauschgifte zu uns.“, Sahid zuckte mit den Schultern.

Torge lachte unwillkürlich. Rauschgifte… „Das ist doch kein Rauschgift. Wenn Sie mal einen richtigen Beerenschnaps aus meiner Heimat probieren, werden sie darüber anders denken. Schnaps ist ein weg, um die Last des Alltags etwas leichter erscheinen zu lassen und die Seele zu balsamieren…“, schwärmte er.  

„Aber er vernebelt die Sinne und macht leichtsinnig. Sie verlieren die Kontrolle über ihr tun. Das ist nicht richtig.“, erwiderte Sahid ernst.

„Manchmal ist es das nicht, das stimmt. Aber hin und wieder kann ein Schluck Schnaps einem auch dabei helfen, die Dinge wieder klar zu sehen.“ Bedeutungsschwer zeigte Torge mit zwei Fingern auf seine Augen. „Mein Freund, wenn wir das ganze hier überstanden haben und ich eine Flasche Grünthaler Pfirsichschnaps in die Finger bekomme, dann zeige ich ihnen, was ich meine.“, versprach Torge zwinkernd mit einem Lächeln.

Die Festung der VerlorenenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt