Torge blieb in der Messe sitzen und kaute gedankenverloren auf seinem Fleisch herum. Herr hatte Angst. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er wirklich Angst. Er hatte vor Relias seine Karten auf den Tisch gelegt und der hatte von sich nichts preisgegeben, womit Torge hätte arbeiten können. Nun gab es zwei Möglichkeiten: Entweder das Treffen verlief gut und beide Parteien würden mitziehen, oder aber es würde zu einem furchtbaren Fiasko und er wäre der erste, der zwischen den Fronten aufgerieben würde. Aber die Chance ein Held zu sein, war real. Er könnte zwischen den Jägern und Wandlern vermitteln und womöglich Frieden in einem jahrhundertelangen Konflikt bringen. Die Verlockung von Ruhm und Reichtum war einfach zu groß und verführerisch.
Dennoch nahm Torge sich vor, Isra in dem Gespräch noch ein paar Fragen zu stellen. Sie musste wissen, ob es weitere Wandler in der Festung gab. Wenn es der Wahrheit entsprach, dass Sie und ihre Leute nichts mit dem toten Soldaten zu tun hatten, dann ließe sich das beweisen und vielleicht waren Sie gemeinsam in der Lage aus dieser ungünstigen Situation zu entkommen.
All das würde jedoch nicht funktionieren, wenn Relias ihm einen Strich durch die Rechnung machte. Die Möglichkeit, dass Relias die Zusammenkunft nutzte, um Isra und ihren Gefolgsleuten eine Falle zu stellen, war definitiv vorhanden. Torge brauchte für diesen Fall einen Notausgang. Doch wie sollte er sich absichern? Er konnte nicht genau beurteilen, wie die Soldaten in der Feste darüber dachten und er ging auch nicht davon aus, dass diese versoffenen Penner sich einer solchen Aktion anschließen würden. Es gab nichts Schlimmeres im Norden als der Tatbestand des Hochverrats und auch das schreckte selbst den heruntergekommensten Soldaten ab, auch wenn sich ein höheres Ziel hinter der Meuterei versteckte. Grauwald hatte sich in der Vergangenheit als überaus loyal erwiesen, aber er bezweifelte, dass seine Loyalität zu Torge stärker war als die zur Krone.
Und erst der Oberst, er würde ihn vermutlich fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Wie Torge das verstanden hatte, dienten die beiden bereits viele Jahre gemeinsam in diversen Jagden und Konflikten gemeinsam. Sowas schweißte zusammen.
Nein, falls Relias sich als renitent herausstellte und weiterhin gegen die Wandler vorgehen wolle, waren die einzigen, auf die sich Torge verlassen konnte, mit großer Wahrscheinlichkeit die Wandler selbst, aber gerade das war eine unberechenbare Komponente.
Torge wurde durch ein Hämmern gegen die Tür der Messe aus seinen Gedanken gerissen. „Leutnant, sind sie da?", hörte er Grauwald rufen.
„Was ist?", sagte Torge laut.
Grauwald stieß die Tür auf und schob den Kopf in die Messe.
„Wir brauchen sie. Wir haben hinter den Baracken zwei weitere Leichen gefunden, eine davon ein Wandler."
Torge seuzte, stopfte sich den Rest Fleisch in den Mund und hiefte sich aus dem Stuhl auf die Beine.
Er griff die Platte und stellte sie für Rudger in die Durchreiche.
Grauwald übernahm die Führung. Sie verließen die Messe und marschierten schnurstracks durch den dünnen Schnee auf die Baracken zu, wo sich bereits ein paar weitere Soldaten versammelt hatten.
„Aus dem Weg!", brüllte Torge, als er sich durch die kleine Gruppe schob.
Vor ihm öffnete sich der Blick auf ein kleines Gemetzel. Eine völlig verstümmelte Menschenleiche lag gefroren in dem Schnee und die großzügig verteilten Blutspritzer waren bis unter die Dachrinne geflogen. Daneben lag eine verrenkte weitere Leiche, die die charakteristischen langen Krallen der Wandler aufwies und ein merkwürdig entstelltes Gesicht besaß. Es war nicht vollkommen gewandelt, wie das, was er bei Isra gesehen hatte. Es sah so aus, als ob es mitten in der Transformation gestoppt worden wäre.
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Die Festung der Verlorenen
FantasiEine Festung voller ausgestoßener Soldaten kämpft um das Überleben gegen einen vermeintlich unerbittlichen und übermächtigen Feind. Nur sind die Fronten so klar, wie sie zu sein scheinen oder steckt mehr dahinter? Ein junger Leutnant sieht seine Cha...