Die Gruppe war ohne weitere Ausfälle den Berg hinab geklettert und hatten im Laub der Bäume einige alte, aber essbare Nüsse gefunden. Es war alles andere als appetitlich, aber es sorgte zumindest dafür, dass sich wieder mehr Hoffnung als Verzweiflung einstellte. Auf ihrem Weg hatten einige Männer Wild zwischen den Bäumen entdeckt. Sahid hatte sich wie versprochen auf den Weg gemacht und kam, überraschend schnell, mit einem großen Wildschwein auf den Armen zurück in das provisorische Lager, welches die Überlebenden in seiner Abwesenheit aufgeschlagen hatten. Das Gewicht des Schweines war beeindruckend und wie Sahid es trug, hätte man meinen können, es würde nichts wiegen. Nachdem sie ein Feuer gemacht hatten, ging Torge mit einem Stück filetiertem Fleisch zu Sahid, der sich abseits des Lagers auf einem Baumstamm der Meditation hingegeben hatte.
Torge stellte sich neben ihn und fasste mit seiner freien rechten Hand vorsichtig auf seine Schulter. Sahid schreckte nicht auf. Er öffnete die Augen und drehte den Kopf zu ihm. Seine Augäpfel waren leicht blutunterlaufen und er hatte einen etwas irren Blick. Torge ließ ihn los und hielt ihm das Fleisch hin.
"Ich glaube, das wird dir guttun. Aber du siehst nicht gut aus.", beschrieb Torge seinen Eindruck. Inzwischen hatten die beiden beschlossen, die förmliche Anrede dazulassen, wo sie hingehörte: auf den Berg, in den Schnee, vor allem nach Sahids komödiantischer Einlage, schien die höfliche Anrede unangebracht..
Sahid nickte dankbar. "Ja, ich weiß. Es geht mir nicht gut. Das Fleisch wird leider auch nur wenig Linderung bieten." Er nahm das Stück und biss ab. Er stöhnte leicht auf und kaute genüsslich auf dem Bissen herum. "Ich korrigiere mich, es bietet Linderung."
Torge setzte sich neben ihm auf den Baumstamm. "Verlierst du die Kontrolle, muss ich mir Sorgen machen?", fragte er ihn besorgt.
Ein erkennbar trauriges Seufzen entfuhr seiner Kehle. "Ich fürchte ja. Die Wut wird stärker. Noch kann ich sie kontrollieren, aber es wird schwieriger, sie zu unterdrücken."
Torge sah an sich herunter zu seinem Schwert. Sahid sah diese Bewegung und griff mit seiner rechten Hand nach Torges linken Arm. "Noch nicht. Wenn es zu schlimm wird, werde ich längst nicht mehr hier sein. Aber noch ist der Zeitpunkt nicht gekommen.", versuchte er Torge zu beruhigen.
Torge nickte und entspannte sich etwas. "Wo sind wir hier?"
"Wir müssten an der Grenze zum alten Kaiserreich sein. Wir haben uns aus der anderen Richtung dem Pass genähert. Aber hier sollten wir schneller ein bewohntes Dorf oder eine Stadt erreichen. Wenn wir dem See in Richtung Westen folgen, werden wir in einigen Tagen eine Minenstadt erreichen. Von dort aus können wir Hilfe holen.", sagte Sahid, während er scheinbar nach irgendeinem markanten Landschaftsmerkmal Ausschau hielt.
Torge sah in die Richtung, aus der sie gekommen waren und strich sich durch das Haar. Es war nicht sehr warm, aber wesentlich wärmer, als im Pass und im Schnee. "Was von deiner Herrin gehört?", fragte er vorsichtig.
Sahid schüttelte traurig den Kopf. "Nein, ich befürchte das schlimmste."
Torge sah zu ihm. "Sie werden sie nicht töten, dafür ist sie zu mächtig. Sie werden sie nach Karkas bringen und studieren."
"Sie studieren?", fragte der Wandler besorgt.
"Ja vermutlich, ein Lord aus Alkatava hatte mir mal erzählt, was sie da tun. Die Magier aus Karkas führen eine kleine Privatarmee aus schwer gepanzerten Elitesoldaten. Sie tragen verstärkte Rüstungen, die mithilfe magischer Essenz geschaffen wurden. Diese Essenzen ziehen sie wohl direkt aus dem Äther, den sie mithilfe mächtiger Wesen kanalisieren, und verarbeiten diese in dem Stahl, aus dem sie die Rüstungen machen. So sind die sogenannten Wächter fast unbesiegbar. Und natürlich studieren sie alle Wesen, die zur Gefahr für die Menschen werden können oder sind, um ihre Schwachstellen herauszufinden. Ich wollte immer einer von ihnen werden. Sie sind mächtig und im ganzen Königreich hoch angesehen. Selbst der König muss sich ihrem Willen beugen, wenn er nicht den Schutz der Orden verlieren will. Man sagt ihnen sogar nach, dass sie die Macht ihrer Gefangenen absorbieren und so selbst noch stärker werden, was ich aber für ein Gerücht halte. So etwas würden sie wohl eher als Ketzerei verschreien...", schloss Torge seine Erklärung ab.
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Die Festung der Verlorenen
FantasyEine Festung voller ausgestoßener Soldaten kämpft um das Überleben gegen einen vermeintlich unerbittlichen und übermächtigen Feind. Nur sind die Fronten so klar, wie sie zu sein scheinen oder steckt mehr dahinter? Ein junger Leutnant sieht seine Cha...