Ankunft der Unbekannten

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Im lockeren Laufschritt lief er die Treppen herrunter und in Richtung der Befestigung. Als er den Bergfried verlassen hatte sah er einige Soldaten im Laufschritt in seine Richtung rennen.

„Sir, was ist hier los? Warum der Aufruhr wegen ein paar einsamen Schweinen?"

Torge antwortete ohne sein Tempo zu verringern. „Weil aus der Richtung seit gut 600 Jahren keiner mehr gekommen ist. Und jetzt ab zur Mauer!"

Die Soldaten zögerten und schauten sich an. Neugierde und leichte Besorgnis war in ihren Gesichtern abzulesen. Die kleine Gruppe lief in den linken Torturm und die Treppen hoch auf die Mauer. Dort stand der Wachhabende Karl mit dem Fernrohr und beobachtete etwas in der Distanz. Torge stellte sich neben ihn.

„Was haben sie, Karl?", fragte er den Wachhabenden.

„Sir, 22 Mann, 16 berittene und jeweils 2 auf Ochsenkarren. Keine heimliche Annäherung, da sie vermutlich Ölfackeln tragen und weithin sichtbar sind. Ich kann nicht ausmachen ob oder wie gut sie bewaffnet sind, es scheint eine Handelskarawane zu sein, da die Ochsenkarren schwer beladen sind." Der Wachhabende setzte das Fernrohr ab.

„Schauen sie selbst!", sagte er und hielt es Torge hin, der das Fernrohr nahm und hindurch sah.

In ein paar hundert Meter Entfernung konnte er die Gestalten und die Wagen erkennen, die sich einen Weg durch den Pulverschnee bahnten. Die Ochsen hatten alle Mühe die hochbeladenen Karren vorwärts zu bewegen. Die Fremden waren allesamt in dicke Pelze gehüllt und es waren weder Gesichter noch Waffen auszumachen. Torge setzte das Fernglas ab und reichte es dem Wachhabenden. Hinter sich hörte er das altverhasste Brüllen des Obersten.

„Leutnant! Was geht da draußen vor?", röchelte der alte noch immer in einer unangenehmen Lautstärke obwohl er wegen dem Aufstieg völlig aus der Puste war. Torge drehte sich zu ihm um.

„Sir, sieht nach einer schwer beladenen Karawane aus. 22 Mann, keine erkennbare Bewaffnung." Geistesabwesend schob sich der Oberst einen Finger in die Nase und suchte etwas. Torge drehte sich angewidert ab und sah wieder zu der Karawane.

„Gut, Bogenschützen bleiben auf der Mauer, die Schwerter kommen in den Hof und bilden ein Spalier.", befahl der Oberst.

Torge drehte sich wieder um und sah den Oberst ungläubig an. „Sie wollen sie reinlassen, Sir?"

Der Oberst lief wieder rot an. „Natürlich! Das sind die ersten Menschen, die seit Jahrhunderten wieder aus dem Süden kommen. Soll ich sie vor den Toren erfrieren lassen?"

Torge deutete vor das Tor. „Sollten wir sie nicht erst durchsuchen, bevor wir sie hinter die Mauern lassen? Wer weiß, wer oder was sie sind?"

Der Oberst wischte seine Bedenken mit einer Handbewegung zur Seite. „Papperlapapp, Was sollen die paar Leute schon gegen unsere Garnison ausrichten. Und jetzt führen sie meine verdammten Befehle aus oder ich lasse sie Auspeitschen!"

Torge seufzte wieder einmal und drehte sich zum Wachhabenden um. „Sie haben gehört was er gesagt hat."

Der Wachhabende drehte sich zu seinen Leuten um und rief die Befehle aus. Torge wandte sich wieder zum Oberst, der inzwischen an die Zinnen getreten war um sich selber von der ankommenden Karawane zu überzeugen.

„Herr Oberst, wir sollten nach unten gehen und sie in Empfang nehmen.", empfahl Torge.

Der Oberst sah sich um. „Gehen sie nur Leutnant. Ich muss den Überblick behalten und das geht nur von hier oben."

Dieses feige Stück Scheiße, dachte sich Torge. Er salutierte und machte sich auf den Abstieg. Die Schwerter versammelten sich bereits vor dem Tor und schafften es ein einigermaßen gerades Spalier zu bilden. Die Torwache machte sich bereits daran, das Fallgitter an und in den Erker zu heben. Das massive Tor, dass dahinter zum Vorschein kam bestand im Prinzip aus drei Türen. Im linken Flügel war eine kleine Tür für eine einzelne Person eingelassen, in der Mitte war in den linken und rechten Flügel jeweils ein kleines Tor eingelassen für einzelne Karren und kleine Formationen. Schlussendlich konnte das gigantische Tor selbst aufgezogen werden um maximalen Raum für Manöver zu schaffen. Heute würde das kleinere zentrale Tor reichen. Die schweren Holzbalken wurden zur Seite gezogen und das kleine Tor geöffnet. Torge positionierte sich frontal einige Meter hinter das kleine Tor um die Neuankömmlinge zu empfangen. Er hatte ein sehr flaues Gefühl im Magen und ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Unwillkürlich zupfte er den Mantel zu recht. Als er sich die Gesichter der Schwerter ansah konnte er die gleiche Anspannung und das Unbehagen erkennen, was auch ihm gerade zu schaffen machte. Seit fast 600 Jahren war keiner mehr aus den Südlanden gekommen, geschweige denn eine ganze Karawane. Er betete innerlich zu den Göttern, dass es sich um normale Handelsreisende handelte und nicht um irgendwelche Monstren mit denen Mütter ihre Kinder in Gute Nacht Geschichten ängstigten. Er hatte schon einige Geschichten in den Schänken von betrunkenen Soldaten und Reisenden gehört. In denen ging es um Hexen, die Männer mit den süßesten Versprechungen lockten und sie dann bei lebendigem Leibe häuteten. Andere erzählten von Nekromanten und Beschwörern, die haushohe Dämonen und untote Gebilde beschwören konnten um damit ganze Armeen zu vernichten. Harpyien, Succubi, Drachen, menschenfressende Riesenkäfer, die Liste war endlos. Die ganze Welt war von unheilvollen Kreaturen und Wesen bevölkert, die die Menschheit als ihre private Nahrungsquelle ansahen. Der schlimmste Feind des Menschen war allerdings noch immer der Mensch selber. Torge riss sich wieder zusammen, denn die Karawane erreichte langsam das kleine Tor. Eine hochgewachsene Gestalt auf einem der Pferde löste sich von den anderen und trabte voraus, gefolgt von zwei weiteren, wesentlich breiteren Gestalten. Als sie das Tor erreichten, stiegen sie ab und die hochgewachsene Gestalt bedeutete der Karawane vor dem Tor anzuhalten. Torge sah nach oben. Die Bogenschützen standen an den Zinnen mit Pfeil und Bogen im Anschlag, hatten die Sehnen aber nicht gespannt. Die Gestalt am Tor stieg vom Pferd ab und führte es sicheren Schrittes hinter sich her. Torge versuchte etwas unter der Kapuze des Anführers zu erkennen, aber das Licht der Fackeln reichte nicht aus. Der Mann schien etwas kleiner zu sein als Torge aber weitere Details waren auf Grund der dicken Fellkleidung nicht auszumachen. Etwa 5 Schritte vor Torge blieb die Gestalt stehen. Langsam hob sie beide Hände an die Kapuze und schlug sie zurück. Unwillkürlich verschluckte sich Torge und musste ein Husten unterdrücken. Er hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit dem hier. Das plötzlich einsetzende Raunen der ihm am nächsten stehenden Schwerter bestätigte seine Entdeckung. Bei der Gestalt handelte es sich um eine wunderschöne Frau mit glatten schwarzen Haaren, einer dunklen ebenholzbraunen Haut, großen dunkelbrauen Augen, einer kleinen Stupsnase und einem sinnlichen vollen Mund, der von einem scharf geschnittenen Gesicht eingerahmt wurde. Ein freundliches Lächeln bildete sich auf ihren Zügen ab.

Die Festung der VerlorenenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt