Isra öffnete ihre Augen. Sie versuchte sich zu orientieren, sah aber nichts als Schwärze. Der Versuch sich zu bewegen wurde nur mit stechenden Schmerzen in ihren Gliedmaßen belohnt. Sie zitterte und ihr war kalt. Ihre Kleidung bestand nur noch aus Fetzen, die die ungnädige Behandlung des Jägers zurückgelassen hatten. Die Erinnerung daran ließ sie erschaudern. Relias nannte er sich, ein Magier vom Orden der Jagd, ausgebildet darin, "Monster", wie sie eines war, zu jagen und zu erlegen. Aber er hatte sie nicht erlegt, er hatte sie gefoltert. Ihre verzweifelten Schreie wurden ignoriert, von ihm hatte sie nichts außer weiteren Schmerzen zu erwarten. Ein derartiger fanatischer Glaube an eine Sache war ihr noch nicht untergekommen. Sie hatte die Schwierigkeit und die Gefahr dieser Mission weit unterschätzt. Jetzt war ihr Gefolge tot und sie war zerbrochen.
Sie setzte sich auf, was durch die schweren Ketten nicht einfach war. Das Abtasten ihres Körpers förderte nur weitere Wunden zutage. Sogar einen Maulkorb hatte man ihr angelegt. Er hatte immer nur die gleichen Fragen gestellt, die sie auch wahrheitsgemäß beantwortet hatte, aber der Jäger glaubte ihr nicht. Er hatte sogar in ihrem Gehirn gebohrt, wo er gesehen haben musste, dass sie die Wahrheit sagte, aber er hatte es nicht gesehen oder wollte es nicht sehen. Sie fühlte das Brandmal auf ihrer Brust. Es pulsierte in einem gleichmäßigen Takt und sie fühlte, wie das Mal ihr ihre Kräfte raubte. Sie lauschte in sich hinein. Die Wildheit ihrer anderen Seite war gänzlich verstummt, so auch ihre Fähigkeiten in der Dunkelheit zu sehen oder Wunden in Windeseile zu heilen. Sie war stark und wehrhaft, aber diese Eigenschaften konnte man ihrer Art schnell nehmen, wenn man wusste, wie. So konnte sie auch nicht sehen, wo sie war, aber sie tippte mal auf den Kerker. Der Kälte und der Feuchtigkeit auf ihrer Haut nach lag sie auch schon länger hier.
"Hallo...?", hörte sie ihre spröde und heisere Stimme in der Dunkelheit, in der niemand antwortete. Etwas Panik stieg in ihr auf und sie atmete langsam und kontrolliert durch. Sie durfte jetzt nicht in Panik geraten. Ruhe und Beherrschung war das einzige, was ihr jetzt noch helfen konnte. Sie erinnerte sich an ihre Mutter, eine alte Führerin, die schon viele auf den Weg der Ruhe begleitet hatte. Sie rief sich die Meditationsübungen ins Gedächtnis und begann ruhig und gleichmäßig zu atmen. Isra konzentrierte sich auf ihr inneres Licht, was das Mal nicht auszulöschen vermochte. Das Licht leuchtete noch immer stark und ungebrochen. Die Konzentration darauf erfüllte sie mit einer leichten Wärme und machte die Kälte des Kerkers etwas erträglicher. So verharrte sie einige Zeit, bis sie durch das Quietschen der Kerkertür aus der Konzentration gerissen wurde.
Sie machte sich darauf gefasst, wieder gefoltert und misshandelt zu werden, wurde aber überrascht, als plötzlich einer der Soldaten mit einer Fackel vor ihrer Tür auftauchte. Zum ersten Mal konnte sie den schwarzen Stein ihrer Zelle betrachten und sah bewusst den alten ergrauten Mann, der hinter der Tür stand. Sie kannte ihn. Sie hatte ihn oft bei dem jungen Leutnant gesehen. Leider wird der vermutlich auch inzwischen durch den Jäger getötet worden sein.
"Ihr lebt.", stellte er nüchtern fest. Sie sah ihn bloß an.
"Ich habe hier etwas für euch.", sagte er und schob einen kleinen Beutel durch die Türöffnung.
Sie schleppte sich auf allen vieren zur Tür und nahm den Beutel mit scheppernden Ketten entgegen. Sie kniete sich hin und öffnete ihn. In ihm fand sie ein halbes Laib Brot und ein größeres Stück Pökelfleisch.
"Ich weiß, ihr esst eigentlich kein Fleisch, aber der andere hat es getan. Ihm ging es danach schnell besser, will ich sagen. Da dachte ich, es tut euch auch gut.", erläuterte er die Wahl des Essens. Isra versuchte, ihn zu lesen. Er schien aber relativ gleichgültig in seiner Motivation zu sein.
"Warum bringt ihr mir das?", fragte sie ihn, während sie sich ein kleines Stück Brot in den Mund schob. Es war schon etwas trocken, aber der Geschmack und das Gefühl etwas zu Essen im Mund zu haben, machte das mehr als wett.
DU LIEST GERADE
Die Festung der Verlorenen
FantasíaEine Festung voller ausgestoßener Soldaten kämpft um das Überleben gegen einen vermeintlich unerbittlichen und übermächtigen Feind. Nur sind die Fronten so klar, wie sie zu sein scheinen oder steckt mehr dahinter? Ein junger Leutnant sieht seine Cha...