Kapitel SECHS

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31. August 98'

Sich als Lehrer zurecht zu finden, fiel mir erstaunlich leicht. Vielleicht lag es aber auch nur an Professor McGonagall, die alles bis ins kleinste Detail geplant hatte. Des Öfteren fragte ich mich, ob es unter Dumbledores Leitung genauso gewesen war. Ich würde es nicht mehr erfahren.
Am letzen freien Morgen wachte ich so früh auf, dass der Mond noch hell durch mein großes Fenster schien. Dieses große, runde Zimmer war noch immer ungewohnt. Es war genauso groß wie unser Zimmer damals, welches wir uns zu fünft geteilt hatten. Das lag vermutlich daran, dass mein Zimmer direkt im Nachbarturm von den Gryffindors lag. Und das lag daran, dass McGonagall mich überraschenderweise zum Hauslehrer der Gryffindors gemacht hatte. Sie arbeitete schon viel zu lange als Lehrerin. Als sie mich fragte, ob ich diesen Job übernehmen würde, drehte sie die Worte so geschickt, dass mir nichts anderes übrigblieb, als Ja zu sagen. Aber natürlich fiel mir das erst auf, als ich abends im Bett lag und über die Folgen nachdachte.
Mein Zimmer war nur mit dem Nötigsten eingerichtet, aber dennoch irgendwie gemütlich. Gegenüber der Tür stand ein großes Bett aus dunklem Holz. An jeder Seite ein großes Fenster, das bis zum Boden reichte und ein Nachttisch. Auf der linken Seite stand ein großer Schreibtisch, der dem Pult in meinem Klassensaal zum Verwechseln ähnlich sah. Und auf der anderen Seite prahlte ein großer Kleiderschrank. Viel zu groß, wie ich bemerkte, als ich meinen Koffer ausräumte. Meine Klamotten belegten gerade mal ein Drittel des Platzes, was wirklich mickrig aussah. Erst später fiel mir ein, dass noch einige Umhänge kommen sollten. Bis dahin würden meine Jeans und T-Shirt den ganzen Schrank für sich haben. Aber das schönste war definitiv der große Kamin, in dem ich abends schon Feuer machte. Auf dem Sims hatte ein Foto von Ron, Hermine und mir Platz. Es wurde in irgendeinem Sommer bei den Weasleys aufgenommen. Vermutlich im vierten Jahr vor der Weltmeisterschaft. Wir sahen so unbekümmert und glücklich aus.
Das zweite wirklich persönliche in diesem Zimmer war das Bild meiner Eltern aus dem Nachttisch. Wie sie im Herbst miteinander tanzten und sich anstrahlten. Unwissend, was auf sie zukommen würde. Das Bild von den Gryffindors in den 70ern lag zusammen mit dem schwarz eingebundenen Tagebuch tief in meiner Schreibtischschublade. Vielleicht würde ich das Bild irgendwann aufstellen, aber nicht jetzt. Und auch nicht morgen. Oder übermorgen.

Ich setzte mich in meinem riesigen Bett auf, zündete die Kerze auf meinem Nachttisch an und sah mich um. Neben mir lagen einige Dokumente, die McGonagall uns gegeben hatte. Alles Mögliche, wie der Dienstplan, der Stundenplan, der Lehrplan, die Schulregeln und eine Handgeschriebene Liste mit Tipps für die Hauslehrerschaft. Wahrscheinlich hatte sie sie extra für mich geschrieben.

1. Sie sind verantwortlich für die Bestrafung bei Regelbrüchen. Achten Sie auf Fairness.
2. Halten Sie ein gutes Verhältnis zu Ihren Schülern. Sie sollten eine Vertrauensperson für sie sein. Jemand, zu dem sie immer gehen können.
3. Passen Sie auf Schüler auf, die so sind wie Sie als Kind, Mr. Potter. Sie werden Ihnen Ärger machen.
....

Bei dem dritten Tipp musste ich einen Moment schmunzeln. Aber sie hatte schon recht. Wahrscheinlich haben wir mehr Regeln gebrochen, als es überhaupt gab. Also konnte ich nur hoffen, dass es keine Schüler gab, die so sein würden wie ich. Oder Ron.
Neben der handgeschriebenen Liste lag eine Ausgabe des Tagespropheten vom vergangenen Mittwoch. Und wie zu erwarten sah ich mich selbst an. Auf der Titelseite prahlte ein großes Bild von mir, als ich in den Zug einstieg. Irgendwer hatte wohl tatsächlich eine Kamera dabei und hatte das Foto an den Propheten verkauft. Oder es wurden Reporter rausgeschickt, um zu erkunden, wer wohl als Lehrer arbeiten würde. Und sie waren erfolgreich.

Harry Potter der neue Lehrer auf Hogwarts!

Unser Held hat keine Zeit, um sich auszuruhen. Nachdem er im Mai die Schlacht gewann und im Juni im Prozess für den jungen Malfoy-Erben aussagte, taucht er nun ganz unverhofft am Gleis 9 3/4 in Kings Cross aus und steigt eine Woche vor Schulbeginn in den Express. Wird er der neue Lehrer unseres Zaubernachwuchses? Was wird er unterrichten? Oder steckt was anderes dahinter?

Wir werden auf jeden Fall für Sie dranbleiben!

Ich konnte nicht anders, als den Kopf auf die Tischplatte fallen lassen, als ich am Morgen den Artikel las. Aber am Ende würde es sowieso keinen Unterschied machen, denn irgendwann wüssten sie es eh. Spätestens, wenn einer der Schüler einen aufgeregten Brief an seine Eltern schicken würde, weil der Held Harry Potter sie unterrichtete.
Seufzend schmiss ich den Artikel vom Bett und ließ mich wieder in mein Kissen sinken. Oder besser gesagt, in eines der vielen Kissen. Mir fiel jetzt erst auf, dass das Zimmer ziemlich neutral eingerichtet war, dafür, dass es dem Gryffindor-Hauslehrer gehörte. Normalerweise prahlten überall die rot-goldenen Farben. Aber hier war es eher dunkel eingerichtet, bis auf die strahlend weiße Bettwäsche.

Wie lange ich im Bett lag und an alles und gleichzeitig nichts dachte, wusste ich nicht. Ich schien die ganze Zeit mit den Gedanken bei wichtigen Themen zu sein, aber sobald sich etwas Neues in meinen Kopf geschlichen hatte, war das Alte vergessen. Als die ersten Sonnenstrahlen auf dem dunklen Teppich leuchteten, setzte ich mich frustriert auf. Meine Augen wollten kaum aufbleiben, aber schlafen konnte ich trotzdem nicht.
Ich stand auf, zog mir ein Shirt über, welches am Fußende meines Bettes lag und setzte mich an den Schreibtisch. Zögernd fuhr ich mit den Fingern über das ebene Holz der leeren Tischplatte, bis sie schließlich an den Knauf der Schublade lagen. Zögernd zog ich sie auf und starrte hinein, obwohl ich durch die Dunkelheit nicht viel sehen konnte. Ich wollte nicht, aber meine Hand machte sich selbstständig und holte das Tagebuch heraus. Ich öffnete die erste Seite, während ich mich fragte, wann ich so tief gesunken war, dass ich das Tagebuch eines Verstorbenen lesen würde. Warum wollte ich es überhaupt lesen? Um meinen Eltern näher zu sein? Vielleicht würde ich über sie auch etwas erfahren. Um meinem Patenonkel näher zu sein? Um ihn besser kennenzulernen, weil ich es nicht mehr konnte? Weil sie mir alle viel zu früh genommen wurden...
Seufzend ging ich zurück in das noch warme Bett und las mit zusammengepressten Lippen die erste Seite. Die, die ich beim ersten Mal auch aufgeschlagen hatte.

03. November 75'

Lily. Sie hat mir dieses Buch geschenkt. Meinte, es könnte mir helfen meine Gedanken zu ordnen. Als hätte ich Probleme damit...

7. November 75'

Wie macht man das? Soll ich jetzt schreiben „Liebes Tagebuch, Marlene hat heute Arsch zu mir gesagt! Unfassbar, oder?". Das ist doch alles lächerlich. Scheißidee. Aber jedesmal, wenn ich diese bescheuerte Schublade aufziehe, kann ich dieses dumme Ding fast lachen hören. Dann höre ich Lily's Stimme. „Probier es aus. Es wird dir helfen.". Dann grinst sie mich so an, dass ich es sogar glaube! Verdammte scheiße, was für ein Schwachsinn.

Sirius schien.... ziemlich wütend gewesen zu sein. Auf wen, oder was auch immer. Aber es fühlte sich fast so an, als hätte er es zu mir gesagt. Als könnte ich seine Stimme hören, wie er mir davon berichtete, wie bescheuert er diese Idee fand. Seine Worte, in dieser recht ordentlichen Handschrift zu lesen, tat weh. Aber irgendwie gut. Ich vermisste ihn. Mum. Dad. Auch Remus. Und irgendwie schien ich ihnen etwas näher zu sein, wenn ich diese Worte las.
Das schreiende Gewissen ignorierte ich, als ich umblätterte und weiterlas.

23. November 75'

Lily hat mich gefragt, ob ich dieses Ding benutze und ich hab ja gesagt. Also schreibe ich das jetzt hier auf, damit dieses verschissene Gewissen die Schnauze hält. Wie kann man sich so schlecht fühlen, weil man so eine kleine Lüge erzählt. Hab eh keine Ahnung warum es sie so interessiert. Immerhin wird sie von James angeschmachtet. Nicht von mir. Obwohl sie ihn zum 329539 Mal abserviert hat... Dafür hängt sie erstaunlich viel mit Moony rum... merkwürdig. Ob da was läuft. Muss ihn wohl mal fragen....
Ich sollte jetzt aufhören in dieses blöde Ding zu schreiben und anfangen diesen blöden Aufsatz zu schreiben, den ich in 14 Stunden fertig haben muss... odeeeeer ich schreibe einfach weiter und ignoriere den Aufsatz....

Am unteren Rand der Seite prahlt eine verschmierte Zeichnung, die Aussieht wie ein Strichmännchen und vielleicht ein Hund? Oder sowas in der Art. Könnte auch ein Bär sein, wobei der Hund dann doch naheliegender war.
Seufzend schlug ich das Buch zu und legte es in die unterste Schublade meines Nachttisches. Da wo ich es nicht sehen konnte. Wo es mich nicht verspotten konnte, wie Sirius es beschrieben hatte. Ein leises Lachen entfuhr mir bei diesem Gedanken. Ein leises, und später zweifelndes Lachen...

This last Piece of meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt