Strom

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So fliegt der Engel gen Himmel steil bergauf, den Wolken entgegen, die sich schwarz und grau über seinem Kopf erstrecken. Die weißen Flügel heben sich weiß und leuchtend von all der Düsternis ab, ein Schimmer der Hoffnung entgegen all der rauen Wildheit, die der drohende Sturm ungeniert zur Schau stellt. Einem Pfeil gleich schießt er immer höher, die Flügel eng an den Körper gelegt, berauscht von der Geschwindigkeit, befreit vom Erdboden, Wind in den Federn. Der erste Donner grollt, tief und grummelnd doch noch weit entfernt, der Blitz nicht zu sehen. Welch eine Spannung in der Luft liegt, die Federn sträuben sich gegen die Ladung doch der Engel saugt es in sich hinein wie eine Droge. Die Gefahr versetzt ihn in eine Art Trance, sie lässt ihn das Leben fühlen wie nichts sonst, Liebe, Freude einen Herzschlag. Der Regen setzt ein, Tinte gleich rinnt er die Flügel hinab, färbt sie schwarz und macht sie der Umgebung gleich. Noch immer bergauf, weiter, weiter bis das Atmen schwer fällt und die Luft dünn und nutzlos durch die Lungen rauscht. Wieder hinab, nur ein Stück. Der Boden darf nicht zu nahekommen, die Wolken den Seraphim umschließen. Welch ein Gefühl. Unbeschreiblich.
Die Spannung steigt, sie knistert auf seiner Haut, erreicht einen beinahe übermächtigen Punkt. Er stoppt, bleibt in der Schwebe. Erwartungsvoll starrt er durch die Wolken die langen, schwarzen Haare stehen ihm steil zu Berge. Er lacht, kann nicht mehr aufhören, spreizt Arme und Flügel, saugt die Energie in sich hinein.
Ein Blitz durchstößt das Wolkenmeer, nur wenige Meter vor ihm. Der Engel bleibt zurück, verzückt von der Schönheit, Macht und Reinheit des Stromschlages. So kam es, dass ein Menschenwesen sich in den Blitz verliebt.
Verblendet von seinen Gefühlen fliegt er wieder los, missachtet die Gefahr, missachtet die Warnung die der Donner ihm mit ohrenbetäubender Lautstärke entgegen schleudert. Das Herz ist blind wenn es fühlt.
Ein nächster Blitz, diesmal weiter weg. Und noch einer. Bald lernte der Engel anhand der Ladung in der Luft vorauszuahnen, an welcher Stelle seine Geliebte als nächstes auftauchen würde. Er versucht ihr immer näher zu kommen, streckt seine Arme aus um sie zu berühren, wenigstens für einen flüchtigen Moment. Einmal ist er ihr so nahe, dass er meint ein Gesicht sehen zu können. Zarte Lippen, große, mandelförmige Augen und langes welliges Haar, das sich wie eine Gischt um das Gesicht schmiegt. Zeus Tochter blickt ihn an, schlägt die Augen auf, zwinkert ihm zu. Er fühlt sich bestärkt, diese Liebe sollte sein. Beschwingt von dieser scheinbaren Erkenntnis fliegt er noch schneller. Und sie erhört ihn.
Es ist ein besonders lauter Donnerschlag als der Blitz den Engel durchzuckt. Wieder sieht er das Gesicht vor Augen, doch diesmal ist es vor Gier verzerrt. Sein Puls setzt aus und beginnt nicht wieder von neuem. Das letzte bisschen Leben in ihm weicht langsam aus seinen Gliedern. So schnell seine Geliebte da war, so schnell ist sie auch wieder fort doch nimmt sie sein Herz mit, gnadenlos und kalt. Wie in Zeitlupe sinkt der Seraphim zurück, die Augen noch immer aufgerissen vor Schmerz und Enttäuschung. Er gewinnt rasch an Geschwindigkeit, einem Meteor gleich stürzt er der Erde entgegen.
Es sieht beinahe aus als würde er schlafen, als er da am Boden liegt. Zu einer Kugel zusammengerollt, die angesenkten Flügel schützend um den Körper gelegt. Doch ist er von der Liebe ausgebrannt.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 29, 2021 ⏰

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