Black out

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Ich werde erst wieder langsamer, als ich vor dem Eiffelturm stehe. Es ist später Nachmittag und hier herrscht Hochbetrieb. Touristen stehen Schlange um auf die eiserne Lady zu kommen. Illegale Verkäufer bieten Minitürmchen, gefälschte Markensonnenbrillen und -taschen zu Spottpreisen an. Kinder rennen laut schreiend über den Platz, Geschäftsleute telefonieren während sie hektisch über den Platz eilen und ein paar Senioren sitzen im Café und unterhalten sich. Hier ist die Welt noch in Ordnung.

Ich bleibe einfach stehen und warte. Diese Ganoven werden mich entdecken, denn ich glaube nicht, dass sie sich mit Kyria zufrieden geben. Dazu habe ich den nächsten Hinweis gefunden und ich allein weiss, wo wir als nächstes Suchen müssen. Ein Blitz zuckt über den Himmel und kurz darauf erschüttert das Grollen des Donners den Boden. Ein heftiges Sommergewitter zieht auf und einige Atemzüge später prasselt der Regen auf mich herab. Zum Glück habe ich die Skizzen meiner Grossmutter nicht dabei.

Der Platz leert sich rasch, immer wieder steigen Leute aus dem Aufzug des Eiffelturms, doch die eilen so schnell wie möglich in alle Richtungen davon. Ausser die schwarz gekleidete Gestalt, die direkt auf mich zukommt. Die Frau bleibt eine Armlänge vor mir stehen. "Alysha, wenn Sie mir bitte Folgen würden." Ich lächle sie freundlich an. "Ich gehe nirgendwo hin. Mit wem habe ich das Vergnügen?" "Ich bin nur eine Vermittlerin. Ich habe keine Ahnung, was meine Arbeitgeber mit Ihnen vorhaben noch warum Sie mir folgen sollen. Wenn Sie sich allerdings weigern, werde ich Sie etwas überzeugender darum bitten." Die Frau spricht die Wahrheit, ihre Mimik und der Tonfall sind eindeutig. Sie dreht sich um und geht los. Ich folge ihr und hoffe inständig, dass sie mich auf dem direkten Weg zu meiner besten Freundin führt. Die mysteriöse Frau geht zielstrebig aus der Innenstadt in ein Banlieue (Vorort) von Paris. Vor einem verlassenen Häuserblock hält sie an und dreht sich zu mir um. "Warten Sie hier."

Sie verschwindet zwischen zwei Häuser und lässt mich alleine. Der Regen hat nachgelassen, die Wolkendecke reisst auf und kurz darauf sieht es so aus, als hätte es nie geregnet. Nur meine nasse Kleidung erinnert mich daran, doch auch die trocknet im Sonnenlicht schnell. Als sich nach einer Stunde immer noch niemand zeigt, werde ich ungeduldig. Ich drehe mich einmal um mich selber und gehe ein paar Schritte auf eines der Häuser zu. Da höre ich das Klicken von dem Entsichern einer Waffe. Sofort bleibe ich stehen. "Hände seitlich ausstrecken, Weatherby", bellt eine Person hinter mir. Ich tue, was mir gesagt wurde. Jemand sucht mich nach einer Waffe ab. "Durst?", fragt der Mann und geht um mich herum. Ich beobachte ihn aufmerksam. Er ist ungefähr 1 Meter 85 gross, Vollbart, milchige Haut, so als würde er direkt aus dem Urlaub kommen. Seine Augen werden von einer Sonnenbrille bedeckt und er trägt einen teuren Anzug. Einer seiner Leute bringt ihm ein Glas mit durchscheinender Flüssigkeit darin. "Nein, danke." Wer weiss, was da drin ist. "Sie haben doch sicher das Bedürfnis nach etwas Wasser nach einem so langen Marsch. Dass wir Sie so lange warten liessen, tut uns Leid."

"Sie waren die ganze Zeit da. Lassen Sie sie gehen, Sie haben jetzt mich." "Wen sollen wir denn gehen lassen?" "Kyria Salvador." "Oh das ist dumm gelaufen. Sie hat sich Urlaub genommen und sitzt bereits im Flieger. Sie wird es gut haben." Nein! Das darf nicht sein. "Was wollen Sie von ihr? Sie weiss nichts über die Eule. Nur ich weiss es. Lassen Sie sie frei!" "Miss Weatherby, Sie scheinen etwas dehydriert. Bitte, trinken Sie einen Schluck." "Nein!" "Das war keine Bitte. Flösst es ihr ein!" Sofort werde ich an den Armen gepackt. Gegen die beiden Kerle habe ich keine Chance, also presse ich meine Kiefer aufeinander. Der Typ, der eben das Wasserglas gebracht hat, holt einen dünnen Schlauch hervor und eine lange, spitze Nadel. Keine Nadel, eine Spritze. Die flössen mir das direkt ins Blut ein! Verzweifelt wehre ich mich, doch zu dritt sind sie zu stark. Ihr Boss schaut seinen Männern genugtuend zu und ein triumphierendes Grinsen stiehlt sich auf sein Gesicht.

In meinem Kopf beginnt es einen Moment später zu rattern. Was um alles in der Welt ist das für ein Zeug? Meine Gedanken vernebeln sich und ich höre noch, wie der Fremde fragt, ob die Wahrheit gut schmecke. Wahrheitsserum, schiesst es durch meinen Kopf und mit dem letzten klaren Gedankenzug kopple ich meine Erinnerungen und mein Gedächtnis ab. Nur jemand von der Agency wird mir helfen können, mich je wieder an alles erinnern zu können.

Als sich der Nebel in meinem Kopf wieder verzieht ist der Himmel dunkel. Ich stehe auf und knicke ein, weil mein Knöchel schmerzt. Verwirrt blicke ich hinab. Er ist blau geschwollen, genau wie mein Knie. Jemand hat mich aufs Übelste verprügelt. Vorsichtig fahre ich mit meiner Hand über mein Gesicht. Sie ist rot vom Blut, welches aus meiner Nase läuft. Über dem Auge habe ich eine üble Schnittwunde. Die Lippen sind wahrscheinlich ebenfalls aufgeplatzt. Meine Rippen schmerzen höllisch, ich hoffe, sie sind nur geprellt und nicht gebrochen. Wer hat mich bloss so zugerichtet und warum? Wo bin ich überhaupt? Wer bin ich?

Orientierungslos stolpere ich aus der Gasse. Ab und zu begegne ich ein paar Menschen, die mich entweder ignorieren oder schockiert ansehen. Eine Frau hält mich schliesslich an. "Sie müssen in ein Spital." Spital? Mein Kopf sagt mir, dass das keine gute Idee ist. "Nein. Wo bin ich?" "In Paris." Paris? Ich muss zum Jardin du Luxembourg. Danke Hirn. "Wie komme ich zum Jardin du Luxembourg?" "Das ist eine Gehstunde von hier entfernt. Zur Hauptstrasse da vorne und dann rechts. Nach etwa zehn Minuten ist er dann angeschrieben." Ich bedanke mich bei ihr und humple weiter.

Nach einer Stunde komme ich tatsächlich in die Nähe des Gartens, doch ich brauche mindestens noch eine weitere, bis ich endlich da bin. Der Brunnen in der Mitte erinnert mich wage an drei Männer, die mich verfolgten. Haben die mich so zugerichtet? Woher bin ich gekommen? Mein Kopf sagt mir von welcher Strasse und ich folge ihm. Warum erinnere ich mich nicht? Hat mir jemand so fest auf den Schädel geschlagen, dass ich mein Gedächtnis verloren habe?

Mein ganzer Körper schmerzt, als ich endlich vor meinem Ziel stehe. Mühsam steige ich die Treppe hoch bis zu einer Türe, die mir bekannt vorkommt. Vorsichtig drücke ich die Klinke nach unten und... die Türe springt auf. Leise stosse ich sie auf und sehe mich um. Hier sieht es aus wie auf einem Schlachtfeld. Wohne ich hier? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Da aber niemand da ist, suche ich mir erst mal was zu essen. Im Vorratsschrank sind Brot, Dosenfrüchte und geräuchertes Fleisch. Zusammen mit dem erste-Hilfe-Kasten verschanze ich mich in einem Zimmer. Während dem Essen säubere ich meine Verletzungen. Meine Knöchel bandagiere ich ein, die Schürfwunden desinfiziere ich und die Schnittwunde über dem Auge schütze ich mit dünnen Pflaster. Während ich das mache, denke ich nicht nach. Ich funktioniere nur, tue, was mein Hirn mir befiehlt.

Nachdem ich gegessen und getrunken habe, fühle ich mich total erschöpft. Ich zerre die Matratze vom Bett und lege sie in den dunkelsten Ecken des Zimmers. Mit einem Küchenmesser zur Verteidigung lege ich mich hin und schliesse die Augen. Zwar schlafe ich nicht ein, aber ich ruhe mich dennoch aus.

Ein leises Klopfen schreckt mich aus meinem Grübeln. "Ich komme jetzt hinein, in Ordnung?" Die Stimme kommt mir unglaublich bekannt vor, doch ich weiss nicht, wer da draussen ist. "Wer..." Die Türe geht langsam auf und ein junger Mann steht da und betrachtet mich im Schein der fahlen Taschenlampe. Sein Gesicht verzieht sich, als er mich sieht. Trauer, Wut und Schmerz spiegeln sich in den Augen, die mich eindringlich mustern. "Was hast du bloss getan?", seufzt er. Er knipst die Taschenlampe aus und setzt sich vor mich hin. Umständlich rapple ich mich auf. "Hast du deine Erinnerungen abkoppeln müssen?" Verwirrt blicke ich ihn an. "Ich möchte dich festhalten, wenn ich sie wieder erwecke." Der Protest bleibt in meinem Hals stecken, als er mich sanft an sich zieht. Ich sitze auf seinem Schoss, er schlingt die Arme fest um mich und mein Kopf ruht an seiner Schulter. Erwartungsvoll und ängstlich schaue ich zu ihm auf. "Ella", seufzt er. Sofort schiessen Bilder auf mich ein. Meine Eltern, meine Grosseltern, Schulfreundinnen, Darcy und Cyrano, der mich gerade im Arm hält. Ferienerinnerungen werden wach. Doch etwas fehlt. "Alysha", sagt Cyr. Trainings, Schlafmangel, Fremdsprachen prasseln auf mich nieder. Geschichtsereignisse, Unterricht, Gefangene, eine Holzeule. "Ganz ruhig", flüstert Cyr und streicht sanft über meinen Rücken. Oder Dante. Langsam setzt sich alles in meinem Kopf zusammen. "Ella Lavoisier, Alysha Weatherby." Ich presse die Handballen an meine Schläfen, weil ich das Gefühl habe, dass mein Kopf nächstens platzt. Es fühlt sich an, als würde mein Hirn von einer Armee Blauwale überschwemmt. Cyr hält mich einfach fest und wartet, bis alles vorbei ist.

Schliesslich blicke ich ihm in die Augen. "Es tut mir so Leid", flüstere ich. "Nein, ich hätte dir niemals vorwerfen dürfen, dass du Schuld am Verschwinden meiner Schwester bist. Ich war einfach so... schockiert. Bin es immer noch." "Schon in Ordnung, ich hätte wahrscheinlich gleich reagiert." Cyr lächelt traurig. "Für sie kann ich im Moment nichts machen. Was ist mit dir passiert?" Ich erkläre ihm alles bis zu dem Punkt, als ich meine Erinnerungen abgekoppelt habe. Danach weiss ich auch nicht, was passiert ist. "Die waren wahrscheinlich frustriert, weil du nichts sagen konntest. Ist dir jemand gefolgt?" "Ich glaube nicht", seufze ich und kuschle mich an ihn. "Ruhen wir uns aus. Morgen starten wir die Suche nach Darcy und der Eule."

Schrei der EuleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt