"Es sieht tatsächlich so aus, als würdet ihr schlafen." Erschrocken fahren Cyr und ich gleichzeitig hoch. Die ruckartige Bewegung kommt meinen geprellten Rippen alles andere als gelegen. "Dumas", begrüsst Cyr den Fremden und entspannt sich augenblicklich. Mein Kopf scheint noch nicht so schnell zu sein, aber jetzt erkenne auch ich ihn. Ächzend lege ich mich wieder hin. "Was haben die mit dir gemacht?" Dumas' Stimme klingt bitterböse. "Ich weiss es nicht", seufze ich und Cyr, den ich ab sofort wieder mit Dante anspreche, streicht mir die Haare aus dem Gesicht, damit ich meinen Arm nicht heben muss. "Ich habe das komische Zeug mitgebracht, welches Grunier euch verfüttert hat, wenn ihr verletzt wart." Dante steht vorsichtig auf und nimmt die Ampulle entgegen. "Mach den Mund auf", weist er mich an. Dann tröpfelt er die Flüssigkeit auf meine Zunge. Sie schmeckt grässlich und ich verziehe angewidert das Gesicht. "Widerlich", beklage ich mich. "In einer Stunde bist du mehr oder weniger wieder ganz." "Was ist passiert?", will Dumas wissen und Dante schaut fragend zu mir. Ich nicke ihm zu, Dumas können wir vertrauen. Mein Freund erzählt von Anfang an, was passiert ist. Ich lege mich hin und lausche seinen Worten, während mein Körper schmerzt. "Als Grunier zu mir in die Zelle kam, ist Alysha schon geflohen. Als ich ihn nach ihr fragte, sah er mich nur vernichtend an. Ich wusste, dass du ohne seine Erlaubnis gegangen warst. Ich fand auch kurz darauf heraus, warum. Diese Umkehrverhörübung hat tatsächlich was geholfen. Madame Sanchez wird stolz auf mich sein." Sein schiefes Lächeln verrät, dass er es nicht ernst gemeint hat. Madame Sanchez lobt nicht. Niemals, selbst wenn es dem Naturtalent Kyria gelingt, einem Agenten geheime Informationen zu entlocken. "Wir müssen so schnell wie möglich nach..." "Kein Wort, ich wills nicht wissen", unterbricht Dumas mich. "Ich organisiere euch eine Cessna 172, ausgerüstet mit allem, was ihr braucht. Gebt mir zwei Stunden." Er steht auf und geht aus dem Raum. "Wir bekommen ein Flugzeug?", frage ich nach einer Weile, immer noch überrascht. Dante zuckt die Schultern und setzt sich wieder neben mich. "Wie gehts deinen Knochen?" Ich seufze und drücke leicht auf meinen Rippen herum. "Besser." Dante untersucht mein Knie und den Knöchel und es schmerzt nicht einmal gross. "Bitte versprich mir, niemals wieder einfach wegzulaufen. Ich will mir nie wieder solche Sorgen um dich machen!" "Ich musste es versuchen und das weisst du auch." Dante seufzt, beugt sich zu mir hinab und drückt seine Lippen an meine Stirne. "Trotzdem", brummelt er. "Komm her und ruh dich aus", verlange ich und er legt sich neben mich. "Dein Wunsch ist mir Befehl", meint er grinsend.
"Am Flughafen le Bourget steht euer Flugzeug. Vollgetankt, bewaffnet und flugbereit. Egal wo ihr hinfliegt, es wird wieder abgeholt, aber damit lassen wir uns Zeit. Ihr zwei zieht euch erst mal um und esst ausgiebig." Dumas kommt redend wieder ins Zimmer gerauscht und bleibt lächelnd vor uns stehen. "Na kommt, ihr Faulpelze. Ihr habt Leben zu retten!" Das weckt uns aus unserem Dämmerdasein und wir sind sofort auf den Beinen. Er wirft uns unsere neue Kleidung hin und verlässt den Raum wieder. Schweigend ziehen wir uns um, schnallen uns die Kleinkaliberwaffen um, verstecken Messer in den Schuhen und Ärmel. Selbst eine vergiftete Nadel stecke ich in mein Haar. Dann gehen wir die Treppen nach unten. Dumas hat zwischen den Trümmern ein drei-Gänge-Menu gekocht. "Wow, vielen Dank!" Der Tisch ist gedeckt mit Salade Niçoise, Crêpes, Muschelsuppe und frischem Baguette. "Un croissant?", fragt er und dreht sich schwungvoll um, wischt ein paar Scherben vom Tisch und stellt den Korb hin. "Setzt euch Kinder, greift zu und esst ausgiebig." Dante und ich tauschen einen amüsierten Blick, tun dann aber, was Dumas gesagt hat. Wir essen, so viel wie wir nur können, was übrig geblieben ist, hat der beste Freund meiner Grossmutter eingepackt und uns zum Mitnehmen bereitgestellt. "Waffen?" "Messer, Handfeuerwaffen, Magazine, Giftnadel, Platzpatronen, Garn", zähle ich auf. "Garn?" "Ja, Monsieur Dumas. Wir praktizieren auch alte Erdrosselungstechniken. Klappt manchmal besser als ein Schuss, vor allem wenn es leise sein muss." Dumas lächelt glücklich und er erinnert mich an meine Grossmutter, wenn sie sich freute, dass ich ihr etwas nachmachte, was altmodisch war. "Die Nachbarn sind alle ruhig, ihr könnt los. Wie gesagt, keine Autos klauen und erst bei Morgendämmerung fliegen." "Ja, Dankeschön", antworten wir artig. "Kommt mir wohlauf wieder zurück, mit allem, was ihr gesucht habt." Dumas öffnet uns die Tür und wir verlassen die Wohnung. Ich drehe mich nochmals um und winke ihm zum Abschied.
"Wie willst du hineingelangen?" Wir stehen vor dem Maschendrahtzaun am Flughafen, wo unser Stahlvogel auf uns wartet. "Entweder wir schneiden ihn auf, sehr auffällig, wir drehen ihn auf und anschliessend wieder zu, sehr Zeitaufwendig, wir buddeln uns unten durch, sehr schmutzig, oder..." "...oder wir klettern einfach oben drüber. Danke für die ausführliche Auskunft, ich buche Ticketvariante vier", unterbreche ich Dante, der mir erst einen gespielt bösen Blick zuwirft, dann aber lächelt. "Na dann los, kleines Äffchen." Ohne zu zögern ziehe ich meine Handschuhe hervor und streife sie mir über. Dann nehme ich einen Satz und springe so hoch als möglich an das Gitter hinauf. Mit den Schuhen fixiere ich mich in den Maschen und kraxle flink weiter. Da der Zaun nur knappe vier Meter hoch ist, schwinge ich mich oben über den Stacheldraht und lande geschmeidig auf dem Boden. "Pass auf deinen Knöchel auf", grummelt Dante. "Jajaa, komm jetzt", antworte ich ungeduldig. Er allerdings ist kein Deut besser und landet leise neben mir. "Die Flugwache kommt gleich hier vorbei, wir sollten uns ein Versteck suchen."
Kaum haben die Worte meinen Mund verlassen, tauchen drei Männer, bewaffnet und mit einem Hund, auf. Der Hund wittert uns sofort und zieht an seiner Leine. "Co się z tobą dzieje, Igor?" Toller Name für einen Hund. "Ich kümmere mich um die Männer, lenkst du den Hund ab?" "Das schaffe ich gerade, danke der Nachfrage", grummle ich. "Dobry wieczór!", begrüsse ich die Wachmänner auf polnisch. "Halt wer da?" Sofort richten sich drei Taschenlampenscheine auf mich. Dante beachten sie nicht und er schleicht sich in die Dubkelheit davon. "Moje nazwisko Zofia Karol." Ich höre die Männer tuscheln, was ich wohl hier mache und ob sie mich vielleicht in die Zentrale mitnehmen könnten um dort noch ein bisschen Spass zu haben. "Do nogi!" Der Hund versteht und kommt herbei. "Grzecznie", lobe ich ihn und er hechelt freudig. Aus dem Rucksack ziehe ich ein Stück Wurst, welches Dumas uns mitgegeben hat, und erwische unauffällig sein Halsband. Dante, der den ersten Mann schon ausser Gefecht gesetzt hat, als ich den Hund noch lobte, wirft mir lässig die Leine zu und ich binde das Tier an einem Pfosten an. Als er den Betrug bemerkt, bellt er los. Doch da sind wir schon längst über den Platz gerannt, in den schützenden Schatten der Lagerhalle. "Warum polnisch?", wispert Dante kurz darauf. "Was weiss ich, hatte gerade Lust auf einen Sprachwechsel. Wir wollen es unseren Verfolgern möglichst schwer machen, oder?" Kichernd verdreht er die Augen und späht auf die kleinste Flugbahn. "Steht bereit. Niemand in Sicht." Im Einklang mit der Dunkelheit schleichen wir und auf das Flugzeug zu und laden leise unser Gepäck in den kleinen Stauraum. Dante quetscht sich auf den Pilotensitz, ich mich neben dran auf den Co-Piloten-Platz. Ein Glück sind wir schon mal alleine geflogen. "Lesen wir noch rasch das Handbuch?" Ich nicke. Gute Idee.
Kaum geht die Sonne auf, schalte ich das Funkgerät an. "Tower, guten Morgen. Wie lautet der Lagebericht?" "Beste Windverhältnisse, keine Objekte im Luftraum in den nächsten zehn Minuten." Hammer! Wenn viele Private unterwegs sind, bekommt man einfach Auskunft. "Vielen Dank und einen schönen Tag. Over."
Wir hebeln alles ein, setzen uns die Kopfhörer auf, starten den Motor und rollen zum Anfang der Startbahn. "Auf gehts", ruft Dante und drückt den Lenkknüppel nach unten.
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Schrei der Eule
FantasyContense und George Weatherby sind kein Mythos. Die Geschichten ihrer Grossmutter sind wahr. Ella Lavoisier kann es kaum fassen, als der Agent Pierre Dumas ihr das erzählt. Plötzlich ist sie nicht mehr einfach Ella Lavoisier sondern auch Alysha Weat...