Wir sehen uns kurz an und stellen uns Rücken an Rücken in einem Dreieck hin. In der Ausgangsposition, bereit zum Angriff, stehen wir lauernd da und warten auf unsere ‚Feinde'. Schliesslich entdecke ich eine dunkle Gestalt, die sich aus dem Schatten löst. „Angreifer 1 auf 3 Uhr", melde ich den anderen beiden. „Angreifer 2 auf 1 Uhr", meldet Kyria und ich blicke kurz auf die von ihr angegebene Richtung. „Da stehen noch zwei weitere auf 2 Uhr", sagt Dante. „Weitere Angreifer nicht ausgeschlossen." In diesem Moment beginnt der vor mir zu rennen.
„Zum Angriff", murmle ich und schiesse los. Ich checke die Gestalt vor mir binnen wenigen Sekunden ab: männliche Statur, könnte auch eine kräftig gebaute Frau sein, er trägt einen Ninja ähnlichen Anzug und hält ein Bokutō (japanisches Holzschwert) in der Hand. Da ich unbewaffnet bin, muss ich mich vor diesem Teil in Acht nehmen. Auch wenn es nicht geschliffen ist, und somit eigentlich nur ein handliches Stück Holz ist, ist es genau so schmerzhaft, wenn es mich trifft. Ja, ich spreche aus Erfahrung. Mache nie den Fehler, einer Waffe nicht auszuweichen, nur weil sie nicht für einen echten Kampf angefertigt wurde. Das schmerzt brutal. Ich stehe meinem Angreifer nun genau gegenüber und harre in der Angriffsposition aus, bis der den Fehler macht und für eine Millisekunde hinter mich schaut. ‚Da ist noch einer' blitzt mir ein Gedanke durch den Kopf und wirble genau im richtigen Moment herum und blockiere den Angriff der flachen Hand, die auf mich zu gesaust kommt, gerade noch ab und lenke sie ins Leere. Mit dem Schwung des Schlages drehe ich den Arm gleich weiter und halte inne bevor ich ihm die Schulter auskugele. Ich stelle mich hinter die Person und der Geruch von Rosenparfum steigt in meine Nase. Ich habe bereits geahnt, dass der zweite Angreifer eine Frau ist, aber das hat sich jetzt bestätigt. Marie Blanc ist die einzige Lehrerin dieser Schule, die ein Blumenparfum trägt. Ich ziehe ihr die Skimaske vom Kopf und die blonden Haare verdecken ihr die Sicht. In diesem Spiel ist sie jetzt besiegt und das ganze hat vielleicht 5 Sekunden gedauert.
Ich sehe mich nach dem ersten Angreifer um. Wo ist der denn hin? Auch egal, ich bemerke, dass Kyria gegen drei Ninjaaffen gleichzeitig kämpft. Ich renne zu ihr hin. „Kannst du Hilfe gebrauchen?", rufe ich ihr zu und sie lacht spöttisch. „Nee wie kommst du denn darauf? Alles im Griff." Ich kann mir gerade bildlich vorstellen, wie sie die Augen verdreht und mich dann vorwurfsvoll ansieht. Natürlich helfe ich ihr und lenke die Aufmerksamkeit von einem bewaffneten Angreifer auf mich. Er hat ein Nunchaku (japanische Schlagwaffe, auch Würgeholz genannt) in der Hand und beginnt es drohend zu kreisen. Es besteht nur aus Kunststoff, aber eben, auch das tut weh wenn es trifft. Ich ducke mich und reisse mit meinem Fuss das Bein des Mannes weg. Noch während er fällt dreht er sich und lässt das Nunchaku auf mich zu sausen. Im letzten Moment weiche ich aus und zerre dem Typen die Maske vom Kopf. "Guten Abend, Monsieur Armand", kann ich unseren Geographielehrer gerade noch begrüssen und schon werde ich gepackt und klemme plötzlich im Würgegriff. So ein Mist, Grunier hat uns verboten unseren Gegnern die Knochen zu brechen. Ohne lange zu überlegen schlage ich mit der flachen Hand gegen seinen Rücken. Das reicht um ihn abzulenken und ich winde mich aus dem Griff. Bevor er kapiert hat, dass ich weg bin, fliegt seine Skimaske auch schon weg. "Monsieur Tuliers", begrüsse ich ihn und verschaffe mir einen Überblick des Kampfes. Kyria hat einen der Angreifer erledigt und kämpft noch mit einem. Dante hat noch zwei. Schnell renne ich zu ihm, nähere mich lautlos von hinten und ziehe ohne Vorwarnung die Maske des einen weg. Dante grinst und nimmt sich dem anderen Ninjatypen an. Innerhalb weniger Sekunden sind auch die letzten beiden besiegt.
"Ihr werdet immer besser", ruft Grunier über den Platz. Ich meine da etwas Neid und Eifersucht zu hören. Ich werfe einen Blick zu Kyria und Dante. Den beiden geht es gut, aber diese Trainings zerren an unseren Kräften, die wir für den Unterricht besser gebrauchen könnten. Es ist schon das dritte ausserordentliche Training diese Woche. "Wir sind bereits zu spät dran. Dürfen wir jetzt gehen?", fragt Dante entnervt. Grunier macht eine einladende Geste und wir rauschen an ihm vorbei zum Eingang der Schule. Nebeneinander laufen wir durch die düsteren Gänge. Das Haus ist der reinste Irrgarten. Wenn man sich hier nicht auskennt, dann ist man hoffnungslos verloren. Kyria klopft an die Türe des Übungsraumes. Madame Sanchez lässt ein dutzend Riegel und Schlösser aufschnappen. Wir betreten nacheinander den Raum. Wir stehen in einem weiteren Gang. Der restliche Teil des Raumes ist in 6 schalldichte Zellen unterteilt, in denen die Häftlinge sitzen. Unsere Mitschüler Meng-Jian, Antonia und Dayo stehen bereits da. Sie sind alle jünger als wir und haben mit ihrer Ausbildung vor etwa einem Jahr begonnen. "Grund fürs zu spät kommen?", will Madame Sanchez wissen. "Spontaner Trainingskampf", entschuldige ich uns. Sie seufzt und lässt uns vor eine der Boxen stehen. "Mustert euren Patienten genau", beschwört sie uns. Der Mann, der auf der anderen Seite der Scheibe sitzt, steckt in der Häftlingskluft vom Gefängnis La santé. Seine Hände und Füsse stecken in Fesseln und über dem Kopf trägt er einen Sack. Einzeltäter, geschätzt 35 Jahre alt. Wie viele Tote er auf dem Gewissen hat, möchte ich gar nicht wissen. Vielleicht ist er sogar an Terrorist. "Salvadors und Weatherby, beginnt mit der Sitzung." Jaja, die ehemaligen Versuchskaninchen dürfen den Neuen wieder vorzeigen. Schön brav Vorbild sein. Boah wie mich das nervt. Ich stopfe mir meinen Ohrenstöpsel ein und öffne die Türe zu der Zelle!
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Schrei der Eule
FantasyContense und George Weatherby sind kein Mythos. Die Geschichten ihrer Grossmutter sind wahr. Ella Lavoisier kann es kaum fassen, als der Agent Pierre Dumas ihr das erzählt. Plötzlich ist sie nicht mehr einfach Ella Lavoisier sondern auch Alysha Weat...