Lauernd lauschen

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Hinter einem grossen Stein stoppt Alva mich. "Keine weiteren Versteckmöglichkeiten. Der Eingang zur Höhle liegt 50 Meter nordwestlich von dir aus gesehen." Ich bleibe stehen und versuche angestrengt Konturen im Dunkeln zu erkennen. "Ich brauche eine Ansammlung von Steinen, welche mich vor Blicken aus jeder Richtung schützt. Ausserdem eine zwei stabile und massive Steine, zwischen denen ich das Scharfschützengewehr aufbauen kann.", wispere ich leise. Alva dreht sich trippelnd au meiner Schulter. "Da hinten. Drehung um 160 Grad, grosse Steine, Stolpergefahr." So leise wie nur möglich schleiche ich in die angegebene Richtung über die Felsbrocken. Wiederum stoppt die Eule mich. Langsam lasse ich mich zu Boden sinken und richte mich zum Eingang aus. "So können sie dich nicht sehen, egal von wo aus. Ausser einer klettert irgendwo hoch." Ich öffne den Rucksack und packe die Ausrüstung aus. Eine mit Alu verstärkte Matte stelle ich vor mich hin, um Wärmebildkameras zu sabotieren. Obwohl ich bezweifle dass sie solche haben, sonst wäre ich schon längst unter Beschuss. Dann stecke ich das Gewehr zusammen. Andere sagen, sie können es im Schlaf, ich kann es im stockfinstern. Alva erklärt mir wo ich es positionieren soll, dann lade ich die Pistole schnalle die Lederriemen an meine Handgelenke und befestige die Messer. In meine Socke stecke ich ausserdem zwei dünne Feilen, man weiss ja nie. Dann lege ich die Decke, welche im Übrigen eine Tarndecke ist, über mich, Alva schlüpft ebenfalls hinein und ich halte still.

Langsam wird es heller, doch es bleibt still. In der Dämmerung erkenne ich eine einfache Betonwand, in der eine Stahltüre eingelassen ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Grunier sich grossartig die Mühe gemacht hat, den Unterschlupf bequem einzurichten. Er hatte aber mehr als genug Zeit für die Vorbereitung dieses Plans, deshalb werde ich sehr vorsichtig vorgehen müssen.
Nach einer Weile, der Himmel ist inzwischen wolkenverhangen, öffnet sich die Metalltüre quietschend. Na das ist doch praktisch. "Jemand soll diese beschissene Türe ölen!", schreit der Agent ins Innere. "Mach doch selber!", kommt es zurück, gemeinsam mit schallendem Gelächter. Zwei Männer und zwei Frauen. Ich habe es mit mindestens fünf Agenten zu tun. "Ruhe!", bellt Grunier. Der Agent draussen nimmt seine Position ein und salutiert. "Ist sie schon hier?", beginnt Alva plötzlich zu sprechen. "Wir haben sie komplett vom Radar verloren." "Sie muss erst einmal herausfinden wo wir sind." "Ich habe doch gesagt wir haben unsere Spuren zu gut verwischt." "Dann habt ihr genug Zeit die Geschwister dazu zu bringen, die Wahrheit zu sagen. Nehmt euch besonders Dante vor, der weiss mehr als Kyria." Der Agent, der draussen steht, zieht die Türe zu und Alva schweigt. "Ich kann sie nicht mehr deutlich hören."
Eine lange Zeit passiert nichts, dann kommt gegen zehn Uhr ein zweiter Agent raus, um eine Zigarette rauchen. Den kenne ich sogar, das ist Ricci. "Meinst du die kleine Weatherby kommt wirklich?", fragt der andere. Ricci lacht. "Und ob sie kommt. Ihre Eltern, ihre beste Freundin und ihr Freund sind hier gefangen und das ist ihre Schuld. Sie wird uns die Eule bringen und versuchen die anderen mit Erpressung freizukriegen." Ich frage mich, ob ihnen bewusst ist, dass ich eventuell zuhöre und sie umgekehrte Psychologie betreiben. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ein Agent so fahrlässig mit wichtigen Informationen in der freien Wildbahn um sich wirft.

Ich bewege mich den ganzen Tag über keinen Millimeter. Während ich an Ort und Stelle ausharre, wechseln die Agenten sich mit der Aufsicht ab. Madsen und Williams erkenne ich, die zweite Frau habe ich noch nie gesehen, genauso wie den Typen, der als erster Wache geschoben hat. Ich erinnere mich, wie Williams mich in ihrem ersten Jahr in der Agency jedes Mal verwirrt angeschaut hat, wenn wir uns begegneten. Madsen weigerte sich von Anfang an mit uns zu trainieren, unser Ausbildungsprogramm zu unterstützen liege unter seiner Würde. So ein bekloppter Esel, als wäre er selber nie ausgebildet worden. Auf jeden Fall haben wir uns gefreut wie Honigkuchenpferde, als er bei einer Abteilungstrainingseinheit in unserer Gruppe war und wir ihn in sämtlichen Disziplinen heftig blamierten. Er ist nicht nur ein eingebildeter Esel, sondern auch noch hohl wie eine Nuss. Grosse Klappe, nichts dahinter und wehe dir du sagst etwas, dann fühlt er sich auf den Schlips getreten und verpfeift dich bei deinem Vorgesetzten. Endlich bekomme ich die Möglichkeit, ihn so richtig zu verprügeln. Normalerweise bin ich überhaupt nicht gerne handgreiflich, aber dieser Mensch treibt mich dazu.
Ich höre die Tür zufallen. "Keine Wachen mehr." Vorsichtig lege ich mich hin und strecke die Beine aus. Oh, tut das gut! Es knackt in meinen Gelenken, als ich mich weiter ausstrecke. "Bisschen gealtert?", fragt die Schneeeule, mir enfährt nur ein erleichterter Seufzer. Dann setze ich mich wieder auf und packe die Decke ein. Langsam stehe ich auf und nehme das Gewehr gleich mit. "Wo willst du jetzt hin?", will Alva wissen. Zeit, diese Telepathiefähigkeiten auszuprobieren. Ich stelle mir vor auf den Hügel zu gehen, also auf das Dach des Unterschlupfes. Und dort nach dem Lüftungsschacht suchen. "Das dürfte kein Problem sein."

Sich nach 12 Stunden still sitzen wieder zu bewegen fühlt sich an wie die Befreiung aus einer Minizelle. Nach einer Stunde entdeckt Alva den Lüftungsschacht. Ich taste ihn ab und finde die Schrauben, die das Gitter festhalten. "Das braucht viel Kraft um die zu lösen", grummelt meine Begleiterin. Was könnte ich bloss brauchen um die Schrauben zu lockern? Die Feilen funktionieren sicher nicht, Bestandteile der Pistole oder des Gewehrs auch nicht. Ich taste den Rucksack ab und ertaste einen Verschluss, der eventuell passen könnte. Tatsächlich passt er, doch auch so kann ich die Schrauben nicht bewegen. Neue Idee her, Rucksackriemen um den Verschluss wickeln und daran ziehen. Und die Schraube bewegt sich. Genial. Nach mühsamem Gefummel sind alle acht Schrauben draussen und ich kann das Gitter wegheben. Behutsam steige ich in den Schacht und lege das Gitter wieder über den Eingang. "Vor dir geht es einen Meter nach unten, dann in drei verschiedene Richtungen weg." Gut, behutsam hinabgleiten lassen, dann auf den Bauch und durch den schmalen Gang robben, ohne Geräusche zu machen. Was ganz schön schwierig ist mit einem Gewehr, einem Rucksack und Messern an den Handgelenken. "Du kommst zu den Gefangenen." Ich komme zu einem kleineren Schacht und blicke hindurch, direkt zu den Zellen. Kyria und Dante wurden an den Armen an die Mauer gefesselt, meine Eltern sitzen daneben in einer gemeinsamen Zelle. Sie sehen furchtbar müde und erschöpft aus. Ich versuche zu sehen, ob irgendwelche Aufsichten hier sind, doch da ist niemand. Aus meinen Schuhsolen hole ich ein kleines Steinchen und werfe es durch das Gitter. Ein leises Geräusch ertönt, als es auf den Boden fällt. Kyria hebt den Kopf und mustert aufmerksam das Zimmer. Am Lüftungsschacht bleibt ihr Blick hängen und ich winke ihr zu. Sie lächelt mich an. Erleichterung durchflutet mich. Das heisst nicht nur, dass wirklich niemand da ist, sondern auch, dass sie mir nicht böse ist. "Nadine? Alles in Ordnung?", fragt sie meine Mutter. Sie hebt den Kopf von der Schulter meines Vaters. "Alles gut, Liebes." Kyria hebt den Finger und zeigt auf den Schacht. "Überanspruche deinen Hals nicht, du hörst dich etwas verschnupft an." Sie versucht ihr zu sagen, dass sie um Himmels Willen still sein soll. Dante hat schon lange kapiert und rappelt sich auf. Da entdeckt Maman mich und rüttelt aufgeregt an Papa. "Marcel, es zieht!" Er entdeckt mich schneller und ich kann direkt sehen, wie die Anspannung von ihm fällt. Dann mal los und ich drücke das Gitter nach aussen.

Schrei der EuleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt