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Im Gegensatz zu den Dienern, die auf diese Frage stets entsetzt geblickt hatten und sie inständig baten keine derartigen Fragen zu stellen, verzog Aurus den Mund zu einem feinen Lächeln.
"Hast du deinem Herrn nie diese Frage gestellt?", hakte er nach, worauf sie nur schnell den Kopf schüttelte.
Der Andarr nickte und stellte die nächste Frage: "Kennst du die Geschichte dieses Landes und unseres Volkes?"

"Ja, natürlich. Der Herr der mich gefunden hat, hat sie mir erzählt." Malia schloss die Augen und rief sich die Geschichte ins Gedächtnis. "Einst war das ein Land wie jedes andere. Flüsse, Wälder, Wiesen, die Paläste der Herren. Über allem regierte ein König, an seiner Seite stets die schönste und reinste Frau.
Doch ein König hörte auf die Worte einer Zauberin und verliebte sich in diese. Nachdem er versucht hat die schönste Frau zu töten nahmen die Götter sie fort - und mit ihr das Licht und das Leben." Sie öffnete die Augen wieder. "Richtig?"

"Teilweise, ja." Aurus nickte und lächelte. "Doch es fehlt ein Teil. Die Herren wollen es nicht wahrhaben oder haben Angst ihre Frauen zu verschrecken, doch es ist wichtig auch diesen Teil zu kennen."
"Erzählt Ihr mir diesen Teil?"
"Wenn du danach noch schlafen kannst." Der Mann stand auf und bot seine Hand an. "Setzen wir uns zum Feuer."

Auf einem weichen Fell vor den Flammen setzten sie sich gegenüber und der Andarr begann langsam die Geschichte fortzuführen: "Nachdem das Licht und das Leben verschwunden waren verfielen viele Andarr dem Wahnsinn. Nur wenige wurden verschont und nahmen nach und nach die Herrschaft an sich. Das sind die Herren.
Doch die Dunkelheit geht auch an ihnen nicht spurlos vorbei. Dubius, der Herr der Westbucht, ist das beste Beispiel. Zu den Wahlen legt er bestes Benehmen an den Tag um seine Stellung zu sichern doch er ist ehrgeizig. Wenn eine Frau ihn wählt und das Licht nicht zurückbringt wird sie dafür bestraft. Er sperrt sie in dunkle, einsame Zellen, lässt sie hungern und gibt ihnen kein Wasser. Je länger es dauert, bis sie zu Schatten werden umso schlechter geht er mit ihnen um." Er stockte, schüttelte den Kopf und setzte neu an. "Die Herren - jeder von ihnen - ist nur hinter dem Titel des Königs her. Der Wahnsinn befällt sie, je mehr Fehlschläge es gibt. Zur Anfangszeit der Dunkelheit gab es noch Frauen unseres Volkes, doch sie waren die ersten, die den Schatten verfielen. Im Gegensatz zu euch starben sie jedoch an der Hoffnungslosigkeit der ewigen Nacht.
Und als die letzte Frau verschwunden war folgte der Hoffnungslosigkeit die Verzweiflung. Die Herren schienen keine Möglichkeit mehr zu haben König zu werden - bis die erste Frau erschien."

Malia lauschte stumm seiner Erzählung. Bis jetzt. "Und woher kam die Frau? Hatten die Götter doch Erbarmen?"
"Unsere Götter kennen dieses Wort nicht.", winkte Aurus ab und wischte etwas Imaginäres in der Luft weg. "Nein. Die Frau war selbst von den Göttern verlassen worden. Sie erzählte, ihr Volk habe sie getötet, damit ihre Götter einen Segen schenkten. Dass ein solches Opfer sie nach Andarr schicken würde, konnte niemand ahnen.
Leider verfiel auch sie bald den Schatten und die nächste kam. Es hat lange gedauert, bis die Herren begannen die Wahl abzuhalten. Leider brachte das bisher weder das Licht zurück noch verlängerte es das Bestehen der Frauen. Darum interessieren sich auch keine Herren wirklich für euch. Ihr werdet zu Dienern, von denen es bereits zu viele gibt."

Gestohlenes HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt