Erste Zweifel

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Langsam kam die junge Frau ins Leben zurück. Sie blinzelte gegen das schwache Licht, das an ihre Augen drang.
Ihr Kopf dröhnte, als sei sie gegen eine Wand gelaufen. Jeder Gedanke, der sich zu bilden versuchte verstärkte den Schmerz.

Dennoch wagte sie es die Augen zu öffnen und den Blick an die dunkle Decke zu richten. Viel mehr war aus ihrer Position nicht zu erkennen oder zu deuten.
Sie lag flach auf dem Rücken, eine dünne Decke über dem Körper, in einem Bett. Mit Sicherheit ein Bett, denn der Untergrund war weich und angenehm.

Ihre Bewegungen waren träge, als sie erst ihre Arme zu beiden Seiten ausstreckte, vorsichtig über den weichen, glatten Stoff strich, und den Rand des Bettes nicht spürte. Es musste wohl ein sehr großes Bett sein, formten ihre Gedanken. Dabei verzog sich auch endlich der Kopfschmerz und sie wagte weitere Bewegungen.

Zuerst wandte sie den Kopf zur Seite, erfasste dunkle, weit entfernte Wände, nur erhellt von einigen Fackeln die ohne Bewegung brannten und das Licht erzeugten.
Auf dieser Seite schien auch eine Tür eingelassen zu sein. Dunkelbraunes Holz mit goldenen Beschlägen, die das wenige Licht verstärkten.

Auf der anderen Seite erkannte sie drei große, hohe Fenster. Glas war eingesetzt, denn dahinter, außerhalb des Raums, tobte stumm ein Sturm, der das Glas mit Regen sprenkelte. Der Ton des Regens auf Glas blieb ebenfalls stumm.

Sturm, erfasste ihr Verstand und sie versuchte sich zu erinnern, warum dort Sturm herrschte. Wie lange schlief sie schon hier, wenn es nun stürmte. War es nicht noch ruhig, als sie zu Bett gegangen war?

Wieder pochte ihr Kopf. Mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht hielt sie sich die Hand an die Schläfe. Sie erinnerte sich ganz genau.
Sie war zu Bett gegangen, weil ihr nicht gut war. Sie wollte nur noch schlafen und alles um sich herum vergessen. Das Fest, dass noch stattgefunden hatte.
Ein Fest? Seit wann besuchte sie Feste?

Ein klopfen auf Holz riss sie aus den Gedanken und das Pochen verschwand damit. Sie wurde doch nicht etwa krank?
Stöhnend setzte sie sich auf, mit langsamen, stockenden Bewegungen und zog eine Strähne ihres Haars vor.

Schwarz lag es in ihrer Hand. Schwarz wie die Wände des Zimmers und der Stoff der sie umgab. Es war tatsächlich alles schwarz, stellte sie fest, als sie ihren Blick schweifen ließ. Nur das Holz war in dunklem braun gehalten, wie die Tür. Truhen, Tische, Stühle. Braun auf schwarz. Schwarzen Wänden, dem Boden das Fell vor dem kalten Kamin.

Sie selbst fiel als einziges aus der Dunkelheit. Ein strahlend weißes Nachthemd lag auf ihrer hellen, fast weißen Haut. Man bezeichnete sie nicht grundlos als Mondkind. Damit hatten ihre Eltern begonnen, im Scherz, und der Hof hatte es übernommen. Die ersten Jahre ihres Lebens, bis sie alt genug war und zumindest die Dienerschaft damit aufgehört hatte. Es war plötzlich gekommen. An einem Tag hatte sie noch mit anderen Kindern gespielt, am nächsten hatten sich alle verbeugt, jeder war übertrieben höflich gewesen.

Moment, ein Hof? Hatte sie wirklich dort gelebt?

Das war an ihrem Geburtstag. Als sie fünfzehn Winter zählte und erwachsen wurde.
Nein. Nicht fünfzehn. Sie war älter. Doch... man hätte sie sonst nicht... aufgenommen?

Wieder klopfte es und sie wandte sich zurück zur Tür. "Herein.", bat sie und erschrak über die Heiserkeit ihrer Stimme. Ganz rau und ausgetrocknet klang sie, als sei sie schon lange nicht mehr benutzt worden.
Die Frau, die eintrat, schien es jedoch nicht zu stören. Ein dunkles Kleid bedeckte den kleinen, untersetzten Körper, das braune Haar war zu einem strengen Knoten gebunden.

"Ihr seid wach, Mylady.", stellte sie nüchtern fest und verbeugte sich vor ihr. "Habt Ihr Euch erholt?"
"Ja, danke." Sie kannte diese Dienerin, auch wenn ihr der Name gerade nicht einfiel. "Ist das Fest bereits beendet?"
Warum sprach sie so? Was zwang sie dazu?

"Das ist es. Der Herr hat die Gäste fortgeschickt, nachdem Ihr gegangen seid." Sie richtete sich wieder auf. "Euer Frühstück wird gleich gebracht, dann wird man Euch beim Ankleiden helfen. Falls Ihr noch etwas wünscht, so zögert nicht zu rufen. Der Herr erlaubt Euch, Euch frei im Palast zu bewegen."

Die junge Frau nickte und entließ die Dienerin damit. Kaum war die Tür  geschlossen wandte sie den Blick zum Sturm zurück. Hoffentlich brach bald der Tag an und sie konnte sich bei Sonnenlicht umsehen.
Sie schüttelte verwirrt den Kopf. Wieso nur hatte sie das Gefühl, dass etwas an diesem Ort seltsam war? Und an ihr?

Gestohlenes HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt